Von Dennis Spieß von katholisch.com
Die ganze streitende Kirche und alle Chöre der Engel freuen sich, wenn jemand katholisch wird, so wie Dennis Spieß. Er hat zur Kirche Jesu Christi gefunden. Hier erzählt er seine Geschichte:
Fragt ein Katholik zwei Protestanten, was Sola Scriptura bedeute, so erhält er oft drei Antworten. Das macht es nicht gerade leicht, wenn wir verstehen wollen, wie unsere getrennten Brüder denken und glauben.
Drei wichtige Begriffe sind hier zu unterscheiden: Sola Scriptura, Solo Scriptura und Tota Scriptura. Während Sola Scriptura besagt, dass „allein die Schrift“ die höchste Autorität für den Glauben innehat, gibt es in der evangelikalen gelebten Praxis häufig auch die Auffassung, dass „nur die Schrift“ wirkliche Autorität besitzt (Solo Scriptura). Darüber hinaus kommt noch der Grundsatz von Tota Scriptura zu tragen, der besagt, dass der Christ die „ganze Schrift“ in ihrem Gesamtzusammenhang beachten soll. Dies entspricht der hermeneutischen Idee, dass die Schrift sich selbst auslegt. Häufig wird dabei angenommen, dass sich unklare Verse immer durch andere klare Schriftstellen erklären lassen können.
Obwohl ich persönlich meine, dass Sola Scriptura in der Anwendung bei den wirklich entscheidenden Fragen und in der Apologetik gegen die katholische Mentalität letztlich doch auf Solo Scriptura hinausläuft, möchte ich mich in diesem Artikel an einer Formulierung abarbeiten, die uns das berühmte und unter presbyterianischen Reformierten weltweit heute noch beliebte Westminster Glaubensbekenntnis vorlegt. Daran will ich aufzeigen, dass Sola Scriptura als Prinzip zum Scheitern verurteilt ist.
Was das Westminster Bekenntnis zum Thema sagt
Nachdem das Glaubensbekenntis in Artikel 1.2 den protestantischen Bibelkanon definiert hat – ein Thema, das wir weiter unten noch zu betrachten haben, geht das Bekenntnis in Artikel 1.4 dazu über, die Autorität der Heiligen Schrift damit zu begründen, dass sie Wort Gottes ist:
„Die Autorität der Heiligen Schrift, um deretwillen man ihr glauben und gehorsam sein muß, beruht nicht auf dem Zeugnis irgendeines Menschen oder einer Kirche, sondern völlig auf Gott, der die Wahrheit selbst ist, als ihrem Autor, und darum ist sie anzunehmen, weil sie das Wort Gottes ist.“
Die Berufung auf Gott und Sein Wort sollten wir für die weitere Argumentation im Hinterkopf behalten. Das auch so bekannte Westminster Confession of Faith führt in Artikel 1.6 weiter aus:
„Der ganze Ratschluß Gottes in bezug auf alles, was zu seiner eigenen Ehre und zum Heil, zum Glauben und zum Leben des Menschen nötig ist, ist entweder in der Schrift ausdrücklich niedergelegt oder kann durch gute und notwendige Schlußfolgerungen aus der Schrift hergeleitet werden. Zu ihr darf zu keiner Zeit etwas hinzugefügt werden, sei es durch neue Offenbarungen des Geistes oder durch menschliche Traditionen. Trotzdem anerkennen wir, daß die innere Erleuchtung des Geistes Gottes zum heilschaffenden Verständnis solcher Dinge, die im Wort geoffenbart sind, notwendig ist und daß es einige Umstände bezüglich des Gottesdienstes und der Kirchenleitung gibt, die allen menschlichen Handlungen und Gesellschaften gemeinsam sind, die durch das Licht der Natur und christliche Klugheit nach den allgemeinen Regeln des Wortes, die stets beachtet werden müssen, geordnet werden müssen.“
Da die protestantischen Schreiber dieses Credos stillschweigend und dennoch offensichtlich das Wort Gottes mit der Heiligen Schrift gleichsetzen, ist demnach das „zum Heil, zum Glauben und zum Leben des Menschen“ Nötige explizit oder implizit in der Schrift vorhanden. Die Ausnahme von u.a. ein paar liturgischen Umständen widersprechen hier dem Sola Scriptura-Prinzip nicht. Vielmehr unterstreichen sie es gerade auch im Hinblick darauf, dass zuvor „menschliche Traditionen“ als Glaubensquellen neben der Bibel verworfen werden.
