{"id":1595,"date":"2015-04-01T08:00:48","date_gmt":"2015-04-01T07:00:48","guid":{"rendered":"http:\/\/dergeradeweg.com\/?p=1595"},"modified":"2015-04-01T08:00:48","modified_gmt":"2015-04-01T07:00:48","slug":"dein-reich-ist-in-den-wolken-und-nicht-von-dieser-erde","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.thecathwalk.de\/2015\/04\/01\/dein-reich-ist-in-den-wolken-und-nicht-von-dieser-erde\/","title":{"rendered":"\u201eDein Reich ist in den Wolken und nicht von dieser Erde\u201c"},"content":{"rendered":"

Der Dichter Clemens Brentano und sein Werk \u2013 ein Leben f\u00fcr die Suche nach wahrer Liebe, Kunst und Religiosit\u00e4t<\/b><\/span><\/span><\/p>\n

\"Clemens<\/a>
Clemens Wenzeslaus Brentano de La Roche (* 9. September 1778 in Ehrenbreitstein (heute Koblenz); \u2020 28. Juli 1842 in Aschaffenburg)<\/figcaption><\/figure>\n

von Jonas Grininger<\/span><\/p>\n

Wer sich eingehend mit der deutschen Romantik besch\u00e4ftigt, wird an Clemens Brentano nicht vorbeikommen. Seine schriftstellerische Hinterlassenschaft hinsichtlich Sprache, Stil und Inhalt ist fester Bestandteil der deutschen Literaturgeschichte. Die Pers\u00f6nlichkeit und der Charakter Brentanos bilden einen wichtigen Schl\u00fcssel, um Zugang zu seinem Werk zu erhalten. Der Dichter, teils als \u201eenfant terrible\u201c und Au\u00dfenseiter gebrandmarkt, teils als romantische Schriftstellerexistenz schlechthin betitelt, hinterlie\u00df uns einen reichen literarischen Nachlass. Die bei ihm immer wiederkehrenden Motive Liebe, Religiosit\u00e4t und die Frage nach der richtigen Kunst laden ein, uns auf seine Spuren zu begeben und sein wechselvolles Leben und Werk n\u00e4her zu betrachten.<\/span><\/span><\/p>\n

\u201eGlauben, Hoffen, Lieben, Schweigen \/ Lass uns diese Pfade steigen!\u201c 1<\/sup><\/a><\/b><\/span><\/span> <\/b>Brentano entstammte einer wohlhabenden katholischen Kaufmannsfamilie. Er wurde am 9. September 1778 in Ehrenbreitstein, einem heutigen Stadtteil von Koblenz, geboren. Brentano war das zweite Kind aus der Ehe, die der verwitwete Vater Brentanos wieder eingegangen war. Brentano hatte insgesamt neunzehn Geschwister und Halbgeschwister. Die Vorfahren Brentanos v\u00e4terlicherseits stammten aus Italien, der Vater siedelte nach Frankfurt am Main \u00fcber und begr\u00fcndete dort ein gro\u00dfes Handelshaus. Der Vater war gepr\u00e4gt vom kaufm\u00e4nnischen Ethos, in welchem Rationalit\u00e4t und auf Nutzen ausgerichtetes Handeln leitende Werte darstellten, und galt als streng und gef\u00fchllos. Anders war die Mutter strukturiert. Sie pflegte einen liebevollen und einf\u00fchlsamen Umgang, sodass Brentano von fr\u00fchester Zeit an, auch \u00fcber ihren Tod hinaus, eine enge Bindung zu ihr entwickelte, die sein gesamtes sp\u00e4teres Leben anhielt. In den ersten Lebensjahren wuchs Brentano bei seiner Tante auf, sp\u00e4ter wurde er auf ein Internat geschickt. Als die Mutter des gerade F\u00fcnfzehnj\u00e4hrigen \u00fcberraschend und noch sehr jung verstarb, erwies sich dies f\u00fcr Brentano als eine ersch\u00fctternde Erfahrung, die ihn sein ganzes Leben lang pr\u00e4gte. Es ist erstaunlich, wie stark doch Erfahrungen in fr\u00fchester Kindheit die sp\u00e4tere Pers\u00f6nlichkeit und das Wirken beeinflussten, auch wenn an dieser Stelle einer unangemessenen Psychologisierung von Brentanos Werk nicht Vorschub geleistet werden soll. Gespannt blieb zeitlebens das Verh\u00e4ltnis Brentanos zu seinem Vater. Dieser beabsichtigte, seinen Sohn zur Aufnahme einer kaufm\u00e4nnischen Ausbildung zu bewegen, wogegen sich dieser aber erbittert wehrte. Brentanos Interessen und Begabungen lagen auf einem ganz anderen Gebiet. Er war polyglott, hatte musische Neigungen und interessierte sich fr\u00fch f\u00fcr Literatur und Philosophie. <\/span><\/span><\/p>\n

