{"id":11077,"date":"2017-04-25T17:23:49","date_gmt":"2017-04-25T15:23:49","guid":{"rendered":"https:\/\/www.thecathwalk.de\/?p=11077"},"modified":"2021-12-09T12:23:43","modified_gmt":"2021-12-09T11:23:43","slug":"markustag-statt-weltpinguintag","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.thecathwalk.de\/2017\/04\/25\/markustag-statt-weltpinguintag\/","title":{"rendered":"Markustag statt Weltpinguintag"},"content":{"rendered":"\n
Der 25. April ist ein abendl\u00e4ndisches Datum. Der Tradition gem\u00e4\u00df fiel an diesem Tag die Stadt Troja; das ist einerseits f\u00fcr das Griechentum des Sieges und der Dichtung wichtig, andererseits f\u00fcr all jene, die sich als Nachkommen der \u201eedlen\u201c Trojaner inszeniert haben \u2013 angefangen mit den R\u00f6mern, deren zeitloses Imperium bereits Aeneas versprochen wurde, bis hin in die mittelalterliche Sagenwelt, welche die dynastische Legitimation europ\u00e4ischer K\u00f6nigsh\u00e4user legte; darunter fallen die Franken, denen trojanisches Blut angedichtet wurde. Einer der \u00dcberlebenden war der greise Antenor, der als einer der weisesten Trojaner galt. Angeblich soll dieser den kleinasiatischen Stamm der Heneter nach Italien gef\u00fchrt und dort die Stadt Patavium gegr\u00fcndet haben. Die bis dahin lebenden Euganeer wurden von diesem neuen Stamm in jene H\u00fcgelkette verdr\u00e4ngt, die heute als Euganeische H\u00fcgel bekannt sind; in Patavium, dem heutigen Padua, liegt sein (fiktives) Grab bis heute zur Besichtigung bereit. Es ist dies nichts anderes als der Gr\u00fcndungsmythos der Veneter, mit dem auch die Euganeischen Anekdoten beginnen \u2013 und damit der Urmythos dieser Landschaft und seines Volkes.<\/p>\n\n\n\n
Die Antike und das Christentum vereinen sich dann in der Gestalt des Heiligen Markus. Markus selbst stammte wohl aus einer j\u00fcdisch-griechischen Familie, die sich bereits sehr fr\u00fch zum Christentum bekennt. Die Sippe um Johannes Markos \u2013 so sein eigentlicher Name \u2013 scheint zu den verm\u00f6genderen Familien zu geh\u00f6ren, vielleicht war sie als Kaufmannsfamilie bereits ein vorgefasstes venezianisches Ideal. Zumindest war sie reich genug, sodass sich die J\u00fcnger Jesu im Haus Mariens sammelten, der Mutter von Markus. Wom\u00f6glich fand hier auch das Letzte Abendmahl statt. Nach dem Pfingstwunder geht Markus mit den anderen Aposteln auf Mission. Wichtiger ist jedoch jenes Evangelium, das er der Nachwelt hinterl\u00e4sst. Es ist das \u00e4lteste Werk dieses Typs; nicht unwichtig zu erw\u00e4hnen, dass es sich dabei um eine origin\u00e4re Erfindung dieses Heiligen handelt, weshalb er als Schutzpatron der Schriftsteller gilt.<\/p>\n\n\n\n
Alle anderen Evangelisten bauen auf ihm auf. Und es ist wohl kein Wunder, dass in \u00c4gypten, wo er als erster Bischof von Alexandria t\u00e4tig war, als erster Papst der koptischen Kirche angesehen wird. Einigen \u00dcberlieferungen zufolge kam er als Begleiter und Dolmetscher des Petrus nach Italien, wo ihm einst prophezeit wurde, dass sein K\u00f6rper hier seine letzte Ruhe finden sollte. Die Episode tr\u00e4gt sich bei einem Schiffbruch in einer Lagune zu \u2013 ob dies in der von Grado und Aquileia geschieht, oder der in Venedig, ist ein alter Streit zwischen den St\u00e4dten. Aquileia avanciert sehr fr\u00fch zu einem der bedeutendsten christlichen Zentren des R\u00f6mischen Reiches; es entwickelte sich das Patriarchat von Aquileia. Der Patriarch von Aquileia stand in der westlich-lateinischen Welt in der Rangfolge gleich nach dem Papst; auch hier eine Parallele zu \u00c4gypten, wo der Bischof von Alexandria ebenso Patriarch war, und in der \u00f6stlichen Welt als einer der rangh\u00f6chsten galt. Beide beriefen sich auf Markus als ihren Vorg\u00e4nger. Als die Langobarden in Italien einfielen, fl\u00fcchtete der Markusnachfolger von Aquileia in die sichere Lagune von Grado. Es kam zum Streit zwischen Grado und Aquileia; in Grado regierte der legitime Patriarch, aber der neu gew\u00e4hlte Patriarch in Aquileia hatte die Markusinsignien, so dessen Lehrstuhl. <\/p>\n\n\n\n