Das Wort Gottes
Das Fundament der Argumentation von Westminster sowie auch 90% aller populären Argumente für Sola Scriptura lassen sich sehr schnell widerlegen, wenn wir verstehen, was das Wort Gottes ist. Denn das Wort Gottes ist nicht mit der Schrift allein deckungsgleich, wie es Protestanten häufig ungeprüft voraussetzen. Geht das Wort Gottes in seinem Umfang jedoch über die Schrift hinaus, so ist Sola Scriptura schon widerlegt. Denn jedem frommen Protestanten sollte sofort einleuchten, dass Gott und somit sein Wort immer die höchste Autorität hat. Die Teilmenge des Wortes Gottes, die also über die Bibel hinaus geht, hat neben dieser Scriptura dann ebenfalls höchste Autorität. So darf es nun aber nicht mehr heißen: „Allein die Schrift!“ Sondern Protestanten müssten allenfalls bekennen: „Allein das Wort Gottes!“
Um zu belegen, dass das Wort Gottes sich nicht auf den Schriftkanon begrenzen lässt genügt bereits ein Blick in den Katechismus der Katholischen Kirche, der besagt, dass neben der Schrift auch eine mündliche Überlieferung von Gottes Wort vorhanden ist:
„Die Heilige Schrift ist Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch des Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet worden ist. Die Heilige Überlieferung aber gibt das Wort Gottes, das von Christus, dem Herrn, und vom Heiligen Geist den Aposteln anvertraut wurde, unversehrt an deren Nachfolger weiter, damit sie es unter der erleuchtenden Führung des Geistes der Wahrheit in ihrer Verkündigung treu bewahren, erklären und ausbreiten“ (KKK 81)
Da sich aber Protestanten kaum von katholischen Quellen überzeugen lassen, ist es schlau sich für die Argumentation auch auf das reformatorische Schriftprinzip einzulassen und ausschließlich Schriftbelege anzuführen. So schlagen wir die Protestanten mit ihren eigenen Waffen – eine nach Sprüche 26,4-5 sehr weise Vorgehensweise.
Was die Bibel über das Wort Gottes sagt
So schreibt der heilige Apostel Paulus in 1. Thessalonicher 2,13: „Darum danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern – was es in Wahrheit ist – als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Glaubenden, wirksam.“
Da es aber keinen inspirierten 0. Thessalonicher-Brief gibt, muss die Verkündigung zwangsläufig außerbiblisch und wahrscheinlich auch mündlich vonstatten gegangen sein. Und diese Verkündigung ist laut inspirierter Heiliger Schrift explizit auch Wort Gottes.
Und so kann Paulus in seinem 2. Brief an die Thessanlonicher im 2. Kapitel Vers 15 ergänzend schreiben: „Seid also standhaft, Brüder, und haltet an den Überlieferungen fest, in denen wir euch unterwiesen haben, sei es mündlich, sei es durch einen Brief!“
Und man darf hier nicht meinen, dass alles, was Paulus den Thessalonichern mündlich verkündet hat, auch letztlich schriftlich in der Bibel Niederschlag gefunden hat. So schreibt er nur wenige Zeilen zuvor in den Versen 5-6: „Erinnert ihr euch nicht, dass ich euch dies schon gesagt habe, als ich bei euch war? Ihr wisst jetzt auch, was ihn zurückhält, damit er erst zu seiner Zeit offenbar wird.“
Es wird hier also vorausgesetzt, dass die Leser wissen, was da noch zurückhält, obwohl dies weder in den Thessalonicher-Briefen noch irgendwo sonst in der Bibel klar geklärt wird. Dabei ist dies dennoch von größter Brisanz für die Christen in der Endzeit zu wissen, wer oder was dieser sogenannte „Katechon“ (dt.: der, der zurückhält) ist, dessen Verschwinden das Kommen des Antichristen ermöglicht.
Die Schrift allein lehrt uns also bereits, dass die Schrift allein nicht Gottes Wort sein kann, sondern auch mindestens die apostolische Tradition als solches zu verstehen ist. Damit scheitert Sola Scriptura und das Westminster Bekenntnis untergräbt sich selbst. Als ich das anhand von den oben genannten Bibelstellen persönlich erstmals verstanden habe, wurde ich vom Protestanten zum Katholiken.
Es spielt für diese Argumentation übrigens auch keine Rolle, ob die überlieferte apostolische Tradition eine „menschliche Tradition“ ist, wie sie das Westminster Bekenntnis abwertend betitelt. Denn auch schon die Heilige Schrift kommt in Menschenwort daher. Und auch das Wort Gottes selbst, wurde Mensch (Joh 1,14). Entscheidend ist hier nur die Frage, ob es sich um Wort Gottes handelt und es somit der göttlichen Quelle entspringt.