Erste Liebe und literarische Erfolge: Die Jenaer Zeit <\/b><\/span><\/span>Die Absage Brentanos an den Wertekanon des heraufziehenden b\u00fcrgerlichen Zeitalters machte es selbstredend, dass alle Versuche des Vaters, den Sohn zu einer akademischen Laufbahn zu bewegen, scheitern mussten. Der Tod von Brentanos Vater 1797 markierte in dieser Hinsicht einen Wendepunkt. Dem jungen Brentano stand nun ein betr\u00e4chtlicher Erbteil zu, der ihn f\u00fcr die gesamte Dauer seines Lebens finanziell unabh\u00e4ngig machte. <\/span><\/span><\/p>\n

\"Bild<\/a><\/span><\/span><\/p>\n

Nach einem kurzen Zwischenspiel an der Universit\u00e4t zu Halle, an der er f\u00fcr das Studium der Bergwissenschaften eingeschrieben war, wechselte er 1798 nach Jena, um dort ein Medizinstudium aufzunehmen. Brentano hatte diesen Studienort bewusst gew\u00e4hlt, denn in Jena hatte sich zu jener Zeit ein Zirkel namhafter Vertreter der fr\u00fchen romantischen Epoche gebildet, darunter die Gebr\u00fcder Schlegel und Ludwig Tieck. Auch die geografische N\u00e4he zu Weimar, wo damals das \u201eViergestirn\u201c um Goethe, Schiller, Wieland und Herder ein produktives geistiges Zentrum bildete, mochte damals auf Brentano anziehend wirken. Entgegen dem Wunsch seiner Familie ging Brentano in Jena jedoch nicht medizinischen Studien nach, sondern suchte Zugang zur philosophischen und literarischen Diskussion der Zeit. Nach einigen ersten kleineren Gedichten und Erz\u00e4hlungen ver\u00f6ffentlichte Brentano 1801 den Roman <\/span><\/span>Godwi<\/i><\/span><\/span> mit dem Untertitel <\/span><\/span>Das steinerne Bild der Mutter<\/i><\/span><\/span>. Dieser Roman verschaffte dem 23-J\u00e4hrigen erstmals eine gr\u00f6\u00dfere Bekanntheit. Hier gab Brentano den davor zumeist theoretisch formulierten Ideen der Fr\u00fchromantiker erstmals Romangestalt. Der Roman enth\u00e4lt auch das weltbekannte Gedicht von der <\/span><\/span>Lore Lay<\/i><\/span><\/span>, das entgegen vieler Mutma\u00dfungen eine Eigendichtung Brentanos darstellt: \u201eZu Bacharach am Rheine \/ Wohnt eine Zauberin, \/ Sie war so sch\u00f6n und feine \/ Und riss viel Herzen hin. \/ Und brachte viel zuschanden \/ Der M\u00e4nner rings umher, \/ Aus ihren Liebesbanden \/ War keine Rettung mehr!\u201c Und es endet mit dem Ausruf: \u201eUnd immer hats geklungen \/ Von dem drei Ritterstein: \/ Lore Lay \/ Lore Lay \/ Lore Lay \/Als w\u00e4ren es meiner drei.\u201c 2<\/sup><\/a> In diese Zeit fiel auch die erste gro\u00dfe Liebe Brentanos, die er in einem Jenaer Salon kennenlernte. Es handelte sich um die Frau eines Justizprofessors, Sophie Mereau, die acht Jahre \u00e4lter als er selbst war. Brentanos Hingabe und Liebe zu Sophie Mereau war absolut, denn offenbar schrieb er Mereau eine Mutterrolle zu, die diese aber zun\u00e4chst nicht zu \u00fcbernehmen bereit war. Nach der L\u00f6sung Sophie Mereaus von ihrem fr\u00fcheren Mann ging sie mit Brentano eine Verbindung ein und sie zogen nach Heidelberg. Von welch besitzergreifender Zuneigung zu Sophie Mereau Brentano ergriffen war, zeigt folgender Auszug aus einem Gedicht, welches Brentano zur Geburt des ersten Kindes dichtete<\/span><\/span>: \u201e O Mutter halte dein Kindlein warm \/ Die Welt ist kalt und helle \/ Und leg` es sanft in deinen Arm \/ An Deines Herzens Schwelle.\u201c<\/i><\/span><\/span> Und am Ende des Gedichts l\u00e4sst Brentano ein Kind zu seiner Mutter sagen: <\/span><\/span>\u201eWas heilig dir zu aller Stund` \/ Das bin ich all gewesen, \/ O k\u00fcss mich s\u00fc\u00dfer Mund gesund, \/ Weil du an mir genesen.\u201c<\/i><\/span><\/span> 3<\/sup><\/a> Das neue Vatergl\u00fcck endete jedoch j\u00e4h, als zun\u00e4chst das erste Kind und kurz darauf auch das zweite starb. Als Sophie Mereau bei ihrer dritten Geburt im Kindbett verschied, war dies ein schwerer Schicksalsschlag f\u00fcr Brentano.<\/span><\/span><\/p>\n

