Sonntag, 1. Dezember 2024

Die Sehnsucht nach Gott

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15, 11–32) zählt zu den schönsten und zugleich hoffnungsvollsten Erzählungen der Bibel. Es beschreibt die Situation des modernen Menschen treffender als jedes andere Gleichnis und vermittelt die Zuversicht, dass die Liebe und Barmherzigkeit Gottes größer sind als alle Schuld, Scham und Schande. Am Ende triumphiert Gott – wenn wir umkehren und bereuen.

Der verlorene Sohn sucht, wie der moderne Mensch, sein Glück in den Leidenschaften dieser Welt: in Reichtum, Vergnügen und unbeschwerter Lebensfreude. Es ist der Traum von ewiger Jugend, forever young, ohne Verantwortung und ohne Konsequenzen. Diese Sehnsucht ist nur allzu verständlich: das Leben in vollen Zügen genießen, bis zur Ekstase auskosten – es scheint das Beste zu sein, was ein Leben ohne Gott zu bieten hat, wie auch der Apostel Paulus sagt: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, dann lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot“ (1. Kor 15,32).

Doch das Leben des verlorenen Sohnes endet nicht in weltlichem Genuss, sondern im Elend – bei den Trögen der Schweine. Hier offenbart sich die Tragik der gefallenen Welt: Sie kann das Glück, das sie verspricht, nicht schenken. Es ergeht einem wie dem tollen Menschen bei Nietzsche – immerfort kommt die Nacht, und noch mehr Nacht.

Das große Geheimnis besteht nicht darin, dass Menschen vom Weg abkommen oder ihre Sehnsucht nach einem erfüllten Leben nicht bei Gott suchen. Viel erstaunlicher ist, dass es Menschen gibt, die die Fülle des Lebens gar nicht erst anzustreben scheinen. Menschen, die sich mit Mittelmaß und Gleichgültigkeit zufriedengeben. Menschen, für die Sicherheit und Biedermeier das Maß aller Dinge sind. Wie soll jemand für Gott brennen, dessen höchstes Ziel Kleinbürgerlichkeit ist?

Der heilige Augustinus sagt: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“. Wir sind auf Gott hin geschaffen, der Ursprung und Ziel aller Dinge ist (Erstes Vatikanisches Konzil). Und es gibt niemanden, der unsere Sehnsucht nach Leben und Erlösung erfüllen kann als Gott allein. Der römische Katechismus drückt das wunderscön aus: „Die Herrlichkeit aber der Seligen wird unermesslich sein, ungezählt all die Quellen gediegener Freuden und Wonnen … Die Sehnsucht unseres Herzens wird voll und ganz befriedigt werden. Die eigentliche Seligkeit „besteht in der Anschauung Gottes und im genussvollen Auskosten der Schönheit dessen, der da ist die Quelle und der Urgrund aller Wesensgüter und Vollkommenheit.“

Dorthin zu gelangen – das ist der schmale Weg, der Kampf, den jeder von uns führen muss: gegen und selbst, gegen die Welt, das Fleisch und den Teufel. Der heilige Johannes vom Kreuz schreibt: „Der Glaube ist das Mittel zur Vereinigung der Seele mit Gott.“ Doch wie erreichen wir diese Einheit mit Gott? Wir müssen von allem gereinigt werden, was uns von ihm trennt: von Leidenschaften, Makeln, Schwächen, Anhänglichkeiten und Lastern. Der Weg dorthin wird der härteste Kampf unseres Lebens sein. Er fordert alles – sogar die Bereitschaft, das eigene Leben hinzugeben. Pfarrer Hans Milch drückt es so aus: „Junge Menschen, die etwas vom Eros verstehen sollten, sollten ihren Eros weit spannen – in den Geist hinein. Todes-offen, Todes-bereit.“ Was bedeutet das? Es ist die Bereitschaft, alles für Gott zu tun, für ihn zu leben und, wenn nötig, zu sterben. Es ist der Ruf, unser Leben ganz Gott hinzugeben – ohne Kompromisse, ohne Zurückhaltung.

Ein beeindruckendes Beispiel liefert der heilige Johannes vom Kreuz. Von seinem eigenen Orden misshandelt, gedemütigt und eingesperrt, war er dem Tod nahe. Schließlich fasste er einen verzweifelten Plan: Aus seiner Decke fertigte er ein Seil, um zu fliehen. Doch das Seil war zu kurz. Als er sich abseilte, hing er schließlich einige Meter über dem Boden. Sollte er es wagen, loszulassen oder aus Angst hängen bleiben? Johannes vom Kreuz lies los, überlebte die Flucht – und war frei.

Johannes vom Kreuz: Ohne Halt – und doch gehalten

Ohne Halt – und doch gehalten,

ohne Licht im Dunkeln lebend,

wird‘ ich gänzlich mich verzehren.

Losgelöst ist meine Seele.

Nichts Geschaff’nes hält sie fest.

Über sich hinausgehoben,

schmeckt sie das Leben wie noch nie.

Gott alleine gibt mir Halt.

Drum das Wort, das ich euch sage:

Das, was ich am meisten schätze,

ist, dass ich mich jetzt schon sehe

ohne Halt und doch gehalten

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