Samstag, 23. November 2024

Synodalgewitter

Beherzt stürzten sich viele Medien gestern auf ein kurzes Statement des Regensburger Bischofs Dr. Rudolf Voderholzer. Auch der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, wurde in der „Tagesschau“ am 3. Februar 2022 sogleich wieder deutlich und sprach von einer „Grenzüberschreitung“.

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Was hatte Voderholzer wirklich gesagt? Er kritisiert das Gutachten der bekannten Münchner Kanzlei, das mittlerweile wie ein Richtspruch der höchsten Instanz aufgefasst wird. Zudem äußerte er: „Kleingeredet wird dagegen der unbestreitbare Tatbestand, dass die Strafrechtsreform 1973 den Verbrechenscharakter des Kindesmissbrauchs aufgehoben hat (bis er im letzten Jahr wieder eingeführt wurde), auch nicht, dass dies geschah mit Berufung auf sexualwissenschaftliche Thesen, wonach die Vernehmungen den Kindern mehr Schaden zufügten als der Missbrauch selbst. Und in einer psychologischen Fachzeitschrift war im Blick auf den sexuellen Kindesmissbrauch und seine strafrechtliche Bewertung sogar vom „Verbrechen ohne Opfer“ die Rede. Mir drängt sich die Einsicht auf: Das WSW-Gutachten ist ganz offenkundig von dem klaren Interesse geleitet, diese Entwicklung kleinzuschreiben, um damit die Schuld derer, die zu wenig sensibel waren und die Opferperspektive vernachlässigt haben, größer erscheinen zu lassen.“ Erst seit dem 10. Mai 2021 sind u. a. der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornographie sowie der sexuelle Missbrauch von Kindern nicht länger als Vergehen, sondern strafrechtlich wieder eindeutig strafrechtlich als Verbrechen bestimmt.

Um den damals virulenten Zeitgeist sich zu vergegenwärtigen, muss vielleicht eines prominten Reformpädagogen und Anhängers der 1968er-Bewegung, nämlich an den „Fall Helmut Kentler“ erinnert werden: „Lange Zeit war Helmut Kentler ein viel gefragter Mann. Berichtete etwa der Spiegel in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren über Themen wie Urlaub, Schule, Erziehung und Sexualität, wurde gern der Psychologe, Sozialpädagoge und Sexualforscher Kentler zitiert. Auch im Radio und im Fernsehen war er präsent. Beispielsweise hatte Kentler mehrfach Auftritte in der WDR-Radiosendung „Hallo Ü-Wagen“, stellte sich für die ARD-Ratgebersendung „Kinder und ihre Sexualität“ als Gesprächspartner zur Verfügung und diskutierte mit dem (inzwischen sehr umstrittenen) Reformpädagogen  Hartmut von Hentig live im ZDF über „Schulverweigerer“. Zudem war Kentler bei Tagungen ein gern gesehener Referent, er führte in ganz Deutschland Fortbildungen durch und wurde von der Politik als Experte eingeladen. In der Wissenschaft gilt Helmut Kentler als Vertreter, ja als „Nestor“ einer emanzipatorischen, emanzipierenden bzw. (kritisch-)emanzipativen Sexualpädagogik.“ Die Rede von der Entkriminalisierung also sexueller Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern war in den 1970er-Jahren salon- und diskursfähig. Dies galt als emanzipatorisch. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. stellte in seinem noch immer lesenswerten Aufsatz „Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs“ am 11. April 2019 fest: „Zu den Freiheiten, die die Revolution von 1968 erkämpfen wollte, gehörte auch diese völlige sexuelle Freiheit, die keine Normen mehr zuließ. Die Gewaltbereitschaft, die diese Jahre kennzeichnete, ist mit diesem seelischen Zusammenbruch eng verbunden. … Zu der Physiognomie der 68er Revolution gehörte, daß nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde.“

Zur Vertiefung sei auch ein Beitrag von Alice Schwarzer, die nicht im Verdacht steht, römisch-katholisch zu sein, empfohlen. Aber ob die kritische Perspektive der Frauenzeitschrift „Emma“ heute wirklich gewünscht ist? Vielleicht fragen auch Sie sich: Warum vergibt die deutsche Bundesregierung nicht Gutachteraufträge zur Aufklärung über die Facetten des sexuellen Missbrauchs im Staat, in Institutionen, in der Gesellschaft und die Behandlung dieser Themen in den Medien „nach 1968“? Bischof Voderholzer, der ein entschlossener Streiter wider den sexuellen Missbrauch ist, energisch zur Aufklärung dieser skandalösen Vorgänge in der Kirche beigetragen hat, sprach anscheinend einen sehr sensiblen Punkt an. Der wachsame Bischof von Regensburg steht entschlossen an der Seite der Betroffenen. Das kann nicht oft genug betont werden. Der sexuelle Missbrauch in Institutionen, darunter natürlich auch in der Kirche, muss rückhaltlos aufgearbeitet – und, nach meiner unmaßgeblichen Meinung, ist die Aufhebung der Verjährungsfrist für solche Verbrechen genauso notwendig wie die Verschärfung des Strafrechtes.

2 Kommentare

  1. Respekt vor diesem Bischof!
    In der öffentlichen Berichterstattung nehme ich unsere Bischöfe nur noch als im Staube kriechende Schuldträger wahr.
    „Herr Bischof, möchten Sie bitte unseren Lesern erzählen, wie schimm die katholische Kirche ist?“ „Aber gern doch …“

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