Ludwig van Beethovens Verhältnis zur Religion ist ein endloses Thema. Gesichert ist: der Komponist stand der Amtskirche äußerst skeptisch gegenüber. Kirchgänge sind so gut wie keine verbürgt. Eine Anekdote erzählt, noch auf seinem Sterbebett hätte Beethoven nach Erhalt des Sterbesakraments ironisch applaudiert – und verwies damit auf Kaiser Augustus‘ berühmtes „Plaudite amici, comedia finita est!“ Mittlerweile konnte diese Erzählung zwar widerlegt werden,* aber sie entspricht dem Bild, das bezüglich des Meisters der großen europäischen Sinfonien kursierte. Josef Haydn, praktizierender Katholik und eifriger Rosenkranzbeter sollte seinen talentiertesten Schüler gar einen „Atheisten“ schimpfen.
Der maßgebliche Punkt bei Beethovens Ansichten ist sein von aufgeklärten und demokratischen Idealen geprägtes Weltbild. Weniger die Kirche als solche, als prinzipiell jede Art von Autorität waren ihm zuwider – seine adligen Gönner und Bekannten hatten darunter im Übrigen weitaus mehr zu leiden als der Klerus. Gleichzeitig hatten Fürsten wie Bischöfe aber keinerlei Berührungsängste mit dem Freigeist; Künstlerfreiheit war damals noch ein unausgesprochenes Privileg, das man (noch) nicht wegen falscher politischer Gesinnung verlor. Für grandiose Musik nahm man auch die eine oder andere Marotte in Kauf.
Eines dieser Auftragswerke war die Messe in C-Dur, die nach der – später erschienen – Missa Solemnis als Beethovens wichtigstes sakrales Musikwerk gilt. In ihr atmet noch ganz Haydns Geist; und man mag meinen, auch dessen christliches Weltbild. Von angeblichen atheistischen Strömungen, naturgeistiger Auffassung – wie sie um 1800 unter Philosophen weit verbreitet war – oder gar protestantischen Gesinnungen, wie sie Beethoven in seiner Gottesbeziehung unterstellt wurden, hört man in dieser wenig heraus. Besonders das Credo, also der Dreh- und Angelpunkt des christlichen Gottesbekenntnisses, sticht dabei heraus;
Es existiert nicht nur der „eine Beethoven“. Da ist noch ein zweiter, neben dem rabiaten Radikalen, der alle Adligen aufknüpfen wollte; eine zutiefst spirituelle Seele, der die Schöpfung auf seinen Waldspaziergängen bewunderte und der in just jenen Jahren erfahren musste, dass er bald völlig ertauben sollte. Noch 5 Jahre vor der Messe in C-Dur hatte der Bonner Komponist mit Selbstmordgedanken gespielt, sein Schicksal als Martyrium begriffen. Der „Allmächtige“ tritt seitdem in seinen Briefen häufiger auf. Auch das ist für viele ein Beleg, dass Beethoven nur „Deist“ war.
Natürlich: da klingt zwischen dem glorreichen patrem omnipotentem auch eine feine Ironie durch, wenn mehrmals genitum wiederholt wird, und mit einer kleinen Pause ein non factum folgt, so, als nähme der Meister den gesamten Streit zwischen Arianern und Trinitariern auf. Aber wer mag nicht beim dunklen Adagio, begleitet vom klagenden passus an den schmerzhaften Weg der Via Dolorosa denken? Und geht es in seinem Ton nicht bis in die Tiefen der Hölle hinein? Kann man dergleichen als gottesfernen Mensch in solcher Erhabenheit komponieren, ohne selbst davon angetan zu sein?
Kommt im gewaltigen, triumphalen resurrexit, das mit seinen musikalischen Schwingungen des ascendit bis zu den himmlischen Höhen auf(er)steht, wirklich Beethovens Ansicht durch, Jesus sei nur ein gekreuzigter Jude gewesen, wie ihm nachgesagt wird? Soll das wirklich die Interpretation sein? Oder ist es nicht eher so, dass Beethoven, der mit seiner Ertaubung das schlimmste Leid eines Musikers erfahren durfte – gerade dadurch Zugang zum Martyrium Christi fand, und ebenso an eine eigene Erlösung glaubte?
