Interview mit Regisseurin und Mit-Drehbuchautorin Maria Schrader zum neuen Film: „Vor der Morgenröte“
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Stefan Zweig emigrierte aus Österreich bereits im Februar 1934, nachdem der Einfluss der Nazis auch in Österreich spürbar und Zweigs Haus durchsucht wurde. 1935 wurde er in Deutschland in die Liste der durch die neuen Machthaber verbotenen Autoren aufgenommen. Nachdem sich Stefan Zweig 1938 von seiner ersten Frau Friderike hatte scheiden lassen, heiratete er seine Sekretärin Charlotte (Lotte) Altmann. Dennoch blieb er im freundschaftlichen Kontakt zu seiner ersten Frau. Mit Lotte reiste er von London nach Amerika: Über New York, Argentinien und Paraguay kam Stefan Zweig 1940 in Brasilien an, wo er stürmisch gefeiert wurde. Am 23. Februar 1942 nahm sich Zweig in Petrópolis bei Río de Janeiro das Leben. Lotte folgte ihm in den Tod.
Die bekannte Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader zeigt in „Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika“ sechs Episoden aus dem Leben Zweigs im Exil von seinem ersten Aufenthalt in Brasilien über die Teilnahme am PEN-Kongress in Buenos Aires 1936, ein Zusammentreffen mit dem Bürgermeister von Bahia und den Besuch seiner ersten Frau in New York bis zu seiner Niederlassung in Petrópolis (die drei Episoden 1941) und dem Selbstmord in der brasilianischen Kleinstadt 1942.
Mit einem genialischen Josef Hader als Stefan Zweig gelingt es Regisseurin Maria Schrader, dem Zuschauer nicht nur Zweigs Leben und Haltung, sondern auch ein Leben im Exil zu vermitteln. Klemens Renoldner, Leiter des „Stefan Zweig Centre“ an der Universität Salzburg, über den Film: „Obwohl für das Drehbuch historisch und biographisch aufs genaueste recherchiert wurde, sehen wir keinen Historienfilm. Wir sind diesen Figuren ganz nahe. Auch wenn wir bereits viel über Stefan Zweigs Leben wissen, vieles sehen und verstehen wir nach diesem Film von Maria Schrader zum ersten Mal.“
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Interview mit Regisseurin und Mit-Drehbuchautorin Maria Schrader
Was brachte Sie darauf, einen Film über Stefan Zweig zu drehen?
Je mehr ich von Stefan Zweig gelesen habe, um so mehr erschien er mir in der letzten Zeit seines Exils zu einer parabelhaften, literarischen Figur zu werden, über die er selbst hätte schreiben können. Er war dem Krieg entronnen und wurde dennoch von ihm heimgesucht. In seiner Arbeit, seinen historischen Monografien hat er über große Europäer geschrieben, zeit seines Lebens von einem geeinten und friedlichen Europa geträumt. Jetzt ist er in Brasilien angekommen, lebt in Sicherheit, und kann den Gedanken nicht ertragen, dass Europa sich selbst vernichtet. Die Vorstellungskraft, die Fantasie, die ihn als Schriftsteller so auszeichnet, wird ihm als Exilant zum Verhängnis. Von Anfang an hatte ich dieses Bild vor Augen: Ein Europäer umgeben von der schönsten, exotischen Landschaft, die ihm zu einem Gefängnis wird, weil er mit den Gedanken woanders ist. Das Paradies vor Augen und den Alptraum im Kopf. Das ist sicher eine andere, viel einsamere Situation als beispielsweise Thomas Mann in New York das Exil erlebt hat.
Sie haben eine ungewöhnliche Struktur für Ihren Film gewählt. Entspricht die Einteilung in Kapitel dem literarischen Sujet?
Ich habe Schwierigkeiten mit Filmbiografien: Wenn man die klassische Dramaturgie verwendet, dann reiht man Lebensereignisse in eine Kette, die dramaturgisch sinnstiftend sein muss. Das Leben, besonders im Exil, ist nicht von Kausalitäten, sondern von brutaler Willkür, vom Zufall bestimmt. Wir haben nach einer Form gesucht, uns dem zu nähern. Sie ist auch von den Miniaturen inspiriert, die Zweig selbst geschrieben hat, die im Detailreichtum plötzlich auch eine Metaphorik bekommen. Das war eigentlich die Geburtsstunde des Films. Wir beschränken uns darauf, viermal – oder sechsmal inklusive Prolog und Epilog – ein Fenster aufzumachen und jeweils zwanzig Minuten am Leben von Stefan Zweig teilzunehmen.
Warum gerade diese vier Lebensstationen? Oder ist die Auswahl nicht so wichtig?
Doch, doch. Wir haben die Rede von Emil Ludwig beim P.E.N.-Kongress entdeckt. Wenn man diese Zeit aus unserer heutigen Perspektive betrachtet, fragt man sich: „Wie kann es sein, dass nicht jeder schon 1936 vor Hitler und dem Krieg gewarnt hat?“ Heute erscheint alles so klar und scharf und offen dagelegen zu haben. Emil Ludwig agitiert, er schürt die Angst, die Hysterie. Auch heute ist das eine beliebte Art, um Wähler zu kämpfen. Stefan Zweig hat eine fast diametral andere Haltung. Er sitzt stumm während Ludwigs Rede auf dem Podium. Als der ganze Saal aufsteht und ihm applaudiert, weil er zu den exilierten deutschsprachigen Schriftstellern gehört, empfindet er das als eine peinliche und wirkungslose Geste und fühlt sich äußerst unwohl. Seine Umgebung wird immer radikaler, Zweig jedoch verweigert jede Art von Pauschalisierung oder Angriff. Er verstummt lieber ganz, als in den Kanon von Parolen einzustimmen. Das ist, auch für unsere Zeit, eine so streitbare wie interessante Haltung.