Warum ist es am Rhein so sch\u00f6n? <\/b><\/span><\/span>Die Tragik in Brentanos Lebenslauf spann sich auch nach dem Tode von Sophie Mereau weiter fort. Brentano lernte in Frankfurt die junge Auguste Bussmann kennen, die aus einer reichen Bankiersfamilie stammte. Kurz darauf fand die Hochzeit statt, doch in dieser Ehe war Brentano kein Gl\u00fcck beschieden. 1814 trennten sich ihre Wege wieder. <\/span><\/span><\/p>\n

Eine sehr ergiebige Phase in Brentanos schriftstellerischem Schaffen resultierte aus der Zusammenarbeit mit Achim von Arnim, seinem sp\u00e4teren Schwager, den er in G\u00f6ttingen kennengelernt hatte. Mit von Arnim unternahm er 1802 eine Rheinreise. Der Rhein galt nicht erst seit den Befreiungskriegen gegen Napoleon als \u201eSchicksalsstrom\u201c und \u201edeutschester aller Fl\u00fcsse\u201c, sondern diente zuvor schon als ein Sehnsuchtsort und dichterische Inspirationsquelle. Das Bild des mit Weinreben und Burgruinen bekr\u00e4nzten oberen Mittelrheintals zwischen Bingen und Koblenz, mit dem Loreley- Felsen als Manifestationsort aller romantischen Sehns\u00fcchte, hat sich tief in die deutsche Volksseele eingegraben. Auch Clemens Brentano lie\u00df das Rheinmotiv in zahlreiche seiner Gedichte einflie\u00dfen, wie etwa hier in dem Gedicht <\/span><\/span>Abschied vom Rhein<\/i><\/span><\/span>: <\/span><\/span>\u201eNun, gute Nacht! mein Leben, \/ Du alter, treuer Rhein! \/ [\u2026] \/ Der Schiffer schl\u00e4ft im Nachen \/ Und tr\u00e4umet von dem Meer; \/ Du aber du musst wachen \/ Und tr\u00e4gst das Schiff einher; \/ Du f\u00fchrst ein freies Leben, \/ Durchtanzest bei den Reben \/ Die ernste Nacht. \/ [\u2026] \/ Auch manchen lehrst du weinen, \/ Dem du sein Lieb entf\u00fchrt, \/ Gott wolle die vereinen, \/ Die solche Sehnsucht r\u00fchrt; \/ [\u2026] \/ Gut Nacht! ich muss mich wenden, \/ Muss nun mein Singen enden, \/ Gut Nacht! mein Rhein!\u201c 4<\/sup><\/a><\/i><\/span><\/span><\/p>\n

