Eine geistliche Betrachtung
Das „Missale Romanum“ aus dem Jahr 1962, das mich bis heute begleitet, gehört zu den schönsten Erbstücken, die ich von meiner lieben Großmutter empfangen durfte. Sie hat darin die Todesanzeige ihres Vaters eingefügt, der tiefgläubig und herzensfromm am Ende der 1950er-Jahre aus Polen nach Deutschland ausreisen durfte. Josef Drosdowski konnte sich schwer von der Heimat trennen. Aber er war erfüllt von der Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit seiner längst in Deutschland ansässigen Familie und geborgen in der Weggemeinschaft der Kirche, die alle Orte und Zeiten umschließt. Am Ende seines Lebens also reiste er nach Deutschland, ein einfacher Pilger des Glaubens, der auf alle Besitztümer in Polen verzichtet hatte und nur eine kostbare Statue der Muttergottes mit sich trug. Maria, die Königin des Himmels, war ihm zeitlebens Stütze, Beistand und Trost. Besonders „Maria Immaculata“ war er von innen her tief verbunden.
Wenn ich in den adventlichen Tagen seine Todesanzeige in dem „Schott“ lese, der seit einiger Zeit mir gehört, studiere ich neu die sorgsamen und wertvollen Einführungen zu den Festtagen im Kirchenjahr und verharre gern am 8. Dezember, wenn die Kirche dankbar, hoffnungsvoll und glücklich das Hochfest der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria feiert. Sixtus IV. hatte es 1477 in Rom eingeführt, Clemens XI. im Jahr 1708 allgemein vorgeschrieben. Der selige Pius IX. erhob dieses anlässlich der feierlichen Erklärung des Glaubenssatzes von der Unbefleckten Empfängnis im Jahr 1854 zum gebotenen Feiertag – seit 1879 wird die heilige Messe an diesem Tag als Hochamt gefeiert, also ein ganz katholisches Fest erster Klasse. Ein Glaubenssatz ist ein Prüfstein, ein Moment der Unterscheidung, eine echte Glaubensfrage, die viele Zeitgenossen heute sprachlos macht und auch staunen lässt.
Vielleicht sind auch Sie so wie ich im Lauf Ihres Lebens das eine oder andere Mal gefragt worden: „Glaubst du das wirklich?“ Wer heute aufrichtig gläubig ist und zum Glauben der Kirche steht, setzt sich mitunter einem grellen weltlichen Gelächter aus. Wir Katholiken müssen uns nicht fürchten: Wir halten das aus.
Die Festmesse sei, so steht es im „Schott“, „in allen ihren Teilen ein jubelvolles Bekenntnis zu den hohen Gnadengaben der Unbefleckten“. Jubeln Sie – ob im Herzen oder öffentlich – am 8. Dezember? Freuen Sie sich darüber, dieses Fest feiern zu dürfen? Sind Sie erfüllt vom Glück, einfach nur römisch-katholisch zu sein? Sind Sie dankbar für die Obhut und den Schutz der Gottesmutter? „Im Introitus hören wir Maria im wunderbaren Schmuck ihrer einzigartigen Begnadigung vor dem Throne Gottes ein Danklied anstimmen …“ Wir lesen dort: „Voll des Frohlockens bin ich im Herrn, und meine Seele jauchzt auf in meinem Gott; denn Er hat mich gekleidet in Gewänder des Heiles, hat mich umhüllet mit dem Mantel der Gerechtigkeit, wie eine Braut im Schmucke ihres Geschmeides. Dich will ich preisen, Herr; denn Du hast mich in Schutz genommen und ließest meine Feinde nicht frohlocken über mich.“
Bedarf unser Glaube großer Worte? Mein Urgroßvater hat zeitlebens nicht viele Worte über das Fundament seines Lebens gemacht. Als er im Frieden des Herrn starb, so war er voller Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens und den Schatz des Glaubens. Er wusste, dass die Treue zu Christus die Treue zur Kirche und die Liebe zur Gottesmutter miteinschließt. Vielleicht dürfen auch wir dankbar sein und den Herrn preisen, dass Er uns schützt und dass die Feinde – ganz gleich, wie mächtig und gewaltig sie aufzutreten scheinen – im Letzten nicht triumphieren werden, ja nicht triumphieren können. Im Lauf meines Lebens habe ich manchmal gedacht: Der Herr kommt wieder – und auch jene, die nicht an das Gericht Gottes glauben, werden eines Tages vor Ihm stehen.
Im Graduale heißt es: „Tota pulchra es, Maria: et macula orginalis non es in te.“ Das heißt: „Ganz schön bist du, Maria; in dir ist nicht der Erbschuld.“ Daran glauben wir, und darum feiern in Dankbarkeit und Freude das Hochfest der Unbefleckten Empfängnis. Mögen wir alle immer diesem Glauben treu bleiben!
Papst Benedikt XVI. fand am 8. Dezember 2012 an der Mariensäule vor der Spanischen Treppe Worte, die auch uns heute ins Herz treffen und berühren können:
„So erleidet die Kirche durch alle Prüfungen, die sie im Laufe der Zeiten und in den verschiedenen Weltgegenden durchmacht, zwar Verfolgung, geht aber schließlich als Siegerin daraus hervor. Und gerade auf diese Weise ist die christliche Gemeinschaft die Anwesenheit, die Gewähr der Liebe Gottes gegen alle Ideologien des Hasses und des Egoismus. Die einzige Gefährdung, vor der sich die Kirche fürchten muss, ist die Sünde ihrer Glieder. Während nämlich Maria unbefleckt, also frei von jedem Makel der Sünde ist, ist die Kirche heilig, doch gleichzeitig von unseren Sünden gezeichnet. Deshalb wendet sich das in der Zeit pilgernde Gottesvolk an seine himmlische Mutter und bittet um ihre Hilfe; es bittet darum, dass sie den Weg des Glaubens begleite, zum Einsatz für das christliche Leben ermutige und die Hoffnung stütze. Gerade das ist vor allem in diesem für Italien, für Europa, für verschiedene Teile der Welt so schwierigen Moment vonnöten. Maria hilf uns, hinter der Nebeldecke, die die Wirklichkeit einzuhüllen scheint, ein Licht zu sehen. Deshalb unterlassen auch wir es besonders bei diesem Anlass nicht, sie mit kindlichem Vertrauen um ihre Hilfe zu bitten: »O Maria, ohne Sünde empfangen, bitte für uns, die wir zu dir unsere Zuflucht nehmen.« Ora pro nobis, intercede pro nobis ad Dominum Iesum Christum!”