Der Impuls, den Leichnam des Heiligen Markus nach Europa zu bringen, geht nicht zuletzt von diesem Streit aus; es waren die Venezianer, die den Patriarchen von Grado unterst\u00fctzten, und wohl auch deswegen den Heiligen aus Alexandria nach Venedig \u00fcberf\u00fchrten. Viele m\u00f6gen diese \u201etranslatio\u201c als Diebstahl oder gar Raub bezeichnen; aber nach mittelalterlichem Verst\u00e4ndnis hatten nicht die Venezianer ein Zeichen gesetzt, sondern der heilige selbst. H\u00e4tte San Marco \u2013 und es ist dies der Name, unter dem ich jetzt den heiligen nur noch nennen werde \u2013 nicht nach Venedig gewollt, h\u00e4tte er es verhindert. Schlie\u00dflich war der M\u00e4rtyrer, der an einem 25. April von einem heidnischen Mob zu Tode stranguliert wurde, nicht irgendwer. Nach damaliger Vorstellung musste so ein wichtiger und gottesf\u00fcrchtiger Mann eine besondere Verbindung zu Gott besitzen. Kurz: h\u00e4tte San Marco nicht in Venedig begraben werden wollen, so h\u00e4tte er sich ja gewehrt.<\/a><\/p>\n\n\n\n Von diesem Moment an ist Markus der Nationalheilige Venedigs \u2013 und wird es schlie\u00dflich im gesamten Einflussgebiet der Republik. Der Markuskult wird Integrationsmittel von der westlombardischen Adda bis zu den K\u00fcstenklippen Zyperns. Der venezianische Markusl\u00f6we wird Wappentier, Staatssymbol, Bekenntnis. Wo der L\u00f6we mit seinen Schwingen antippt, wird das Bekenntnis zu San Marco Bekenntnis zu Venedig und umgekehrt. San Marco erhebt die Republik auch in die erste Liga der spirituellen Gro\u00dfm\u00e4chte. Martin mag Frankreich, Petrus Rom, Andreas Ostrom sch\u00fctzen, Jakob Spanien sch\u00fctzen; mit Markus ist Venedig dieser Riege ebenb\u00fcrtig.<\/p>\n\n\n\n Im Mittelalter berufen sich Notare und Anw\u00e4lte in ihren Z\u00fcnften (ja, in Italien gab es solche!) auf ihn; die Glaser von Murano tun es ebenfalls. Das B\u00e4ckerhandwerk ehrt ihn mit dem Markusbrot (Marci panis = Marzipan). Ortschaften, Br\u00fccken und Stra\u00dfen erhalten seinen Namen. Bei den Bauern gilt das Datum als Stichtag gleich mehrerer Regeln. Ein anderer Namen f\u00fcr die in dieser Zeit schwirrenden Fliegen war \u201eMarkusfliegen\u201c. Am Abend vor San Marco, dem \u201eSaint Mark\u2019s Eve\u201c war es in England \u00fcblich, Nachtwachen zwischen 23 Uhr und 1 Uhr Nachts zu halten; die Geister jener, die das kommende Jahr sterben w\u00fcrden, sollten in dieser Nacht zu sehen sein. In Venedig ist es Brauch, dass junge M\u00e4nner ihrer Geliebten an diesem Tag eine Rosenknospe schenken \u2013 von dieser Geschichte erz\u00e4hle ich aber ein andermal.<\/p>\n\n\n\n Der Patriarch von Venedig ist (als Nachfolger Aquileias) weiterhin einer der h\u00f6chsten Kirchenvertreter der r\u00f6misch-katholischen und ist traditionsgem\u00e4\u00df Kardinal. San Marco gilt im liturgischen Kalender immer noch als ein \u201eFest\u201c der katholischen Kirche (und dar\u00fcber hinaus so ziemlich jeder anderen nicht-reformierten Kirche). Papst Tawadros II., der Vorsteher der koptischen Kirche, ist der 117. Nachfolger des Evangelisten. Bis heute richten die Kopten nach einer Liturgie aus, die offiziell von San Marco selbst vorgeschrieben wurde. Ein guter tag daher auch, an die Verfolgung der Christen in \u00c4gypten zu dneken \u2013 die dasselbe Martyrium wie der Urvater der dortigen Christengemeinde erleiden.