Das Hauptwerk von Brentano und Arnim bildete <\/span><\/span>\u201eDes Knaben Wunderhorn\u201c<\/i><\/span><\/span>, eine zwischen 1806 und 1808 erschienene mehrb\u00e4ndige Sammlung deutschen Volksliedgutes. Hierf\u00fcr trugen beide alte Handschriften und Drucke aber auch m\u00fcndliche \u00dcberlieferungen sowie zeitgen\u00f6ssische Gedichte zusammen. Die dichterische Leistung Brentanos lag vor allem darin, die Texte nicht nur gesammelt, sondern sie auch in eine f\u00fcr ihn charakteristische klangvolle Sprache, in einen \u201eVolksliedton\u201c \u00fcberf\u00fchrt zu haben. Brentano f\u00fcgte in die Sammlung aber auch eigens verfasste Dichtungen ein. Er besa\u00df die genialische Begabung, die Form und Sprachgestalt alter Textvorlagen so nachzuahmen, dass er \u201edamit ganze Generationen von Germanisten genarrt hat.\u201c 5<\/sup><\/a> Der historische Wert der Arbeiten Brentanos und Arnims steht jenem der Gebr\u00fcder Grimm, die etwa zeitgleich alte Volksm\u00e4rchen und -sagen verschriftlichten und somit vor dem Vergessen bewahrten, in nichts nach. Das Liedgut <\/span><\/span>\u201eDes Knaben Wunderhorn\u201c <\/i><\/span><\/span>fand in der nachfolgenden Zeit vielfach Eingang in Liederb\u00fccher f\u00fcr Jugendliche oder Studenten und wirkte fortan oftmals als Bezugspunkt f\u00fcr andere K\u00fcnstler. <\/span><\/span><\/p>\n

Die katholische Wende <\/b><\/span><\/span> Im Herbst 1814 ging Brentano nach Berlin. Die dortigen Ereignisse ver\u00e4nderten sein nachfolgendes Leben nachhaltig, denn zum damaligen Zeitpunkt befand er sich in einer ernsten Lebenskrise. In einem Brief an Wilhelm Grimm schrieb er: <\/span><\/span>\u201eMein ganzes Leben habe ich verloren, teils in Irrtum, teils in S\u00fcnde, teils in falschen Bestrebungen. Der Blick auf mich selbst vernichtet mich, und nur wenn ich die Augen flehend zum Herrn aufrichte, hat mein zitterndes und zagendes Herz einigen Trost. [\u2026] Meine dichterischen Bestrebungen habe ich geendet, (\u2026) denn man soll das Endliche nicht schm\u00fccken mit dem Unendlichen, um ihm einen Schein des Unendlichen zu geben.\u201c 6<\/sup><\/a> <\/i><\/span><\/span>Zur Sprache kamen hier einerseits Zweifel am literaturtheoretischen Dogma der Romantik wie es Novalis formulierte: <\/span><\/span>\u201eIndem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gew\u00f6hnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die W\u00fcrde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.\u201c<\/i><\/span><\/span> 7<\/sup><\/a> Brentano zweifelte auch an der tragenden Rolle der Literatur in seinem Leben, wo er nicht mehr genug Halt zu finden schien. Andrerseits finden sich in dem Brief deutliche Anzeichen einer R\u00fcckbesinnung auf das katholische Glaubensgut. In dieser Hinsicht besonders war f\u00fcr ihn die Begegnung mit der 18-j\u00e4hrigen Luise Hensel, in die er sich verliebte und die er heftig umwarb, sehr pr\u00e4gend. Als er auf sie traf, befand sich Luise Hensel, die protestantische Pfarrerstochter, in einem Prozess der Ann\u00e4herung an die katholische Kirche. Ihr Wirken, besser gesagt ihr Dr\u00e4ngen, er\u00f6ffnete Brentano den Weg, selbst wieder in den Scho\u00df der Kirche zur\u00fcckzukehren. Im Februar 1817 legte Brentano in der Berliner Hedwigskirche eine Generalbeichte ab. Auch wenn sich Brentano nunmehr wieder mit seiner Kirche vers\u00f6hnt hatte, trug sein intensives Werben um Luise Hensels Hand keine Fr\u00fcchte. Die feinf\u00fchlige und introvertierte junge Frau wollte Brentanos vereinnahmendem Dr\u00e4ngen nicht nachgeben, was diesen bitter kr\u00e4nkte. In jenen Jahren entstand ein Gedicht Brentanos, das den Namen <\/span><\/span>Als ich in tiefen Leiden<\/i><\/span><\/span> tr\u00e4gt: <\/span><\/span>\u201eAls ich in tiefen Leiden \/ Verzweifelnd wollt ermatten, \/ Da sah ich deinen Schatten \/ Hin \u00fcber meine Diele gleiten, \/ Da wusst ich, was ich liebte, \/ Und was so schrecklich mich betr\u00fcbte, \/ O Wunder aller Zierde, \/ Du feine ernste Myrte.\u201c 8<\/sup><\/a> <\/i><\/span><\/span>In unnachahmlich scharfsinniger Weise illustriert Brentano hier, der diese Situation selbst viele Male durchlebte und durchlitt, dass der Grat zwischen Liebe und Leiden, Gl\u00fcck und Verzweiflung \u00e4u\u00dferst schmal sein kann. <\/span><\/span><\/p>\n

