Erstveröffentlichung: 7. September 2010
Ein Beitrag der KJB München
Liebe, Ehe, Familie, gemeinsames Glück – es gibt kaum einen anderen natürlichen Bereich, der im menschlichen Leben eine ähnlich zentrale Rolle spielen würde, gerade für heranwachsende Jugendliche. Wie stelle ich mir meine Zukunft vor? Wie finde ich den Mann oder die Frau fürs Leben? Werde ich einmal Kinder haben? Und eine glückliche Familie…?
Auch die Eltern bewegen diese Fragen und sie überlegen, wie sie ihre Kinder zu einem glücklichen, liebeerfüllten Leben führen können. Für uns Christen gibt es kein glückliches Leben ohne Gott, dessen Gebote die natürliche Ordnung umreißen, innerhalb derer wir leben müssen und dürfen, um glücklich und heilig zu werden.
Was also müssen (zukünftige) Eltern beachten, um ihre Kinder zur rechten Liebe zu erziehen? Welche Einstellung zu Liebe und Geschlechtlichkeit müssen sie sich selbst aneignen, um später ihren Kindern ein leuchtendes Beispiel geben zu können? Aber nicht nur die Eltern erziehen: Auch der Staat versucht natürlich einzugreifen und die Jugendlichen seinen Vorstellungen gemäß auf das Leben vorzubereiten, was in Bezug auf unsere Frage – die Erziehung in der menschlichen Liebe – vor allem durch Vorgaben der Kultusministerien für den schulischen Sexualkundeunterricht geschieht.
Kurzer Überblick über den Aufbau
Um eine Grundlage zur Beurteilung der schulischen Sexualkunde zu gewinnen und den positiven christlichen Ansatz in den Vordergrund zu stellen, werden wir zunächst (in Teil I) zeigen, was uns die Lehre der katholischen Kirche über die christliche Erziehung von Kindern zu Reinheit und wahrer Liebe sagt: Aus grundsätzlichen Überlegungen zur menschlichen Geschlechtlichkeit, Liebe und Keuschheit sowie zum Elternrecht und zur Rolle anderer Erzieher ergeben sich die Prinzipien für eine christliche Geschlechtserziehung, aus denen dann, den Entwicklungsphasen der Kinder entsprechend, praktische Richtlinien für die Erziehung folgen.
An diesem Punkt stellt sich sodann die Frage nach der schulischen Sexualerziehung (SE), die die meisten von uns irgendwie betrifft: Priester, Lehrer und Erzieher genauso wie die Eltern schulpflichtiger Kinder und nicht zuletzt uns Jugendliche selbst, die von allen Seiten mit der heutzutage üblichen Auffassung von Sexualität und Liebe konfrontiert werden.
In Teil II soll daher dargelegt werden, was die Ursprünge, Ideen und Ziele der schulischen SE sind und welche Argumente gegen SE aus den in Teil I genannten Prinzipien folgen, wobei auch Einwände geprüft und beantwortet werden sollen.
Zum Abschluss (Teil III) haben wir einige praktische Hinweise sowie Literatur zusammengetragen, die allen Betroffenen Hilfestellung geben, und allen Interessierten eine eingehendere Beschäftigung mit diesem für die Reinheit und seelische Unverletztheit unserer Kinder so wichtigen Thema ermöglichen wollen.
I. Erziehen zu wahrer Liebe – aber wie?
1) Die menschliche Geschlechtlichkeit und der wahre Sinn der Liebe
Die Berufung des Menschen
Um ein kleines Kind zu einem guten Erwachsenen zu erziehen, muss man zuallererst wissen, was der Sinn des Lebens dieses Kindes ist – nur aus dem Ziel ergeben sich der Weg und die Methode, es zu erreichen. Jede Überlegung über die Erziehung muss also von der Wahrheit ausgehen, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist, um Gott und die Menschen zu lieben. Auch die menschliche Geschlechtlichkeit ist daher eingebettet in diese „grundlegende und naturgemäße Berufung des Menschen zu einer Liebe, die nicht Begehren eines Genussobjektes, sondern vielmehr personale Hingabe ist, eine aufopfernde, vom Egoismus befreite Liebe“.[1] Sie lässt die Menschen an der göttlichen Schöpfung neuen Lebens teilnehmen und ist gleichzeitig Ausdruck für die Berufung des Menschen zu gegenseitigem Sich-Schenken.