<\/p>\n\n\n\n Der 25. April ist zugleich letzter m\u00f6glicher Termin f\u00fcr das Osterfest, was dazu f\u00fchren kann, dass Ostern auf San Marco, Pfingsten auf Sankt Antonius, und Fronleichnam auf Sankt Johannes f\u00e4llt; mit dieser seltenen Begebenheit wird auch folgender Spruch zitiert:<\/p>\n\n\n\n Quando Marcus Pascha dabit, (Wenn es Markus an Ostern gibt, Antonius Pfingsten begeht, Johannes (an Fronleichnam) Jesus ehrt, feiert das ganze Christentum)<\/p><\/blockquote>\n\n\n\n <\/p>\n\n\n\n In einer anderen Form gilt dies als b\u00f6ses Omen, n\u00e4mlich wenn man die letzte Zeile mit \u201eTotus mundus vae clamabit\u201c ersetzt (die ganze Welt wird Wehe! schreien). In deutscher Variante gibt das den Spruch:<\/p>\n\n\n\n Wenn Ostern auf Sanct-Markus f\u00e4llt, Die Herkunft dieser Prophezeiung ist unklar, jedoch wenigstens seit der Fr\u00fchen Neuzeit belegt. Bisher ist diese Konstellation nur 14-mal in den letzten 2000 Jahren eingetreten. Eines davon ist das Jahr 1546, das Todesjahr Martin Luthers, was ein Hinweis auf den Ursprung sein k\u00f6nnte, sowie die jeweils anders lautende Schlusszeile. Katholiken und Protestanten k\u00f6nnten das Dahinscheiden des Reformators jeweils anders gedeutet haben.<\/p>\n\n\n\n Zuletzt: in Italien feiert man heute den Jahrestag der \u201eBefreiung\u201c vom Faschismus, die ebenfalls auf den 25. April f\u00e4llt. Das bringt es mit sich, dass San Marco auch nach dem Untergang Venedigs weiterhin ein Feiertag ist, wenn auch aus anderem Anlass. Die Regionalisten nutzen diese M\u00f6glichkeit nat\u00fcrlich, um ihre patriotischen Feste, Kundgebungen und Demonstrationen abzuhalten. In vielen Orten Venetiens gibt es Veranstaltungen, ob politisch oder kulturell, um das Andenken an den Schutzpatron fortzuf\u00fchren.<\/p>\n\n\n\n Zusammengefasst: der 25. April ist Markustag. Selbst atheistische Regionalisten in Venetien k\u00f6nnen sich nur diesen Tag als Feiertag einer neuen Republik Venedig vorstellen (einzig der Schlachttag von Lepanto gilt als andere Option).<\/p>\n\n\n\n Der Markustag ist zugleich unangenehm. Denn er setzt Bekenntnis voraus: zu einer Religion, zu einer Heimat, zu einer Tradition. Ein gl\u00e4ubiger Muslim kann kaum den Tag eines Mannes begehen, der auch als Patron der Schweinehirten gilt; der Aufkl\u00e4rer mag sich an dem Mythos sto\u00dfen; der Grenzenlose an der Fixierung auf Raum und V\u00f6lker. Im Zeitalter der Unverf\u00e4nglichkeiten sind Bekenntnisse verd\u00e4chtig. Die Atheisten k\u00f6nnen sich nicht vorstellen, dass heute ein katholisches Fest und der Namenstag von Millionen M\u00e4nnern gefeiert wird, von der S\u00fcdspitze Argentiniens bis zu den sonnigen Palmenstr\u00e4nden der Karibik, auf toskanischen H\u00fcgeln, in kleinen griechischen D\u00f6rfern, am schlammigen Nil oder in den eisigen Zonen M\u00fctterchen Russlands.<\/p>\n\n\n\n Daher brauchen wir Toleranzfeste. Tag des Baumes. Weltpinguintag. B\u00e4ume und Pinguine mag jeder. Sie grenzen sich nicht aus. Sie bekennen sich zu nichts. Es ist diese triste Gr\u00e4ue, diese Formlosigkeit, diese Ideenlosigkeit, dieser Mangel an jeglicher Spiritualit\u00e4t, an Geschichte, Bewusstsein oder nur einem Hauch von Kultur, welchen die \u201eBunten\u201c dieser Welt predigen. Diese v\u00f6llig infantile Geisteshaltung, die jedes Bekenntnis zu irgendeiner Identit\u00e4t unter Verdacht stellt, kommt beim intellektuellen P\u00f6bel hervorragend an \u2013 denn in Zeiten des Globalismus kommen ein paar putzige V\u00f6gel besser an als eine Hinwendung zu dem, was die Menschheit eigentlich ausmacht. Dieselbe Geisteshaltung beschert uns Lichterfester statt Sankt Martin und Winterfeste statt Weihnachten. Auf dem N\u00e4hrboden von geistloser Toleranz w\u00e4chst \u2013 gepaart mit infantiler Dummheit \u2013 eine Form von austauschbarer Kulturlosigkeit heran, zu der sich eben jeder gesellen kann, der gerade Laune hat. Bis zum n\u00e4chsten Welttag des Wassers, der Frauen, oder eines anderen effektheischenden Unsinns, der gerade besch\u00e4ftigt. F\u00fcnf Minuten Verz\u00fcckung statt f\u00fcnf Minuten Hass.<\/p>\n\n\n\n Sie d\u00fcrfen sich nachfolgend zwischen Vivaldis Jubelchor aus Juditha Triumphans<\/a> \u2013 der geheimen Nationalhymne der Markusrepublik \u2013 oder Pinguinen entscheiden.<\/p>\n\n\n\n
Antonius Pentecostabit,
Joannes Christum adorabit,
Fides Christi jubilabit.<\/em><\/p>
\nSanct-Anton sich an Pfingsten h\u00e4lt,
\nJohann sich auf den Leichnam stellt,
\nso schreiet Weh die ganze Welt.<\/em><\/p><\/blockquote>\n\n\n\n