Seit einigen Jahren lässt sich in der modernen Sakralarchitektur ein Trend beobachten: man baut nicht mehr in erster Linie funktionale Versammlungsbauten, sondern man entdeckt die Transzendenz im Bauen wieder. Es dominiert ein „spiritueller Minimalismus“, der sehr stark Licht als Gestaltungselement einsetzt, was sich wiederum bei einer christlichen Sakralarchitektur äußerst gut anbietet.
Auch im 21. Jahrhundert ist die Unterscheidung zwischen Sakral- und Profanarchitektur kein einfaches Unterfangen. Das liegt allerdings nicht daran, dass die Sakralarchitektur zu sehr an der Profanarchitektur orientiert ist und ihre Eigenart negiert, sondern vielmehr daran, dass die Profanarchitektur „transzendenter“ geworden ist.
Die Architektur eines Museums bspw. hat die Funktion, die Kunstwerke, die es beherbergt, möglichst gut zur Geltung zu bringen. Vor 150 Jahren legte man darüber hinaus noch auf den dekorativen und repräsentativen Charakter des Gebäudes Wert, aber das war es dann eigentlich schon. Nun findet man eine Museumsgeneration vor, deren markante Gestaltungmittel Licht und Unendlichkeit andeutende Formen bzw. Raumkonstruktionen sind. Diese Museen sind, allein von der Architekturerfahrung her gesehen, zu spirituellen Räumen geworden. Eine mögliche Erklärung für diese Entwicklung erhält man, wenn man den modernen Städtebau in China betrachtet.
Man hat dort mit dem Problem zu kämpfen, dass man Zentren für die diversen Planstädte benötigt. Aus historischer und ethnologischer Perspektive bieten sich dafür Sakralbauten an. Nun ist China bekanntlich ein atheistischer Saat, weshalb man anstatt auf Sakralbauten auf Kulturbauten wie Museen oder Opern zurückgreift. Diese müssen sich jedoch zum einen in irgendeiner Art und Weise von der Architektur der Umgebung unterscheiden und zum anderen unbewusst die Funktion von Sakralbauten erfüllen. Und so sind in China Gebäude entstanden, die über reine Kulturbauten hinausgehen, indem sie eine spirituelle Dimension beinhalten. Ein Beispiel hierfür wäre das zwischen 2010 und 2012 entstandene OCT – Design Museum in der chinesischen Millionenstadt Shenzhen.
Ein erstes Beispiel für gelungene Sakralarchitektur des 21. Jahrhunderts ist die in der Tschechischen Republik gelegene Trappistenabtei von Nový Dvůr, die zwischen den Jahren 1999 und 2004 nach den Plänen des britischen Architekten John Pawson restauriert bzw. teilweise neu erbaut worden ist. Die Abtei besteht aus einer Mischung von barocken und modernen Gebäudeteilen, die aufgrund eines starken Gesamtkonzeptes erstaunlich gut miteinander harmonieren.
Die Zisterzienser brachten schon früh in ihrer Geschichte ein architektonisches Programm für ihre Klosterbauten hervor. Federführend hierfür war Bernhard von Clairvaux, der ein klares Bild von einer angemessenen monastischen Architektur hatte und der von der Notwendigkeit einer einheitlichen Architektur überzeugt war. Dieses architektonische Programm enthielt einerseits den an Funktionalität orientierten „Idealplan“ eines Zisterzienserklosters und anderseits Empfehlungen, die alle anderen Bereiche wie bspw. die Formensprache der Bauten betrafen. Die zwei Leitmotive der zisterziensischen Baukunst sind Schlichtheit und eine gewisse Funktionalität, die sich beide aus dem Profil des Ordens ableiten lassen und die auch nach mehr als 900 Jahren die Architektur der Abtei von Nový Dvůr prägen (die Trappisten sind ein zisterziensischer Reformorden).
Das erkennt man bspw. an der Kirche der Abtei oder am Kapitelsaal, die beide Schlichtheit und Funktionalität ausstrahlen, ohne dass man den Eindruck von Sterilität erhält. Die zwei Gebäudeteile ähneln sich stark: es werden jeweils die in weiß gehaltenen Wände durch die dunklen Holzmöbel kontrastiert. Durch die gelungene Lichtgestaltung erhalten sie ihre spirituelle Dimension. Dabei gibt es nichts, was die Mönche vom Wesentlichen ablenken könnte. Bernhard von Clairvaux wäre von diesem Kloster, das so sehr seine Apologia ernst nimmt, begeistert gewesen. Es existiert eine sehr sehenswerte kurze Dokumentation über den Bauprozess und der Architektur von Nový Dvůr.
