Auf dem digitalen „Synodalen Tag“ im Bistum Hildesheim, der am 29. Mai 2021 stattgefunden hat, erinnerte der Diözesanbischof Dr. Heiner Wilmer mit seinem Statement – „Fakten schaffen Normen.“ – mit Blick auf die nächsten Schritte von Frauen in der Kirche wahrscheinlich unbedacht an den Rechtsgelehrten Georg Jellinek (1851-1911), auf den die Wendung der „normativen Kraft des Faktischen“ zurückgeht.
Jellinek betonte hier im rechtlichen Rahmen die Abkehr vom Naturrecht. Die Gewohnheiten des Alltags und des täglichen Lebens werden prägend, so dass schließlich das Gewohnheitsrecht das geltende staatliche Recht nach und nach verdrängt. So können wir uns fragen: Gelten künftig in unseren Diözesen noch das „Kirchenrecht“ und der Katechismus oder steht uns ein deutschkatholisches Gewohnheitsrecht bevor?
Einige von Ihnen werden sich noch an die „Piratenpartei“ erinnern, die vor etlichen Jahren für Furore gesorgt hat, ehe diese dann von der politischen Bühne weitgehend wieder verschwand. Es könnte hilfreich sein, sich zu vergegenwärtigen, was in diesem Zusammenhang auf dem öffentlich nutzbaren Wiki, das von der Piratenpartei gegründet wurde, verzeichnet steht.
Die „normative Kraft des Faktischen“ bezeichne eine „Vorgehensweise zur Strukturformung in Institutionen“: „Bei dieser Vorgehensweise wird durch einen kleinen Personenkreis zuerst eine Strukturvorlage geschaffen. Die Gestalt dieser Vorlage richtet sich nach den Interessen, Bedürfnissen und Ansichten dieses Personenkreises. Daraufhin folgt eine Suggestion an die Gesamtheit der Institution, dass die Struktur entweder schon aktiv sei, oder es zwangsläufig bald werde, und man sich deswegen nach der Struktur richten sollte. Beliebt ist es in diesem Zusammenhang, eine frühzeitige Adaption der Struktur mit einer Belohnung zu verknüpfen. Diese Belohnung kann auch impliziter Art sein. Ein weiteres Mittel zur Verstärkung dieser Suggestion ist das Beschwören von Chaos und Desorganisation, die ohne die geplante Struktur entweder dauerhaft aus dem Ruder liefen, oder nur durch die geplante Struktur zu stoppen seien. Ist ein demokratischer Beschluss zur Durchsetzung der Struktur vonnöten, so wird die Alternativlosigkeit betont. In der Folge tritt bei den an der Struktur teilnehmenden Akteuren eine Gewöhnung ein, sowie ein durch die teilnehmenden bewirkter Anpassungsdruck auf die nicht teilnehmenden. Abschließend wird die neue Struktur offiziell als gültig gewählt oder proklamiert, wobei zur Wahl entweder nur eine Option aufgestellt ist, oder nur eine Option über die nötige Praxiserprobung verfügt. Eine übermäßige Anwendung der normativen Kraft des Faktischen erzeugt bei den nicht ausübenden Personen häufig Misstrauen, Wut und unsachliche Kritik. Dadurch nimmt die Strukturvorlage selbst, die sehr nützlich sein kann, oft schweren Schaden im Ansehen der Öffentlichkeit der Institution.“
Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit geht: Aber das Credo der Kirche, der Codex Iuris Canonici, der Katechismus und die Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte überzeugen mich mehr als eine deutschkatholische „normative Kraft des Faktischen“. Oder sehen die Beteiligten auf dem „Synodalen Weg“ das mehrheitlich anders? Und wenn das so ist: Wissen sie, was sie tun? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, was ich tue: „Ubi Petrus, ibi ecclesia.“ Wo Petrus, wo der Papst ist, ist die Kirche. Das lehrte schon der heilige Ambrosius.