Von der Natur der menschlichen Geschlechtlichkeit
Die heutige Gesellschaft, in allen Bereichen sexualisiert, lebt nach einer völlig anderen, falschen Auffassung von Geschlechtlichkeit und Liebe, die verheerende Folgen hat. Um dies richtig beurteilen zu können, muss man sich erst selbst im Klaren sein über die Wahrheit und Bedeutung der menschlichen Sexualität.
Der Philosoph und katholische Denker Dietrich von Hildebrand[2] stellt dies in einer Stellungnahme zur Schulsexualkunde klar heraus: „Wenn wir den durch die angebliche Sexualerziehung in der Schule den Seelen der Kinder zugefügten Schaden ermessen wollen – Schaden nicht nur vom sittlichen Gesichtspunkt aus, sondern auch von dem der Unversehrtheit des Menschen und der geistigen Gesundheit –, gilt es zunächst, die Natur der Sexualität selbst zu erfassen.“[3] Da seine sehr klarsichtigen Ausführungen es wert sind, einmal in Ruhe gelesen und in ihrer Konsequenz durchdacht zu werden, möchten wir im Anschluss an diesen Artikel einen Teil davon wörtlich in ihrem vollen Umfang zitieren, und beschränken uns daher hier auf eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:
Auf philosophische, aber doch leicht verständliche Weise zeigt Hildebrand, dass die menschliche Sexualität sich radikal von allen anderen menschlichen Begierden wie etwa Hunger oder Durst unterscheidet, da sie eine besondere Tiefe und einzigartige Intimität besitzt, die sie qualitativ von den anderen Instinkten unterscheidet. Da sie von Gott als Ausdruck der bräutlichen Liebe angelegt ist, die eine letzte persönliche Vereinigung zweier Menschen in Hingabe und unwiderruflicher Einheit darstellt, kann sie nicht von dieser Einbettung in die bräutliche Liebe getrennt werden, ohne völlig missbraucht zu werden.
Sogar in der Ulmer Ärztedenkschrift von 1965, die etwa 400 unterzeichnende Professoren und Ärzte der deutschen Regierung zukommen ließen, um auf die Probleme im Zusammenhang mit der starken Sexualisierung der Gesellschaft aufmerksam zu machen, heißt es: „Das Wesen der Geschlechtlichkeit ist beim Menschen die völlige Einswerdung von zwei Menschen in einer körperlich-seelisch-geistigen Lebensgemeinschaft. Sichtbarer Ausdruck der Unlösbarkeit dieser Verbindung zwischen Mann und Frau ist das Kind, das in seiner neuen Existenz die unteilbare Einheit beider Elternteile biologisch verkörpert. Ihr Sinn ist deshalb die Erhaltung der menschlichen Art und die Gemeinschaftsbildung. Der einseitige und selbstsüchtige Missbrauch entwürdigt und zerstört die menschliche Persönlichkeit und die Gemeinschaft.“[4]
Ohne Keuschheit und Selbstbeherrschung keine wahre Liebe!
Die menschliche Geschlechtlichkeit entfaltet also nur in Ausrichtung auf das Kind und im Rahmen der bräutlichen Hingabe ihre wahre Natur. Warum aber setzt diese wahre Liebe nun die Tugend der Keuschheit voraus?