Das zweite Beispiel ist die zwischen 2005 und 2007 nach den Plänen des Architekten Peter Zumthor erbaute Bruder-Klaus-Feldkapelle in der Nordeifel. Diese Kapelle, die – wie der Name schon vermuten lässt – auf einem Feld steht, wurde von Privatleuten zum Dank für ein erfülltes Leben gestiftet.
Die Außenansicht erinnert durch ihre Form an die mittelalterliche Befestigungsanlage Castel del Monte in Apulien. Auch die Innenansicht mutet etwas sonderbar an: eine organisch geschwungene Konstruktion aus Stampfbeton ohne Dach und Altar, die den Blick auf den Himmel freigibt. Der Innenraum beherbergt nur eine Büste des hl. Nikolaus von Flüe, einen Kerzenständer und das auf ihn zurückgehende Radbild. Die Kapelle ist zwar ungewöhnlich, aber erfüllt ihren Zweck als Meditationsraum vorzüglich. Bruder Klaus war ein Eremit, der in der Stille lebte und der auch immer der Natur ausgesetzt war. Diese Feldkapelle versetzt den Besucher in dieselbe radikale Situation, und etwas Besseres kann eine Bruder-Klaus-Kapelle nicht bewirken.
Es gibt sicherlich noch weitere gute Beispiele für gelungene Sakralarchitektur des 20. und 21. Jahrhunderts (aus lokalpatriotistischen Gründen möchte ich hier noch die Kirche St. Nikolaus in Neuried bei München nennen). Aber die vorgestellten Gebäude können durch ihre Vielfalt und Authentizität als Zusammenstellung ungemein helfen, die Zukunft einer gelungenen modernen Sakralarchitektur zu denken und vielleicht auch ein wenig zu begreifen.
Als Fazit des gesunden Menschenverstandes bleibt also: Sakralarchitektur regte zu allen Zeiten zur Interpretation mit allen Sinnen an. Die Kirchenkrise auch architektonisch zu überwinden bedeutet nicht, Pappkarton-Neo-Neo-Neo-Barockkirchen zu bauen, bei deren Betrachtung es jedem Kunsthistoriker speiübel wird.
Der Heilige Geist verlässt seine Kirche nicht. Ein katholischer Aufbruch wird dann kulturell greifen können, wenn man auch in dieser Beziehung keinen neuen Wein in alte Schläuche gießt.
Um im übertragenen Sinne auf Le Corbusiers Dominikanerkloster zurückzukommen: Latein in Beton, das würde Marty Mc Fly gefallen. Denn auch auf dem Feld der Architektur ist ein unreflektierter, antikatholischer Traditionalismus nicht lebensfähig (allein schon der Begriff kann niemals katholisch sein, da der Katholizismus zeitunabhängig ist und somit niemals einem Vergangenheits-, Gegenwarts- oder Zukunftsfetischismus anheimfallen kann). Nur ein dynamisches, das Wesentliche bewahrendes „Back to the future“ rettet den ewigjungen Glauben tragfähig in unsere Zeit.
Hach, gibt es denn nicht irgendeine Schublade, wo ich wunderschön hineinpasse?
Aber gut… der Reihe nach: selbstverständlich ist es nicht katholisch, an alten Formen festzuhalten, als ob sie vom Himmel gefallen und unabänderlich wären – als ob man es müßte. (Außer die, an denen man es tatsächlich muß, aber das ist eh klar.)
Es ist aber das gute Recht der Katholiken, an ihnen festzuhalten, wenn sie Lust darauf haben.[**] (Auch wenn man sich bewußt sein sollte, daß man nicht muß; und Leuten, die anderes bevorzugen, nicht mit der ewigen Verdammnis drohen sollte.)
Damit wäre in aller Kürze meine Position umschrieben.
Man korrigiere mich übrigens, wenn ich falsch liege, aber das Vertrauen in eine wunderschöne Zukunft, bei der das Alte zum alten Eisen geworfen wird, ist jetzt schon ein Ding der Vergangenheit – das klassische Zitat natürlich dazu: „Früher war sogar die Zukunft besser“ (Karl Valentin). Die Leute sind nicht modern, weil sie modern sein wollen; sie sind modern, weil sie sich moralisch verpflichtet fühlen, modern zu sein; und sie sind vielleicht auch modern, weil sie konsequent sein wollen und sich denken, wer zum früheren zurück wolle, müsse ja auch die frühere Moral auf sich nehmen, und das will man (beim näheren Hinschauen: vor allem im Bereich des sechsten Gebotes) nicht. Die moderne Welt lockt mit gewissen Freiheiten, vor allem unterhalb der Gürtellinie, die – das ist hier entscheidend – die Kirche eh nicht wird gewähren können; mehr hat erstere nicht zu bieten, und dann legt sie einem ein tyrannischeres Regime auf, als es (zumindest in gut katholischen Landstrichen, bei Protestantens mag das schlimmer gewesen sein) die alte Moral jemals tat.