Luise Hensel konvertierte 1818 zum katholischen Glauben. Sie blieb Zeit ihres Lebens unverheiratet und arbeitete als Erzieherin und Pflegerin, bis sie 1876 starb. Aus ihrer Feder stammt unter anderem das ber\u00fchmte Abendgebet <\/span><\/span>M\u00fcde bin ich, geh zur Ruh, schlie\u00dfe beide Augen zu.<\/i><\/span><\/span><\/p>\n

Die Zur\u00fcckweisung, die Brentano von Luise Hensel, machte ihn ruhelos und verst\u00e4rkte in ihm das Gef\u00fchl des Getriebenseins. Hinzu kam, dass er seine Existenz als Schriftsteller immer mehr infrage stellte. Aufschluss \u00fcber diese Selbstzweifel gibt seine bekannteste Erz\u00e4hlung <\/span><\/span>Geschichte vom braven Kasperl und dem sch\u00f6nen Annerl<\/i><\/span><\/span> aus dem Jahre 1817. Sie geh\u00f6rt gleichzeitig zu den sch\u00f6nsten Erz\u00e4hlungen, die eine deutsche Dichterhand jemals hervorgebracht hat. Brentano schuf in ihr eine dunkel-d\u00fcstere, von Weltschmerz durchdrungene Atmosph\u00e4re, in die er eine Handlung \u00fcber die Begriffe der wahren und der falschen Ehre, der Gnade und der Gerechtigkeit entwickelt. In Bezug auf seine Selbstzweifel interessant sind seine Gedanken zur schriftstellerischen Existenz, die er in die Handlung einarbeitete. Er schrieb: <\/span><\/span>\u201eEs ist wunderbar, dass ein Deutscher sich immer ein wenig sch\u00e4mt, zu sagen: er sei ein Schriftsteller; [\u2026] Doch diese nicht deutsche Sitte ist es nicht allein, welche das Wort Schriftsteller so schwer auf der Zunge macht, (\u2026) , sondern eine gewisse innere Scham h\u00e4lt uns zur\u00fcck, ein Gef\u00fchl, welches jeden bef\u00e4llt, der mit freien und geistigen G\u00fctern, mit unmittelbaren Geschenken des Himmels Handel treibt.\u201c 9<\/sup><\/a> <\/i><\/span><\/span>Auch wenn Brentano zweifelsohne seinen Glauben wiedergefunden hatte, so konnte er trotz dessen vorerst seinen inneren Frieden nicht finden, nach dem er sich doch insgeheim sehnte.<\/span><\/span><\/p>\n

