Mit freundlicher Genehmigung der Una Voce Korrespondenz veröffentlicht der Cathwalk folgendes Interview:
Una Voce-Korrespondenz: Sie wurden 1989 in Aachen zum Priester geweiht und sind seit 2000 Gemeindepfarrer in Herzogenrath. Sie sind, soweit ersichtlich, der einzige leitende Pfarrer, der in seiner Gemeinde im überlieferten Ritus feiert. Wie sieht das im Gemeindealltag aus? Wer sind Ihre Messbesucher?
Pfarrer Rodheudt: Ich zelebriere seit dem 3. Dezember 2007 auf der Basis des damaligen Motu proprio „Summorum Pontificum“ zweimal wöchentlich in einer meiner Filialkirchen nach dem Missale Papst Johannes XXIII. eine Missa cantata mit Gregorianischem Choral und Vortrag der Lesungen in deutscher Sprache als Ergänzung zum wöchentlichen Liturgieprogramm. Aufgrund unserer qualifizierten Musiker ist diese Form eine ansprechende Begegnung mit dem Geist der römischen Liturgie in ihrer über Jahrhunderte gewachsenen und gesungenen Form. Diese Praxis hat sich seinerzeit sehr schnell in der Pfarrei etabliert. Die Gruppe der im Schnitt dreißig Personen pro Messe ist stabil und setzt sich zu Zweidrittel zusammen aus Gläubigen der Pfarrei, die auch am sonstigen liturgischen Leben der Gemeinde teilnehmen und zu einem Drittel aus auswärtigen Gläubigen. Es hat sich gezeigt, daß alle in beiden usus des römischen Ritus, wie man es bis vor kurzem zu nennen hatte, praktizieren und deswegen keinerlei Ausschließlichkeit in der Bevorzugung der klassischen Form zu entdecken ist.
Der Altersschnitt und die proportionale Aufteilung in weibliche und männliche Besucher sind ausgeglichen und weitaus besser verteilt als Messen des NOM. So nehmen zu ca. fünfzig Prozent Männer an der Liturgie teil, was zeigt, daß Männer sich offenbar – wenigstens wochentags – durch den usus antiquior eher angezogen fühlen als durch die reformierte Messe. Nebenbei: ein Phänomen, dem man liturgiewissenschaftlich meines Wissens bislang noch nicht genügend Rechnung getragen hat. Es wäre interessant zu untersuchen, welche liturgischen Gründe dafür ursächlich sind. Was die soziologische Einordnung der Gottesdienstgemeinde betrifft, so ist die gesellschaftliche und bildungsbezogene Aufteilung ebenfalls sehr gleichmäßig. Der städtische Mitarbeiter im Grünflächenamt kniet neben der Studienrätin und dem Kernkraftwerksdirektor. Insgesamt ist wichtig, daß die Alte Messe in meiner Pfarrei keine „Gruppenmesse“ ist, keine exklusive Tradi-Veranstaltung. Es ist ein fester Bestandteil des Lebens der Pfarrangehörigen in der Pfarrei. Um so schlimmer, daß Traditionis Custodes offensichtlich geschrieben wurde, weil diese gewisse Normalität im Umgang mit dem alten Ritus dem Heiligen Vater als eine besonders zu vermeidende Gefahr erschien. Die Alte Messe soll ja offenbar bewußt zu etwas Esoterischem gemacht werden und aus dem normalen Seelsorgealltag verschwinden.
Wie dem auch sei, in den letzten knapp 15 Jahren hatten hier zahllose, vor allem junge Christen die Chance, in der erprobten Praxis die Erfahrung einer liturgischer Formensprache kennenzulernen, von der Papst Benedikt XVI. wünschte, daß durch sie eine gegenseitige Befruchtung der beiden usus des römischen Ritus hätte bewirkt werden sollen. Ich fühle mich deswegen auch weiterhin ganz dem Anliegen Papst Benedikts XVI. verpflichtet, durch diese Form der Sichtbarmachung der liturgischen Tradition das geistliche Leben in meinem Verantwortungsbereich zu fördern, was ich auch meinem Bischof am Tag der Veröffentlichung von TC sogleich mitgeteilt habe. Daraufhin erhielt ich die Genehmigung zur Fortführung der Zelebration nach dem Meßbuch von 1962 unter Einhaltung der in TC vorgenommenen Einschränkungen. Bis auf kleine Ausnahmen kann also dank der bischöflichen Zustimmung das liturgische Leben hier weiterhin auf diese Weise bereichert – oder besser ergänzt – werden.