Welche Haltung hatte er?
Zweig hat daran geglaubt, dass ein Künstler, ein Schriftsteller, eigentlich nur durch seine Werke eine Wirkung erzielen kann. Die „Schachnovelle“ ist seine direkteste Reaktion auf eine aktuelle politische Lage. Mit der Figur eines ehemaligen Häftlings, der die Folter der Nazis überlebt hat, nimmt er direkten Bezug. Er hat Bücher von politischer Dimension geschrieben, ohne dass sie politische Bücher waren. Er hat versucht, an dieser Unterscheidung festzuhalten. Thomas Mann erreichte New York und sagte: „Wo ich bin, da ist Deutschland.“ Das ist eine Art von Selbstbewusstsein und nationaler Identifikation, die Stefan Zweig als Jude sicher nie hätte behaupten können. Noch dazu war er ein radikaler Pazifist. Lieber ist er das Risiko eingegangen, stigmatisiert zu werden, zu vereinsamen, als dass er sein Instrumentarium, seine Sprache, benutzt hätte, um anzugreifen.
Wie kamen Sie auf Josef Hader für die Hauptrolle?
Josef Hader unterscheidet sich von anderen Schauspielern dadurch, dass er selbst schreibt. Er ist nicht als Schauspieler bekannt geworden, sondern als Kabarettist, der eine eigene Stimme hat und sich gesellschaftlich positioniert. Er ist ein heutiger österreichischer Superstar, so wie Stefan Zweig damals ein Superstar war. Als öffentliche Person ist ihm die Angst vor Vereinnahmung verwandt oder das Spannungsfeld, sich zu allem und jedem äußern zu müssen. Gleichzeitig ist er ein fantastischer Schauspieler. In seiner Melancholie, seinem Intellekt und seinem Charme begegnet er Stefan Zweig auf Augenhöhe. Ich glaube, es war für ihn ein sehr mutiger Schritt, diesen Film zu machen, und vieles, was die Figur des Brenner ausmacht, einfach wegzulassen.
Ironie gibt es in Ihrem Film eigentlich nur in der Szene mit dem Bürgermeister von Bahia. Welchen Stellenwert hat eine solche Groteske in einem Film, der sonst sehr ernst ist?
Ja, es ist Groteske. Aber die Groteske ist nur gut, wenn sie aus wirklicher Verzweiflung erwächst. Ich konnte mir die Not des Bürgermeisters so gut vorstellen. Für ihn ist es „The Day of his Life“, und nichts klappt wie er wollte. Er kann den weltberühmten Mann nicht in seinem Rathaus empfangen, sondern muss ihm hier in diesem heillosen Chaos auf der Facenda begegnen. Die Gäste fehlen, der Lastwagen mit der Kapelle fährt Stefan Zweig fast über die Füße. Er schämt sich und will sich verstecken. Und dennoch nimmt die Szene eine Wendung: Selbst dieser kleine Bürgermeister hat die Macht, Stefan Zweig für sich zu instrumentalisieren, wenn er sagt: „Heute kann ich dem Krieg etwas Gutes abgewinnen, denn meine Stadt, meine Region wird in einem Buch von Stefan Zweig verewigt.“ Dass die Kapelle „An der schönen blauen Donau“ für ihn spielt, hat große Komik und Tragik zugleich. Man will ihm ein Geschenk machen aus seiner Heimat, die längst nicht mehr seine Heimat ist. Ich habe es gerne, eine solche Fallhöhe zu erleben, wenn etwas komisch ist und dann umkippt.
Als was verstehen Sie sich eher, als Autorin und Regisseurin oder als Schauspielerin? Hätten Sie die Rolle der Friderike Zweig übernommen, die im Film von Barbara Sukowa gespielt wird?
Der große Luxus ist ja, dass ich nicht Entweder-Oder sagen muss. Ich bin sehr gerne Schauspielerin und bin ebenso gerne Regisseurin. Ich kann mir vorstellen, gleichzeitig Regie zu führen und zu spielen. Aber in dem Fall war ich begeistert von dem Gedanken, dass Barbara Sukowa es machen würde. Der Produzent nahm mich allerdings zwischendurch beiseite: „Wenn wir Barbara Sukowa nicht bekommen, dann bist Du die Notfall-Lösung.“ Ich habe mich sehr angestrengt, Barbara Sukowa zu bekommen.
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Filmische Qualität: Viereinhalb Sterne (max. fünf Sterne) Regie: Maria Schrader Darsteller: Josef Hader, Barbara Sukowa, Aenne Schwarz, Matthias Brandt, Charly Hübner Land, Jahr: Deutschland, Frankreich, Österreich 2016 Laufzeit: 106 Minuten Genre: Publikum: ab 12 Jahren im Kino: 06/2016
Dr. José García, geb. 1958, Magister Artium 1982, promovierte in Mittlerer und Neuerer Geschichte an der Universität Köln 1989. Filmkritiker für verschiedene Zeitungen. Autor der Filmbücher „Träume, Werte und Gefühle. Die wundersame Welt von Film und Kino“ und „Der Himmel über Hollywood. Was große Filme über den Menschen sagen“. Mitglied im Verband der deutschen Filmkritik, Mitarbeit an den Jurys für die Verleihung des „Preises der Deutschen Filmkritik“. José García lebt und arbeitet in Berlin.
(Quelle: textezumfilm) – Dieser Text erschien auf Zenit.org und darf mit Genehmigung hier übernommen werden. The Cathwalk empfiehlt seinen Lesern, sich den Zenit-Newsletter zu abonnieren.
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