Wenn nun einer den Weg heimfindet in die katholische Kirche, – ob er nun wirklich heimfindet, oder ob er „temporär heimfindet“, eine gewisse Ahnung hat, die er leider doch nicht dadurch in die Tat umsetzt, tatsächlich gläubig und praktizierend zu werden (ich denke dabei zum Beispiel an die Besucher der Weihnachtsgottesdienste) – dann ist in aller Regel das fast schon erste, was er tut: daß er erfreut feststellt, ich muß ja gar nicht modern sein, also lassen wir das.
Dann wird er *natürlich* in der Mitternachtsmette das Stille-Nacht bei Kerzen- bzw. Lichterkettenschein, und in der Regel auch vorher die Pastoralmesse von Karl Kempter und während der Kommunion das Transeamus hören wollen.
Dann wird er natürlich, auch wenn er die Fronleichnamsprozession nur am Straßenrand beobachtet, wollen, daß die Prozessierenden wie zu besten Kulturkampfzeiten das Lied vom Haus voll Glorie schmettern. (Hm – beide Lieder sind von „Joseph Mohr“, wenn auch von jeweils anderen… 😉 )
Dann wird er natürlich, wenn er mit seinen neuen katholischen Freunden, nach der Meß die Maß, auf das nächstbeste Volksfest geht, sobald er einmal den Text gelernt hat, mit hemmungsloser Altertümlichkeit die Lieder mitsingen von Hubert von Goisern über diese neumodischen Biokraftstoffe („aber hoazn damma’n Woazn“), von Chris Böttcher über den Verfall der anständigen bürgerlichen Lebensläufe („früher hamma Metzger glernt oder Archivar“), von Reinhard Mey über modern eingestellte Personen weiblichen Geschlechts („du bist so herrlich unkonventionell, du bist so wunderbar negativ und so erfrischend destruktiv“), von Schiffkowitz über die Häßlichkeit der modernen Großstadt („da kannst ja Angst kriang, wirklich war – niemals spiel ich mehr in Wien, Wien hat mi gar net verdient, i spiel höchstens no in Graz, Sinabelkirchen und Stinatz“), von John Denver ebenfalls über das Thema Heimkehr dorthin wo man hingehört („The radio reminds me of my home far away, and driving down the road I get a feeling that I should have been home yesterday“), von den Sportfreunden Stiller über die Verzweiflung am gegenwärtigen Zustand („wie lange sollen wir noch warten, bis wieder bessre Zeiten starten“), von denselben ebenfalls gegen den Fortschritt („das ist der Fortschritt, wer will da noch mit“), von denselben über die Absonderung der Guten von der bösen Welt da drauen („Du und ich, und sonst noch ein paar Leute, wir sind auf der guten Seite“), von denselben in schonungsloser Selbstkritik über die moderne Entscheidungsschwäche („ich überleg’s mir, aber besser wär’s: von allem etwas“), von Florian Pedarnig über – hoppla, Revisionismus! – die Einheit unseres südlichen Nachbarn Tirol („ein Kranz von Bergen stolz und hoch erhoben“), vielleicht sogar (wenn der DJ eine etwas nachdenklichere Stimmung anschlägt) von Hans-Jürgen Buchner aus dem Marienwallfahrtsort bei Geiselhöring über das moderne Grundproblem schlechthin („i hab vergessen, daß i so vergeßlich bin und bin aufs Radl auffegstieng und einfach losgfahrn, i hab vergessen, daß i so vergeßlich bin, bin auf mein Radl auffegstieng, jetzt steh i da“). (Okay, ne kleine Abschweifung… da kann man vom hundertsten ins tausendste kommen.)
Und so weiter.
Und wenn man ihn dann bittet, eine Kirche zu bauen, kann es gut sein, daß eine neubarocke dabei herauskommt. (Wie zum Beispiel meine Pfarrkirche, in der ich Erstkommunion und Firmung empfangen habe – das prägt halt doch.)
Was der Kunsthistoriker dazu sagt, ist nicht unwichtig, aber sekundär. Wenn ihm allerdings speiübel wird, dann hat er ein Problem; er mag ja schon sagen, da ist die künstlerische Qualität nicht so hoch, das ist sein Beruf, das steht ihm zu; aber sich über die – mag ja sein: primitiven – Versuche des gläubigen Volkes, Schönheit und einen Gottesdienstraum zu gestalten, derart zu erheben, daß ihm derentwegen schlecht wird, das steht ihm nicht zu.