Von Spaltung, die Papst Franziskus mit Traditionis Custodes beseitigen will, also keine Spur? Wieviele Ihrer Messbesucher, würden Sie sagen, sind „birituell“?
Wie bereits gesagt, ist die Feier der Liturgie nach dem Meßbuch von 1962 hier seit dem Jahre 2007 ein fester Bestandteil des liturgischen und geistlichen Wochenprogramms. Nach anfänglichem Gegrummel in Kreisen damals noch älterer und heute meist verstorbener Gläubiger, die mit der Alten Messe alles mögliche andere längst Begrabene wiederauferstehen sahen – die Adenauer-Ära, den strengen Pfarrer ihrer Jugend, die Pflicht zum Sonntagsanzug und ähnliches – hat sich die Alte Messe für viele als die „neue Messe“ in das Pfarrleben integriert. Schließlich muß ja niemand hingehen, der es nicht will. Durch meinen offensiven Umgang mit dem Thema, der sich stets um die Vermeidung einer kirchenpolitischen Instrumentalisierung der liturgischen Frage bemüht hat, ist es recht bald gelungen, ein neutrales Interesse für die alte Formensprache zu wecken. Damit wurde es vermieden, Fanclubs zu bilden und eine diesbezügliche Spaltung in die Gemeinde zu tragen. Viele, die gerne auch schon einmal wochentags zur Hl. Messe gehen, nutzen daher an den Tagen, an denen die Alte Messe gelesen wird, diese Möglichkeit. Man würde sie deswegen nicht unbedingt als Tradis bezeichnen müssen.
Soweit ich sehe, sind die wenigsten exklusiv der Alten Messe verbunden, mit Ausnahme derer, die in einer hier in der Nähe liegenden Kapelle der Piusbruderschaft in unserer niederländischen Nachbarstadt Kerkrade praktizieren. Es ist dabei interessant zu beobachten, daß auch diejenigen sich hier unauffällig in die Gottesdienstgemeinde einfügen. Insofern hat die hiesige Praxis sogar eine eher integrierende als spaltende Wirkung. Die Gläubigen, die hier an der Gregorianischen Liturgie teilnehmen, tun dies aus dem Bedürfnis heraus, tiefer in den Schatz des christlichen Kultmysteriums einzutreten und nicht aus konzilskritischen oder anderweitigen kirchenpolitischen Rankünen. Zudem entspringt diese „biritualistische“ liturgische Praxis der ordentlichen Pfarrseelsorge mit einer geordneten und seelsorglich unterfütterten liturgischen Praxis durch flankierende Katechesen zu Liturgie u.ä. und ist von daher weit entfernt von Gruppen- oder Reservatsbildung. Mein Bischof hat dem durch seine Genehmigung, die traditionelle Liturgie hier am Leben zu erhalten, Rechnung getragen, wofür ich ihm sehr dankbar bin.
Wie erleben Sie die Messbesucher? Sind es frömmere Menschen im alten Ritus? „Synodale“ werden vermutlich nicht darunter sein….!
Die Alte Messe macht aus meiner Sicht nicht automatisch frömmer, aber sie bewahrt vor einem falschen Gottesbild, was der Frömmigkeit unzweifelhaft nutzt. Synodale werden in der Tat schon deswegen nicht unter den Teilnehmern sein, weil jeder Schritt, jedes Wort, jeder Gestus in der Alten Messe daran erinnert, daß sie nicht der Liebe Gott sind. Die Rückmeldungen, die ich im Laufe der Jahre von Teilnehmern – und dabei besonders von den jüngeren, die mit der Alten Messe nicht groß geworden sind – bekam, lassen sich so zusammenfassen: „Ich habe mehr Stille. Ich kann mich besser konzentrieren. Die Messe ist nicht so ergebnisorientiert. Ich bin Gott näher. Ich bin in einer anderen Welt.“ Das gibt mir als Zelebranten in beiden Formen sehr zu denken und zeigt mir, daß trotz – auch meiner – innigen Versuche, den NOM so würdig wie möglich zu feiern – dennoch in der Alten Liturgie eine eingebaute Botschaft liegt, die wie ein Sog die Menschen unabhängig von meinem guten Willen als Zelebranten – unvergleichlich stärker in die Welt Gottes hineinzieht als es jede gutgemeinte Gestaltung der Neuen Messe vermag. Vermutlich ist es die Unzweifelhaftigkeit, daß die Herkunft dessen, was dort liturgisch geschieht, nicht vom Schreibtisch oder aus dem Notebook des Zelebranten stammt, sondern aus der im ersten Jahrtausend noch mit beiden Lungenflügeln atmenden Kirche der Väter.