Und genauso wenig, wie ein Protestant Matthäus gegen Lukas ausspielen würde, können wir ihm nun auch vorhalten, dass er nicht das schriftliche gegen das mündliche Wort Gottes ausspielen darf. Man kann nicht die göttliche Autorität gegen die göttliche Autorität ins Felde führen. Aber da kommen wir schon zum nächsten Problem von Sola Scriptura.
Wie erkenne ich als Protestant den Kanon?
Wenn ich als treuer Protestant im Sinne des Westminster Bekenntnis leben möchte, dann ist eine Definition des Umfangs der Heiligen Schrift auf jeden Fall „zum Glauben nötig“. Immerhin ist dann ja die Bibel die Grundlage für alles andere. Also muss ich auch unumstößliche Gewissheit darüber haben, was zur Schrift dazu gehört und was nicht. Und diese Gewissheit kann mir dann nicht durch den Heiligen Geist gegeben werden (pneumatische Begründung des Kanons) und auch nicht durch die Kirche oder die Tradition (historisch-ekklesiologische Begründung des Kanons). Denn es gilt ja in Bezug auf den Glauben und zur Bibel zu beachten: „Zu ihr darf zu keiner Zeit etwas hinzugefügt werden, sei es durch neue Offenbarungen des Geistes oder durch menschliche Traditionen.“
Wenn mir also die Bibel kein inspiriertes Inhaltsverzeichnis ihrer selbst liefert, dann kann ich in dieser Denke letztlich nicht abschließend wissen, was zur Bibel gehört. Und das untergräbt die Möglichkeit, mit der Bibel für Sola Scriptura zu argumentieren. Denn ich weiß ja dann nie, ob der Vers, der meiner Ansicht nach Sola Scriptura untermauert, wirklich in einem Buch steht, das inspiriert ist und zum Bibel-Kanon gehört. Deshalb und um den Rahmen nicht zu sprengen, verzichte ich hier auch auf die Widerlegung typischer Verse, die von Protestanten gerne zur Bestätigung ihrer Lehre von der Genügsamkeit der Schrift angeführt werden.
Wie gehe ich als Protestant mit textkritischen Stellen um?
Was aber für den Kanon als Ganzes gesagt werden kann, darf auch für vereinzelte Verse angewendet werden, die textkritisch umstritten sind. Immer wieder gibt es Varianten in den gefundenen hebräischen und griechischen Grundtexten der Bibel, die verschiedene Deutungen zulassen. Für uns Katholiken stellt dies kein Problem dar. Denn wie schon beim Kanon, haben wir im Zweifelsfall das von Gott eingesetzte und geführte Lehramt, was uns bei theologischen Problemen, die richtigen Antworten liefern kann.
Und da nutzen auch keine Beschwichtigungen, dass die unterschiedlichen sogenannten Lesarten von einzelnen Versen keine theologischen Unterschiede machen würden. Denn ist dies wirklich der Fall?
Wollen wir tatsächlich beispielsweise die Perikope von der Ehebrecherin missen? (Joh 7,53-8,11) Oder was ist mit dem Relativpronomen in Eph 1,14, das je nach Grundtext die im Vers erwähnte Anzahlung auf den Glauben oder den Heiligen Geist bezieht und somit soteriologische Auswirkungen bzgl. der Notwendigkeit von Werken haben könnte? Oder welcher Katholik möchte auf Mk 16,16 als Teil des langen Markusschlusses verzichten, wenn es um den ganzen Fragenkomplex der Taufe geht? Und welcher Charismatiker auf Mk 16,17-18? Und ist es wirklich egal, ob das Gloria von „Menschen guten Willens“ oder von „Menschen seines Wohlgefallens“ spricht? (Lk 2,14) Dies sind alles Beispiele von textkritischen Stellen, die mehr oder weniger großen Einfluss auf unsere Theologie nehmen können und, wie wir sehen, sogar heilsrelevante Dinge behandeln.
Fazit
Es zeigt sich also: Sola Scriptura ist nicht nur als Prinzip absolut widersprüchlich, sondern auch nicht praktikabel, wenn es darum geht, ordentlich und umfassend Theologie zu betreiben. Das alles offenbart, dass die Frage von Sola Scriptura eine unüberwindbare Problematik für Protestanten darstellt und eine wahre Ökumene behindert.
Wenn Du mehr biblische Argumente für Gespräche mit Protestanten kennen lernen möchtest, schaue gerne auch mal auf dem Blog von Katholische Antworten vorbei oder abonniere sie auf YouTube und Telegram.