Was ist Modernismus? Pius X. definiert ihn in der Enzyklika Pascendi (1907) als Sammelbecken, Sammlung oder Zusammenfassung aller Irrlehren (omnium haereseon conlectum). Was ist damit gemeint? Man kann sagen, dass Modernismus keine einzelne, konkrete Häresie ist. Modernismus ist letztlich die Leugnung von allem. Das Schlimmste ist, dass sich Modernismus nicht als Glaubensleugnung outet, sondern Häresie als „neues Verständnis“ tarnt. Ein Modernist kann daher problemlos Priester, Bischof und Höheres sein, sich „katholisch“ nennen, ohne ein einziges Dogma im eigentlichen Sinne zu glauben – denn er leugnet ja nichts, sondern versteht es nur „neu“, (lat.: „modern“), „im Einklang mit der Wissenschaft.“
Modernismus ist der Irrtum, dass der Glaube keine objektive Wahrheit ist, sondern nur eine subjektive Motivation, ein Gefühl, eine Lebenshilfe, ein „Dienst am Menschen“, eine Art Humanismus. Etwas, das ich nach meiner eigenen Meinung gestalten kann. Zwei Theologen haben den Kern des Problems messerscharf benannt: Anton Gisler (1863-1932), Koadjutorbischof von Chur und Joseph Mausbach (1861-1931), Theologieprofessor in Münster.
Gisler sagte in Bezug auf Alfred Loisy: Dieser beanspruche gegenüber allen Glaubensdogmen „das Recht freiester Auswahl und Kritik, leugnete die Grunddogmen des Glaubens: die Gottheit Christi, seinen Erlösungstod, seine leibliche Auferstehung, die Gründung der Kirche und die Einsetzung der Sakramente, und wollte dennoch berechtigt sein, Christ und römisch-katholisch zu heißen.“ Loisy leugnete diese Dogmen aber nicht aktiv, sondern die Leugnung folgte aus einem „neuen Verständnis“, so verteidigte sich Loisy als treuer Diener der Kirche. Er versicherte, dass er kein Dogma verwerfe und an allem festhalte, was die Kirche lehre. Aber bloß als Gläubiger, nicht als Historiker. Denn Loisy lehrte, dass die wissenschaftlichen historischen Tatsachen bloß durch den Verstand festgestellt würden, während die Dogmen nicht bloß durch den Verstand, sondern auch durch einen Druck des Herzens unter Leitung des guten Willens und mit Gottes Hilfe gestaltet werden, wenngleich auch geschichtliche Einflüsse eine Rolle spielen.
Das aber heißt, dass der Glaube objektiv falsch und nur Gefühlsduselei ist. Loisy setzte einen Unterschied zwischen Dogmen und historischen Ereignissen. Gisler analysiert: „Der historische Christus, das heißt: Christus, geprüft vor dem Forum der wissenschaftlichen Geschichte, sei nicht von den Toten auferstanden.“ Glaube und Geschichte hatten bei Loisy nichts miteinander zu tun, auch nicht der Theologe und der Historiker. Nun schauen wir mal in unsere Gegenwart: kommt das nicht bekannt vor? Das ist heute gängiger Religionsunterricht: Die Auferstehung Christi ist eine „reine Glaubenssache“, eine „Ansicht.“ „Nein, ist sie nicht!“ – Das müssen wir hier ganz klar erwidern! In der ersten Auflage im Lexikon für Theologie und Kirche steht es noch schwarz auf weiß: „Die Wirklichkeit der Auferstehung steht historisch fest. Sie wird bezeugt a) durch das Bekenntnis der ersten christlichen Generation (1 Kor 15,4); b) durch die älteste apostolische Predigt (Apg 10,39-41), besonders durch das Zeugnis Pauli (1 Kor 15, 3 ff); c) durch den übereinstimmenden Bericht der Evangelien … Der Unglaube leugnet die Auferstehung, beweist sie aber gleichwohl durch die Absurdität der Hypothesen, welche die Entstehung des Auferstehungsglauben erklären sollen“ (August Reatz, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 1. 1930).“
Der Münsteraner Theologe Joseph Mausbach stellte in seinem Werk „Der Eid wider den Modernismus und die theologische Wissenschaft“ die Frage, ob der Modernismus eine Methode gebilligt habe, nach der die geschichtliche Theologie zu Ergebnissen kommen sollte, die dem Dogma widersprechen. Mit Blick auf die Enzyklika Pascendi bejaht Mausbach diese Frage.
Die Ursache liege in der Beschränkung auf das rein Empirische und Innerweltliche, [Immanentismus], der eine göttliche Macht ausschließe. Das ist im Grunde identisch mit dem Naturalismus. Es sei daher nicht möglich, Geschichte als Glaubens- und Gottesgeschichte zu verstehen. Mausbach machte damit auf die Kernvorwürfe Pius‘ X. deutlich, dass der Wahrheitsanspruch der Kirche von einem historisch-faktischen zu einem subjektiv-emotionalen wurde und dann folglich kein Gegenstand der Wissenschaft mehr war:
„Daß das Ewige und Göttliche irgendwo sicher und gebietend in die Geschichte eintritt, diese Grundanschauung aller Offenbarungs- und Christusreligion wird hier [im Modernismus] völlig fallen gelassen. Der Glaube, der an solchen Tatsachen festhält, ist eine dem religiösen Bedürfnis und Gefühl entspringende Verklärung der Wirklichkeit, die neben der wissenschaftlichen Betrachtungsweise hergeht.“
Moderne Wissenschaft ist in diesem Sinne oftmals eine konkurrierende Religion, eine Weltanschauung, weil sie vor dem Hintergrund eines Naturalismus, den sie a priori setzt, agiert. So schließt die historisch-kritische Methode Gott als Urheber der Heiligen Schrift aus und argumentiert rein naturalistisch. Dabei ist die Urheberschaft Gottes, wie Thomas von Aquin noch klar formuliert, überhaupt erst die Grundlage für jede Wissenschaft mit der Heiligen Schrift.
Der katholische Glaube sagt, dass Gott sich unfehlbar geoffenbart hat, in Schrift und Tradition, der Modernismus will Gott erst „entdecken“, „finden“, „suchen“ auf Wegen, die nur er kennt. Der Modernist kann daher auch keine objektiven Wahrheitsansprüche formulieren und allgemeingültige Gesetze aufstellen, an die sich jeder zu halten hat. Denn er ist ja erst „auf der Suche nach der Wahrheit“. Für den Modernisten ist der Glaube eine Motivation, eine Sache „des Herzens“, die einer kalten Welt Wärme gibt, ein Gefühl der Geborgenheit usw. Für den Katholiken ist der Glaube die Zustimmung zur geoffenbarten Wahrheit.
Der Modernismus geht auf eine naturalistische Weltanschauung zurück. Er sieht in Gott nicht mehr denjenigen, der in die Welt eingreift und sie erhält. Religion wird zur Sache der Motivation und Lebenshilfe. Deshalb lässt er Buddhismus, heidnische Kulte und Götzendienste neben dem Christentum gelten, und sieht in ihnen einen Weg „ein guter, netter Mensch“ zu werden. Der katholische Glaube akzeptiert keine Irrtümer, kann sie aber tolerieren um des Gemeinwohls willen. Der Katholik weiß, dass er einen Missionsauftrag hat, alle Irrenden zu bekehren, denn Christus sagt klar und deutlich: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Darum führt der Modernismus in die Hölle, der katholische Glaube aber in den Himmel.