Kommen wir einmal zur Bedeutung des alten Ritus für den Zelebranten. Feiern Sie den NO durch die Zelebration der Alten Messe anders? Schweren Herzens? Bleibt es „Mangelware“? Retten Sie dabei, was zu retten ist? Ist etwas zu retten?
Ich kann in meiner gesamten Zeit als Priester – also seit 1989 – feststellen, daß die Zelebration im NOM durch die Hinwendung zur Tradition auf eine andere Qualitätsstufe gelangt. Die ars celebrandi ist auf dem Hintergrund der alten Liturgie weniger dramaturgisch oder choreographisch geprägt als vielmehr von der Verbindlichkeit der rituellen Gestalt. Ich habe mit der auch vor 2007 vom damaligen Kardinal Ratzinger immer wieder geforderten Grundhaltung im Licht der Tradition zu zelebrieren, stets gute Erfahrungen gemacht. Schon als Diakon habe ich mich im Priesterseminar in Ermangelung von regulären Schulungen im Zelebrieren autodidaktisch an ältere Ritenbücher gehalten. Da, wo das neue Meßbuch sich zu konkreten Fragen der rituellen Ausgestaltung ausschweigt – und das tut es ja meistens und mit Absicht – habe ich die alten Rubriken für mich als Richtschnur verwendet. Also: Wie falte ich die Hände? Wie gehe ich mit dem Kelch bei der Gabenbereitung um? Wie erhebe ich die Hostie? Wie verhalte ich mich bei der Zelebration versus orientem? Alle diese Fragen habe ich damals mithilfe älterer Rubrizistiken beantwortet und mir angeeignet. Auf diese Weise hat die Alte Messe meine Zelebration im NOM bereits geprägt, bevor es ein Motu proprio „Summorum Pontificum“ gab. Darin darf man indes keine Ritenvermischung entdecken, denn die Ausführungsbestimmungen der Alten Messe füllen nur das Vakuum, das sich im Missale Pauls VI. auftut.
Wobei natürlich immer wieder die Frage im Raum stand, ob das legitim ist und der Liturgiereform entspricht. Hier darf man durchaus Zweifel hegen, wenngleich sich diese Zweifel eher durch den „Geist“ des Zweiten Vaticanums nähren lassen als durch das Konzil selbst. Josef Ratzinger sah daher die Notwendigkeit einer „Reform der Reform“, mit der eine Korrektur der Liturgiereform an den Stellen ansetzen sollte, wo sie ganz offensichtlich die Absichten des Konzils entweder nicht oder nur vorgeblich umgesetzt hat. Aus dieser Perspektive heraus empfand ich es stets als legitim, dem NOM in seiner rituellen Vielgesichtigkeit und Anfälligkeit für profane Überlagerungen dadurch unter die Arme zu greifen, daß man ihn in der Ausführung der Zelebration durch das Regelwerk der Alten Messe unterstützt. Schließlich muß es ja eine konkrete Konsequenz haben, wenn ich sage, ich zelebriere den NOM im Licht der Tradition. Dies betrifft freilich nur die Ausführungen der Gesten und die Ausstattung des Gotteshauses und nicht den Ritus als solchen. Hier gibt es dann natürlich den Streit über die Grundsatzfrage der Tauglichkeit des NOM.