Bann und innere Zerr\u00fcttung: Die Begegnung mit Anna Katharina Emmerick <\/b><\/span><\/span> Im September 1818 er\u00f6ffnete sich f\u00fcr Brentano die M\u00f6glichkeit, in D\u00fclmen im M\u00fcnsterland die stigmatisierte ehemalige Augustinerinnennonne Anna Katharina Emmerick aufzusuchen, von der er zuvor bereits geh\u00f6rt hatte. Den Ansto\u00df zur Reise nach D\u00fclmen gab Johann Michael Sailer, ein Theologieprofessor, der in Ingolstadt lehrte, und sp\u00e4ter Bischof von Regensburg wurde. Das Aufeinandertreffen Brentanos mit Emmerick markierte einen tiefen Einschnitt in seinem Leben \u2212 er verbrachte die kommenden Jahre in D\u00fclmen und auch sein schriftstellerisches Werk blieb davon nicht unber\u00fchrt. <\/span><\/span><\/p>\n

Emmerick entstammte einer armen Bauersfamilie. 1802 fand sie Aufnahme in einem Augustinerinnenkloster in D\u00fclmen, welches 1811 im Zuge der S\u00e4kularisation aufgel\u00f6st wurde. In der Folge arbeitete sie im Haushalt eines aus Frankreich emigrierten Priesters, bis sie selbst bettl\u00e4gerig wurde. Etwa zeitgleich ereilten die durch einen schweren Unfall Gezeichnete ihre ersten Visionen vom Leben Christi. Als Brentano erstmals auf sie traf, schrieb er tief bewegt: <\/span><\/span>\u201eAlles, was sie sagt, ist schnell, kurz, einfach, einf\u00e4ltig, ganz schlicht, ohne breite Selbstgef\u00e4lligkeit, aber voll Tiefe, voll Liebe, voll Leben, und doch ganz l\u00e4ndlich, wie eine kluge, feine, frische, keusche, gepr\u00fcfte recht gesunde Seele.\u201c 10<\/sup><\/a> <\/i><\/span><\/span>Der Dichter f\u00fchlte sich zu Emmerick hingezogen, und wie schon so oft zuvor, wenn er einer Frau begegnete, die er verehrte, begann er auch hier Emmerich eine idealisierende Mutterrolle zuzuschreiben. Brentano sah in der Niederschrift der Visionen Emmericks nunmehr seine eigentliche Berufung und Bestimmung und richtete sich auf einen langen Aufenthalt in D\u00fclmen ein. Ihn trieb eine gesteigerte Erl\u00f6sungssehnsucht, die sich sp\u00fcrbar in der Metaphorik seiner Gedichte jener Zeit niederschl\u00e4gt, wie auch das Bed\u00fcrfnis nach einer intensiven Gotteserfahrung nahezu t\u00e4glich an das Bett der Emmerick<\/span><\/span>. \u201e Meister, ohne dein Erbarmen \/ Muss im Abgrund ich verzagen \/ Willst du nicht mit starken Armen \/ Wieder mich zum Lichte tragen \/ [\u2026] \/ Dass des Lichtes Quelle wieder \/ Rein und heilig in mir flute, \/ Tr\u00e4ufle einen Tropfen nieder, \/ Jesus, mir, von deinem Blute!\u201c (aus: Fr\u00fchlingsschrei eines Knechtes aus der Tiefe)<\/i><\/span><\/span>.11<\/sup><\/a> Mit einer passiven Rolle als Protokollant der Visionen aus dem Leben Jesu gab sich Brentano jedoch nicht zufrieden. Er stellte gezielt Fragen und strebte nach einer Objektivierung von Emmericks Angaben, um ihnen die Gestalt eines historischen Tatsachenberichts zu geben. Nach der anf\u00e4nglichen Euphorie, die ihn nach seiner Ankunft erf\u00fcllte, und seiner Freude am einfachen Leben der D\u00fclmener Landbev\u00f6lkerung, befiel ihn nach einiger Zeit hin und wieder ein Gef\u00fchl der Einsamkeit und Desillusionierung. Der Tod Emmericks im Jahre 1824 hinterlie\u00df in ihm ein Gef\u00fchl des Verlorenseins und der Orientierungslosigkeit. Einen guten Eindruck, in welchem Gem\u00fctszustand sich Brentano, der sich selbst immer wieder als Pilger bezeichnete, damals befand, vermittelt das Gedicht <\/span><\/span>Einsam will ich untergehn<\/i><\/span><\/span>: <\/span><\/span>\u201eEinsam will ich untergehn \/ Keiner soll mein Leiden wissen \/ Wird der Stern, den ich gesehn \/ Von dem Himmel mir gerissen \/ Will ich einsam untergehn \/ Wie ein Pilger in der W\u00fcste.\u201c 12<\/sup><\/a><\/i><\/span><\/span><\/p>\n