„Et et“, die Mischung macht’s, das ist fast immer das katholische – wir brauchen sowohl künstlerisch hochwertige Bauten im Stil von heute, aber auch wenn das gläubige Volk sich gern eine neubarocke – oder in Amerika eine neugotische – Kirche hinstellt, dann ist das eben so. (Und in beiden Fällen: schön bittschön.)
Ein Gespür für das, was beim heutigen Menschen nur *aufgesetzt* wäre, was *tatsächlicher* Kitsch wäre, haben die Menschen in aller Regel schon selber und lehnen das instinktiv ab. Das ist wohl auch der Grund, warum – nicht weil es verboten wäre, sondern weil man gar nicht auf die Idee kommt – man heute vielleicht noch, eher schlichten, Neubarock, aber keinen Neurokoko mehr baut und die St. Maria in Aracoeli (das ist die mit dem Christkind und von den Franziskanern) – ich denke jetzt ans Innenleben, nicht die Gestalt von außen – zwar bewundert, aber so wohl nicht mehr ausstatten würde. Da kommt mir gerade so der Gedanke: Die St. Maria sopra Minerva (das ist die mit dem süßen Elefanten davor, und von den Dominikanern) würde man unter Umständen schon noch genau so bauen: ist also unser Stil heute „eher dominikanisch als franziskanisch“? (Wobei ja die Franziskaner wiederum hier eher für die Andachtsformen des einfachen Volkes stehen, usw. … da könnte man jetzt auch wieder vom hundertesten ins tausendste kommen.)
Allerdings werden viele Leute auch bei modernen Kirchen es vorziehen wollen, wenn sie auf den ersten Blick schön sind. Das trifft auch auf moderne Kirchen zu; es trifft z. B. auf die Sagrada Familia zu (bei deren ersten Anblick, damals war sie noch im Bau, ich ganz überrascht dachte, die Moderne kann also doch schön sein); es trifft auch zum Beispiel auf das (Nuovo) Santuario della Madonna del Divino Amore in bzw. bei Rom zu, oder (vielleicht mit Abstrichen) auf die Kirche Hl. Maria vom guten Rat in München (St. Nikolaus in Neuried kenne ich nicht).
Ob man aber, Le Corbusier hin, Pantheon her, Kirchen unbedingt aus Beton bauen muß…? Wenndann jedenfalls nicht zu viele bitte. 🙂 [*] und viele Leute würden es bestimmt auch vorziehen, wenn eine Kapelle wie eine Kapelle ausschaut (hier z. B. hätte man zumindest ein Kreuz obendraufstellen können, damit die Leute wissen, womit sie es zu tun haben), und ab und an der Herr Pfarrer vorbeikommt und eine Messe liest, also auch ein Altar darinsteht. Die Kirche ganz oben ist schon nicht unschön; ein paar Heiligenstatuen oder -bilder, sagen wir die Gottesmutter und der hl. Joseph, hätten freilich nicht geschadet (was aber eher eine liturgisch-theologische als eine künstlerische Frage ist, daß die da eigentlich mE hineingehören); ebenso gehört der Ambo auf die Seite, nicht in die Mitte (auch das ist eine liturgische, keine künstlerische Sache).
[* Vorhin bei den Liedern hab ich eines noch vergessen, das hier sogar noch besser paßt: das über den Beton, ebenfalls von Haindling, wo Buchner sowohl die aufgesetzte Volkstümlichkeit als auch „den Beton“ gleichermaßen in Grund und Boden sind: „Der Trachtenanzug paßt so guat und no dazu der Trachtenhuat, mit de greana Troital, de am Huatrand hintnabehängan, des paßt so guat… da hauma no a Straß her, und da hauma no a Straß her, da hauma an Kanal her, und da hauma no an Hafen her, da muaß da Woid weg, und da kimmt a Beton her, dreihundertfuchzigtausend Kubikmeter Beton: Hau ruck! Hau ruck! Des geht bei uns ruckzuck! usw.“
** Das ist, wenn auch salopp ausgedrückt, auch theologisch richtig: eine Kirche ist – primär Gotteshaus und – sekundär Versammlungsort der sich dort versammelnden katholischen Gemeinde, vor allem für die Heilige Messe, die früher unter Arkandisziplin abgehalten wurde. Eine Außenwirkung auf die Draußenstehenden kann dann allenfalls an dritter Stelle kommen.]
Sorry für den sehr langen, mehr so brainstormenden Kommentar…
ganz unten bei [*]: in Grund und Boden *singt*.