Wenn es sich – wie es die Absicht einer Reform der Reform war – bewahrheiten sollte, daß der NOM in sich defizitär ist, weil ihm ob seiner Pluriformität die der Liturgie innewohnende Einheit fehlt, dann sind die Versuche, ihn durch Füllen des rubrikalen Vakuums mit einer traditionellen Formensprache aufzuwerten, nicht verboten, solange es keine Neukodifizierung des Ritus gibt. In dieser Hinsicht habe ich den NOM schon vor Summorum Pontificum so zelebriert, daß die Einführung der Alten Messe keine Revolution in meiner Pfarrei ausgelöst hat. Im Gegenteil, es zeigte sich durch die Sichtbarmachung des Alten Ritus, woher das bisherige liturgische Geschehen in meiner Pfarrei ihre Inspiration gewonnen hatte. Ich weiß indes, daß für eingefleischte Tradis dies kein Argument ist, weil es für sie grundsätzlich keinen gut gefeierten NOM gibt, gemäß dem möglicherweise legendären Diktum von Erzbischof Lefebvre, ihm sei die Alte Messe auf Französisch lieber als die neue auf Latein. Andererseits versuche ich mich mit meiner Haltung vor Schizophrenie zu bewahren, die mich in beiden usus verschieden denken, beten und empfinden läßt. Dies mag unzufriedenstellend für manchen Puristen sein, ich kann es aber als deutscher Diözesanpriester nicht anders sehen.
Etwas anderes ist die Frage nach der jüngsten Entscheidung des Papstes, diesen gesamten Fragenkomplex autoritativ entgegen allen theologischen und liturgiewissenschaftlichen Einsichten einem Denk- und Sprechverbot zu unterziehen und vor allem gegen die erklärte Beendigung der Verbotslage des Alten Ritus durch seinen Vorgänger, genau dies wieder zu bekräftigen, nämlich etwas zu verbieten, was Benedikt XVI. als unmöglich zu verbieten apostrophiert hat. Eine solche mißbräuchliche Inanspruchnahme des Papstamtes beschädigt nachhaltig das Vertrauen in die Hierarchie und zwar auch bei denen, die bislang „für Papst und Kirche“ gekämpft haben. Ob der Parforceritt von Franziskus gegen die liturgische Tradition eine Läuterung von der Papolatrie in konservativen Kreisen bewirken wird oder sogar eine offene Entkoppelung vom Papstamt durch Rückzug in „Notgemeinschaften“ wird man sehen…
Es gibt Leute, die sagen: Die neue Messe ist nur etwas für die ganz frommen Priester. Die schwachen werden an ihr scheitern und in all ihre ausgelegten Fallstricke tappen…
Ja und nein. Ich selbst bin im NOM groß geworden und habe auch aus ihm meine Frömmigkeit gezogen durch die gute Zelebration guter und gläubiger Priester. Ich würde mich einer biographischen Lüge schuldig machen, wenn ich sagen würde, daß der NOM mich zu einem latenten Protestanten erzogen hätte. Und auch kann ich für meinen Teil nicht bestätigen, was der von mir hochverehrte Erzbischof von Portland/Oregon, Alexander Sample, auf der letzten Internationalen Liturgischen Tagung in Herzogenrath im Jahre 2017 gesagt hat, daß er sich nämlich in dem Moment erst als Priester gefühlt habe, als er nach der Veröffentlichung „Summorum Pontificum“ zum ersten Mal die Alte Messe gefeiert habe. Nun ist es andererseits so, daß ich schon seit meiner Ministrantenzeit immer – auch hier dank gläubiger und liturgisch sensibler Priester – ein hohes Interesse an der Liturgie verspürte, das mich schon früh zu den Quellen dessen geführt hat, was ja unzweifelhaft auch dem NOM zugrunde liegt.
Denn auch wenn die Variabilität der Regiemöglichkeiten im NOM groß ist, man kann den Ritus auch durch die ars celebrandi so ins Werk setzen, daß er eben nicht „ins Werk gesetzt“ erscheint, sondern – trotz seiner textlichen Defizite – als die Vergegenwärtigung der himmlischen Liturgie. Ich gebe indes zu, daß zu dieser Wahrnehmung ein Vorverständnis notwendig ist, das man nicht haben wird, wenn man stets den NOM als „philanthropisches Wohltätigkeitsbankett“ – um einen Begriff von Cardinal Ottaviani zu verwenden – erlebt hat. Hier erscheint eben die ganze Schwäche des NOM. Um es in meinem Fall einmal per viam negationem darzustellen: hätte ich nicht die Chance oder Gnade der rechten Erlebniswelt auch unter NOM-Bedingungen gehabt, hätte ich sicher kaum oder gar kein Gespür für das Wesen der Liturgie entwickeln können.
