Dienstag, 26. November 2024

Betrachtungen zum 100. Katholikentag in Leipzig

von Hannes Kirmse

11666122_904476392908520_9145250519874933818_nWenn heute in Politik und Medienlandschaft über die Menschenwürde gesprochen wird, wird diese meist schlagwortartig mit Begriffen wie Solidarität, sozialer Gerechtigkeit oder Chancengleichheit gleichgesetzt. Inhaltlich zu füllen vermag die Menschenwürde dann niemand mehr. Der Begriff der Menschenwürde wird dann nur noch selbstreferentiell verstanden: „Ich achte, daß der andere mich achtet und achte ihn deshalb auch.“ Schön, gut und simpel mag diese Formel vielleicht klingen. Doch ist sie eine leere Formel, mit der man sehr schnell an Grenzen stößt: Zu achten gilt es dann nur den, auf den man wirtschaftlich, sozial oder aus anderen Gründen angewiesen ist oder den, mit dem man unmittelbar wie etwa in der Familie verbunden ist. Zu achten gilt es dann nur den, den man aus seinen eigenen Bedürfnissen heraus sieht.

Diese Grenzen in unserem Denken lassen sich aber nur dann überwinden, wenn wir die Menschenwürde inhaltlich zu füllen vermögen und wir uns dieser Fülle auch bewußt bleiben:

Ecce homo! („Seht, da ist der Mensch!“, Johannes 19,5) – Plötzlich tritt ein Sinneswandel ein. Wir sind dazu aufgerufen, den Menschen auch dort zu sehen, wo wir sonst nicht hinschauen: in Behindertenwerkstätten, in Altersheimen, in Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften, in Gefängnissen, im Mutterleib oder über unsere eigenen Ländergrenzen hinweg. Der Mensch und die ihm immanente Würde lassen sich wahrhaftig erst dann sehen und verstehen, wenn wir erkennen, daß der Mensch Abbild beziehungsweise Ebenbild Gottes ist. Wenn wir die Ebenbildlichkeit erkennen, die uns geschenkt wurde, können wir die Augen nicht mehr verschließen. Wir sollten einander nicht nur achten, weil wir uns eben achten, sondern weil in uns etwas Höheres angelegt ist. Niemand kann auf der Straße im Vorübergehen oder beispielsweise in einer als Arzt in einer Geburtsklinik nur erahnen, welche Talente und meisterhaften Fähigkeiten, welche Spiritualität in den Menschen angelegt ist und eines Tages zum Vorschein kommen wird. Menschen auszugrenzen heißt daher auch, das Schöne und Gute, das aus dem im Menschen Angelegten gedeihen kann, auszugrenzen. So bedarf ein Flüchtling genauso gesellschaftlichen Schutz wie ein behinderter oder alternder Mensch oder wie ungeborenes Leben.

All diese Einsichten sind letztlich – wie es im Motto des Katholikentages aufgegriffen wird – im Leben und heilsbringenden Wirken Christi vereint: Niemand hat um der Gerechtigkeit willen mehr gelitten, indem er die Sünden der Welt auf sich genommen hat.

Daß Erklärungen wie diese immer wieder erforderlich sind, ist mitunter auch auf die Sinndefizite zurückzuführen, die sich in unserer als „postmodern“ und „säkular“ bezeichneten Gesellschaft auftun. Nicht zuletzt wird darüber hinaus davon gesprochen, daß sich sowohl die evangelische, als auch die katholische Kirche in einer Krise befänden. Wenn schon Bundeskanzlerin Angela Merkel als weltliche Vertreterin fordert, daß das Christentum den Mut haben solle, sich stärker zu sich selbst zu bekennen, dann kann und sollte dies auch als ein Appell verstanden werden, am Ende keinen „Etikettenschwindel“ zu betreiben. So sollte sich die Kirche gerade in Leipzig der tragenden Rolle bewußt bleiben, die sie innerhalb der Friedlichen Revolution eingenommen hat. Dabei ist es auch ein besonderer Grund der Freude, daß der Katholikentag zu seinem einhundertsten Jubiläum seinen Weg in diese geschichtsträchtige Stadt gefunden hat. Keinen „Etikettenschwindel“ zu betreiben heißt auch, sich stärker symbolisch an die Außenwelt zu wenden. Um als authentisch wahrgenommen werden zu können, sollte die Kirche verstärkt Christus wieder in ihre Mitte holen und nicht schon mit mangelnder Symbolik Sinndefizite offenlassen. So fehlt bis heute beispielsweise der Corpus Christi auf dem sehr kunstvoll gestalteten Kreuz im Innenraum des Neubaus der Propsteikirche in der Leipziger Innenstadt. Es bleibt zu hoffen, daß viele Besucher, die anläßlich des Katholikentages nach Leipzig kommen, auf dieses Fehlen hinweisen werden: Schaut auf Christus, denn er ist Mensch!

Hannes Kirmse aus Leipzig, studiert Staatswissenschaften in Passau. In seiner Freizeit widmet er sich den Künsten und betreibt einen Blog, der sich "Schöngeister und Lebenskünstler" nennt.

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