Weil es kein Wachstum der sich hingebenden Liebe geben kann ohne Zügelung der Leidenschaften und Gefühle: „Niemand kann etwas geben, was er nicht besitzt: Wenn der Mensch nicht Herr seiner selbst ist, dann gehört er nicht sich selbst und kann sich mithin auch nicht verschenken“ (päpstliches Dokument Wahrheit und Bedeutung, Abschnitt 16). Keuschheit ist daher keine Unterdrückung, sondern im Gegenteil eine Befreiung: Sie ist „jene geistige Kraft, die die Liebe gegen die Gefahren von Egoismus und Aggressivität zu schützen und zu ihrer vollen Entfaltung zu führen versteht“ (4).[5] Daher gehören auch Keuschheit und das Erlernen von Selbstbeherrschung eng zusammen, denn „die Alternative ist klar: Entweder ist der Mensch Herr über seine Triebe und erlangt so den Frieden, oder er wird ihr Knecht und somit unglücklich. Jeder weiß aus Erfahrung, dass die Keuschheit es erforderlich macht, gewisse sündhafte Gedanken, Worte und Werke von sich zu weisen, wozu der hl. Paulus uns häufig genug in aller Deutlichkeit ermahnt. […] Diese Selbstbeherrschung besteht darin, dass man […] die Gelegenheiten meidet, die zur Sünde herausfordern und verleiten, […] dass man die triebhaften Regungen der eigenen Natur zu beherrschen vermag“ (18).
Keuschheit kommt nicht von allein…
Infolge der Erbsünde ist die menschliche Natur allerdings so geschwächt, dass die Tugend der Keuschheit (die der Mäßigkeit zugeordnet ist!) durch Einübung errungen, ja zuweilen sogar heroisch erkämpft werden muss, wenn man in einem Umfeld lebt, das die Keuschheit auslacht und beschimpft. Und doch ist die jugendliche Reinheit die beste und wichtigste Vorbereitung auf die spätere Berufung des Kindes, sei es zur ehelichen Keuschheit oder zur Jungfräulichkeit im Priester- und Ordensstand! Aus diesem Grund muss zur Reinheit und Enthaltsamkeit erzogen werden: „Rein zu bleiben in dieser Flut aus Versuchungen ist nicht eine Frage von frommen, aufrichtigen Wünschen; es bedarf dazu einer wahren, gesunden und vollkommenen Erziehung.“[6] Während die Kinder und Jugendlichen natürlich auch selbst den Kampf um die Reinheit führen müssen (lesen wir dazu den beeindruckenden Appell von Kardinal Newman, der ebenfalls in der vorliegenden Ausgabe des DGW abgedruckt ist!), so haben sie doch einen Anspruch darauf, von ihren Eltern geschützt, geformt und gewappnet zu werden.[7]
[1] Kurzfassung (= Faltblatt des Freundeskreises Maria Goretti e.V.), S. 1. Die kursiv gedruckten Abkürzungen von Titeln werden in den Literaturhinweisen am Ende des Artikels aufgelöst.
[2] Als das bedeutsamste Werk des Konvertiten Dietrich von Hildebrand (1889–1977) wird sein Buch „Das Wesen der Liebe“ bezeichnet. Er unterrichtete über 20 Jahre als Professor an der Jesuitenhochschule in New York und befasste sich nach seiner Emeritierung auch mit der Kirchenkrise, unter anderem in den Büchern „Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes“ (1968) und „Der verwüstete Weinberg“ (1972).
[3] Hildebrand, zu Beginn der Stellungnahme
[4] Ulmer Ärztegedenkschrift, S. 53. Näheres zu den Unterzeichnern der Denkschrift und ihren Beweggründen lässt sich ihr auf S. 51 und 60 entnehmen.
[5] Alle Zahlen in runden Klammern bei Zitaten verweisen auf die Absatznummern des päpstlichen Dokumentes Wahrheit und Bedeutung.
[6] Abbé A. Delagneau, Anhang 2
[7] Abbé A. Delagneau, Anhang 2