Die ersten ausführlichen Begegnungen mit der alten Liturgie in ihrer gesungenen Form hatte ich – nach einigen ausschnitthaften Erlebnissen in den Hinterzimmern stigmatisierter Indultgemeinden – Anfang der 1990er Jahre in Le Barroux. Dort war mir dann klar, daß wir nicht weiterkommen, ohne uns den Fehlern der Liturgiereform zu stellen und – vor allem Priester und Seminaristen – aus dem „Tal der Ahnungslosen“ herauszuholen. Denn man muß eines in der Tat festhalten: zur frommen Zelebration der NOM gehört nicht nur der Glaube an die reale Präsenz Christi und auch nicht bloß der Gehorsam liturgischen Reglements gegenüber – denn die gibt es ja im NOM kaum. Es bedarf vielmehr für den Zelebranten unter anderem die Fähigkeit einen Tisch festlich zu decken, eine Wohnung geschmackvoll einzurichten, Gedichte zu deklamieren und den Unterschied zwischen einem Blumenbouquet und Kunstnelken zu begreifen. Mit anderen Worten, es ist vom Zelebranten verlangt, mit seinen – man könnte sagen – dramaturgischen Fähigkeiten das zu kompensieren, was der Ordo nicht hergibt.
Im Gegensatz zur Alten Messe muß der Priester im NOM alles selbst entscheiden: Wie gehe ich rein? Wo sitze ich? Welche Zelebrationsrichtung wähle ich? Nutze ich nur das, was vorgeschrieben ist oder auch das, was man weglassen kann, aber nicht muß – Kelchvelen, Schultertücher, Patenen oder gar den bösen aber keineswegs auch in der neuen Messe verbotenen Manipel als das wohl provozierendste liturgische Erinnerungsstück an die Liturgie der alten ungeteilten Kirche überhaupt. Und hier – da gebe ich Ihnen recht – zeigt sich, daß die erneuerte Liturgie aus sich heraus keine fromme – oder wenigstens angemessene Zelebration – hervorbringt, sondern eine Menge ästhetischer und formfähiger Begabungen des Liturgen voraussetzt, damit nicht das herauskommt, was man gewöhnlich erlebt: ein Spektrum von neuen Messen (Plural!) die vor allem eines sehen lassen: das geistliche, kulturelle und intellektuelle Niveau des Zelebranten. Der Alte Ritus schützt hingegen vor dem, was man nicht wissen will. Er läßt zwar Schlampigkeit, aber keine Änderung der Zielrichtung zu.
Auch der liturgisch weniger begabte Pius- oder Petrusbruder wird möglicherweise nicht schön zelebrieren. Aber er wird es dennoch nicht schaffen, aus der Liturgie etwas anderes zu machen als sie sein soll: weder ein evangelisches Abendmahl, noch eine textlastige Kultursoiree noch eine Schulstunde mit Liedgarnitur oder eine der heute so beliebten humanistischen „Formate“ mit Saxophonuntermalung. Wobei der NOM auch nicht die Messe davor schützt, daß fromme aber unbegabte Zelebranten aus ihr eine Medjugorje-Andacht machen – gut gemeint aber unkultisch.
Dort wo in den Priesterseminaren die Defizite der neuen Liturgie durch entsprechende kulturelle und ästhetische Bildung ausgeglichen werden, haben die Gläubigen die größte Gewähr, daß die Priester später in der Hl. Messe den Glauben der Jahrhunderte feiert und nicht den Glauben des Zelebranten. Und dennoch: auch bei noch so gut durchdachter Vorbereitung bewegt sich das Ganze nach wie vor in subjektivistischen Wassern. Denn man wird immer wieder einwenden können: „Ja diese Form, diese Wahl der Paramente und der Zelebration ‘in Fahrtrichtung’, diese und jene Nutzung traditioneller Elemente beruht auf der Entscheidung des Zelebranten und nicht auf den Vorgaben des Meßbuchs. Und ist insofern subjektiv. Ich bevorzuge indes die Messe in der puristischen Betonkirche und den Zelebranten mit Regenbogenstola und Queerpredigt.“ Insofern offenbart sich natürlich in allem, was ich bislang angeführt habe, die grandiose Schwäche und Rückgratlosigkeit der Neuen Messe. Und natürlich auch die Notwendigkeit dessen, was Benedikt XVI. mit seinem Gedanken der „Reform der Reform“ – wie auch immer man sich die vorstellen soll – als „Great Reset“ der Liturgiereform zu Erneuerung der Feier des christlichen Kultmysteriums beabsichtigte. Zwischenzeitlich ist es jedoch durch Papst Franziskus unter Strafe verboten, über so etwas auch nur laut nachzudenken. Die Tatsache, daß ich es an dieser Stelle dennoch tue zeigt indes, daß sich dieser päpstliche Versuch, Tradis bei ihrer Papstreue zu packen und sie auf diese Weise zu disziplinieren und unwirksam zu machen, zu kurz greift. Ich halte es mit Newman, der stets erst auf das Gewissen und dann erst auf den Papst einen Toast aussprechen wollte.