Vielleicht war Beethoven kein Katholik. Das mag man anhand eines einzelnen musikalischen Stücks nicht bewerten wollen. Aber sein Credo ist in all seiner Pracht, seiner schöpfungsbejahenden Größe und seinen wallenden Klangkörpern zutiefst katholisch; es ist das tongeborene „Ja!“ zum Glaubensbekenntnis und schreit: Amen, Amen, Amen!
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*In der Tat waren Beethovens letzte Worte „Schade, schade – zu spät, leider zu spät!“, womit er sich auf die Weinlieferung des Tages bezog, die er aufgrund seines Ablebens verpassen würde. Im Übrigen eine Angelegenheit, die den Rheinländer deutlich sympathischer macht als das erfundene Ende.
Marco Fausto Gallina studierte Politik- und Geschichtswissenschaften in Verona und Bonn. Geboren am Gardasee, sozialisiert im Rheinland, sucht der Historiker das Zeitlose im Zeitgeistigen und findet es nicht nur in der Malerei oder Musik, sondern auch in der traditionellen italienischen Küche. Katholische Identität und europäische Ästhetik hängen für ihn dabei unzertrennlich zusammen. Unter den Schwingen des venezianischen Markuslöwen betreibt er seit 2013 sein Diarium, den Löwenblog.
[…] kürzlich erschienene Beitrag ist nunmehr auf dem Cathwalk noch einmal gebührend aufbereitet nachzulesen. Ich empfehle überdies einen Blick auf die Kommentare, spezifisch den von Zeitschnur. Auf dem […]
Er mag übrigens aufgeklärten und demokratischen Idealen nahegestanden haben, aber sein zeitgenössisch bekanntestes Stück, Opus 91, hat er im Jubel darüber geschrieben, daß die französische Revolutionsarmee zerschlagen worden ist…
Beethoven war der Ansicht, dass man durchaus den ganzen österreichischen Adel aufhängen könnte; die Revolution wollte er allerdings nicht Ausländern überlassen, die sollten die Wiener schon selbst machen. Allerdings gab Beethoven ebenso griesgrämig von sich: „Der Wiener wird keine Revolution machen, solange er Bier und Würste hat!“
Dass der Komponist auch nicht so ganz glücklich über die Besatzung und Annexion seiner Geburtstadt war, kann man sich wohl ebenfalls denken… 😉
Kann ein Ungläubiger sich so tief einfühlen in Gegenstände des Glaubens?
Das ist die Frage des Artikels.
Ich muss immerzu an den Schächer am Kreuz denken, der eben nich den herrn lästerte zusammen mit dem zweiten Schächer, und doch sagte er die tiefsten Sätze wenige Minuten später … und Jesus sagt ihm das Paradies zu.
Wie froh dürfen wir sein, dass wir nicht ins Herz der Menschen sehen können!
Beethoven war ein „Profi“ – er sah sich seine Auftragsarbeiten mit sachlichem Blick an. Aber dennoch, ich habs mir gerade angehört: wie viel Detail steckt darin! Etwa beim Bekenntnis zum lebendigmachenden Heiligen Geist, das von einer Frau gesungen wird, die traditionell für den Heiligen Geist steht, ja sogar als sein Abbild gilt. Eine fast flatternde, wehende Passage, die er da kgeschrieben hat… Und bei „qui ex patre filioque procedit“ kommt eine Doppelung: erst eine hohe Männerstimme, der Sohn, dann wiederholt ein Baß, der Vater also, zuletzt und der Ursprung aller Dinge – das ist so sagenhaft tief komponiert, ich könnte dazu als Musikerin noch viel mehr sagen. Es ist –
Gott sei Dank müssen wir ja nicht beurteilen, wie es um Beethoven stand. Möge er in Frieden ruhen.