\u201eSooft der Mond wird scheinen\u2026Gott wolle uns vereinen\u201c <\/b><\/span><\/span>Nach dem Weggang aus D\u00fclmen lebte Brentano an unterschiedlichen Orten und nach einer kurzen Zeit in Frankfurt am Main siedelte er 1833 endg\u00fcltig nach M\u00fcnchen \u00fcber. Hier widmete er sich der Herausgabe der Visionen Anna Katharina Emmericks, die er in seiner Zeit in D\u00fclmen auf tausenden von Seiten zu Papier gebracht hatte. Im August 1833 erschien anonym <\/span><\/span>Das bittere Leiden unsres Herrn Jesu Christi<\/i><\/span><\/span>, ihm folgten die <\/span><\/span>Lehrjahre Jesu<\/i><\/span><\/span> und postum 1852 <\/span><\/span>Das Leben der heiligen Jungfrau Maria<\/i><\/span><\/span>. In M\u00fcnchen traf der Dichter auch auf die letzte gro\u00dfe Liebe seines Lebens: Emilie Linder, die Tochter verm\u00f6gender Baseler Gesch\u00e4ftsleute. Es war dies eine \u00e4hnliche Konstellation wie Jahre zuvor mit Luise Hensel, auch Emilie Linder war zun\u00e4chst Protestantin und bedeutend j\u00fcnger als Brentano. Sie war Malerin und konvertierte nach Brentanos Tod zum katholischen Glauben. In der Liebe zu Emilie Linder zeigte Brentano jenes Verhalten, das er schon so oft zuvor bei Frauen an den Tag gelegt hatte, die er verehrte. Er stilisierte und idealisierte Emilie Linder, denn Liebe kannte nach seinem Verst\u00e4ndnis \u201ekeine Einschr\u00e4nkung, sondern nur eine die ganze Person erfassende Hingabe.\u201c 13<\/sup><\/a> Diese Erlebnisse an Brentanos Lebensabend gaben seiner sp\u00e4ten Lyrik ein unverwechselbares Gepr\u00e4ge, wie etwa hier im Gedicht<\/span><\/span>, <\/i><\/span><\/span>das Brentano mit<\/span><\/span> 20. Jenner, nach gro\u00dfem Leid <\/i><\/span><\/span>betitelte: <\/span><\/span>\u201eIch darf wohl von den Sternen singen, \/ Mich hat die Blume angeblickt, \/ Und wird mein armes Lied gelingen, \/ Dann wird vom Stern mir zugenickt.\u201c Und es schlie\u00dft: \u201e<\/i><\/span><\/span>O Stern und Blume, Geist und Kleid, \/ Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.\u201c 14<\/sup><\/a><\/i><\/span><\/span> Doch auch sein innerster Wunsch nach einer Ehe ging nicht in Erf\u00fcllung. Trotz alledem verband die beiden bis Brentanos Lebensende eine tiefe und herzliche Freundschaft. <\/span><\/span> <\/b> Am 28. Juli 1842 starb Clemens Brentano, der schwer am Herzen erkrankt war, im Hause seines Bruders in Aschaffenburg. Was bleibt also von Brentano? Er war mit Sicherheit ein sensibler und feinf\u00fchliger Mensch, der Zeit seines Lebens mit dem Umstand zurechtkommen musste, dass er intensiver f\u00fchlte und lebte als die meisten Menschen um ihn herum. Brentano besa\u00df einen sehr liebevollen und f\u00fcrsorglichen Charakter, der jedoch eruptiv auch in sein Gegenteil umschlagen konnte. Er starb letzten Endes vers\u00f6hnt mit seiner Kirche, aber seine Gottesbeziehung war nie g\u00e4nzlich von Spannungen frei. Auf dem Gebiet der Literatur machte sich Brentano vor allem wegen seiner Sprache ber\u00fchmt, welche von einer melodischen Ausdruckskraft, Klangf\u00fclle und Musikalit\u00e4t durchdrungen ist, die seinesgleichen sucht. Beispielhaft hierf\u00fcr steht unter anderem die Dichtung <\/span><\/span>Der Spinnerin Nachtlied <\/i><\/span><\/span>aus dem Jahre 1802: <\/span><\/span>\u201eEs sang vor langen Jahren \/ Wohl auch die Nachtigall, \/ Das war wohl s\u00fc\u00dfer Schall \/ Da wir zusammen waren. \/ Ich sing\u00a0und kann nicht weinen \/ Und spinne so allein, \/ Den Faden klar und rein \/ So lang der Mond wird scheinen.\/ [\u2026] \/ So oft der Mond mag scheinen, \/ Gedenk ich dein allein, \/ Mein Herz ist klar und rein, \/ Gott wolle uns vereinen. \/ [\u2026] \/ Gott wolle uns vereinen, \/ Hier spinn ich so allein, \/ Der Mond scheint klar und rein, \/ Ich sing und m\u00f6chte weinen.\u201c<\/i><\/span><\/span> 15<\/sup><\/a> <\/span><\/span><\/p>\n