Dann wird sich in Ihrer Gemeinde durch Taditionis Custodes erst einmal nicht viel ändern? Gab es vernehmbare Reaktionen auf das Motu Proprio?
Alles ganz entspannt. Es ändert sich erstmal so gut wie nichts. Dennoch kann ich nachfühlen, wie es an Orten zugeht, wo es nicht einen verständnisvollen Bischof gibt oder die Kirche lediglich wie eine Location für eine Hochzeitsfeier zu Verfügung gestellt werden darf, damit man dort, wie ich es einmal hörte – Sie entschuldigen den Ausdruck – seine „spirituelle Notdurft“ verrichten kann. So sehr es hier ganz normal und auch bereichernd für viele zugeht, so schwierig ist die Situation an anderen Stellen, wo jetzt die Alte Messe wieder in Haft genommen wird.
Papst Franziskus begeht hier einen entscheidenden Denkfehler wie mir scheint. Er reglementiert das, was aus seiner Sicht schädlich ist oder bevormundet die Laien, die sonst alle möglichen und unmöglichen Freiheiten zugesprochen bekommen, wie kleine Kinder und stellt die Zelebration der Alten Messe unter den gerade von ihm doch offenbar als ungedeihlich betrachteten Zentralismus. Stichwort: Genehmigungsverfahren, Verbot für junge Priester, nach ihrer Weihe Anträge zur Zelebration nach dem Missale von 1962 zu stellen etc.
Einmal angenommen, diese recht subjektivistische Verpflichtung der Weltkirche auf seinen persönlichen jesuitisch-lateinamerikanischen Geschmack wäre legitim, wieso fragt er sich nicht, woher das Bedürfnis der vielen jungen Priester und Gläubigen zur Feier der Liturgie in den überlieferten Formen kommt? Wieso erkennt er darin keinen Indikator des Verlustes? Sieht er die gängigen Mißbräuche in der Liturgie nicht? Versteht er das Anliegen seines Vorgängers überhaupt? Ist er sich im Klaren, was es bedeutet, wenn eine kulturelle Institution wie die Kirche – um nur einmal diesen profanen Aspekt zu nehmen – derart mit ihrer Vergangenheit abrechnet? Weiß er, daß er mit seinem Angriff auf die Tradition auch die Gegenwart trifft? Fragen, die wenn man sie mit „Nein“ beantwortet, eines im Raum zurücklassen: die weitergehende Frage, ob man eine autoritative Anordnung, die derart subjektiv motiviert ist, ernst zu nehmen hat. Oder man sie eher ertragen als befolgen muß – solange, bis der Winter wieder vorüber ist…
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Mit Pfarrer Rodheudt sprach Angela Kirsch, Schriftleitung der Una Voce Korrespondenz
Link zur Alten Messe in Herzogenrath: https://www.st-gertrud.info/missa-tridentina.html
Hinweis vom Cathwalk: Wer zwischen Heinsberg und Herzogenrath wohnt und eine Fahrgelegenheit zur Alten Messen nach Herzogenrath braucht (Messzeiten: Montags um 18.30 Uhr und Samstags um 9.00 Uhr), kann sich beim Cathwalk melden.
Mich überzeugt die Haltung von Pfr. Rodheudt. Wenn man sich nur über schöne Blumen freut und die Wurzeln für unwichtig hält, wird man sich in kürzester Zeit über vergangene Schönheit und fehlendes Wachstum ärgern. Kirche (und Liturgie) ist aus Tradition modern. Und ich denke, sie ist nur aus Tradition modern. Dazu darf man nicht Tradition und Moderne gegeneinander ausspielen. – Sehr erfreulich, dass es solche Ansätze gibt – und hoffentlich wird das auch möglichst bald zu einer geänderten Haltung bei Papst Franziskus führen.