<\/a>Unser Dichter konnte auf ein wechselvolles Leben aus H\u00f6hen und Tiefen zur\u00fcckblicken. Deshalb liegt es im Bereich des Denkbaren, dass sich Brentano am Ende seines Lebens an die fast seherischen Worte von Goethes Mutter \u2212 die Familien Goethe und Brentano waren einander bekannt – zur\u00fcckerinnern mochte, die sie ihm nach eigenem Zeugnis in jungen Jahren mit auf den Lebensweg gab. Sie sagte: \u201eDein Reich ist in den Wolken und nicht von dieser Erde, und so oft es sich mit derselben ber\u00fchrt, wird\u2019s Tr\u00e4nen regnen.\u201c 16<\/sup><\/a><\/span><\/span><\/p>\n

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1<\/a> Brentano, Clemens: Gedichte. Hg. von Hartwig Schultz. Stuttgart 1995, S.105.<\/p>\n<\/div>\n

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2<\/a> Brentano, Clemens: Godwi oder das steinerne Bild der Mutter. Ein verwilderter Roman. Hg. von Ernst Behler. Stuttgart 1995, S.486.<\/p>\n<\/div>\n

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3<\/a> Scholz, G\u00fcnter: Clemens Brentano. Poesie, Liebe, Glaube. M\u00fcnster 2012, S.29-31.<\/p>\n<\/div>\n

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4<\/a> Brentano, Clemens: Gedichte. Hg. von Hartwig Schultz. Stuttgart 1995, S.83-84.<\/p>\n<\/div>\n

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5<\/a> Scholz, G\u00fcnter: Clemens Brentano. Poesie, Liebe, Glaube. M\u00fcnster 2012, S.53.<\/p>\n<\/div>\n

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6<\/a> Brieger, Anton: Clemens Brentano. Weg und Wandlung. Stein am Rhein 2006, S.343.<\/p>\n<\/div>\n

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7<\/a> Safranski, R\u00fcdiger: Romantik. Eine deutsche Aff\u00e4re. Frankfurt a. Main 2009, S.13.<\/p>\n<\/div>\n

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8<\/a> Brentano, Clemens: Gedichte. Hg. von Hartwig Schultz. Stuttgart 1995, S.170.<\/p>\n<\/div>\n

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9<\/a> Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem sch\u00f6nen Annerl. Hg. von Gerhard Schaub. Stuttgart 2003, S.13.<\/p>\n<\/div>\n

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10<\/a> Scholz, G\u00fcnter: Clemens Brentano. Poesie, Liebe, Glaube. M\u00fcnster 2012, S.65.<\/p>\n<\/div>\n

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11<\/a> Brentano, Clemens: Gedichte. Hg. von Hartwig Schultz. Stuttgart 1995, S.107.<\/p>\n<\/div>\n

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12<\/a> Brentano, Clemens: Gedichte. Hg. von Hartwig Schultz. Stuttgart 1995, S.140.<\/p>\n<\/div>\n

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