Eine Buchbesprechung von Harald Stollmeier
Bequem ist Beile Ratut wirklich nicht. Weder in ihren Romanen, in denen sie meisterhaft und packend das Böse entlarvt, noch in ihren Essays, deren Weltsicht konservativ, ja mitunter rechts erscheint, bei näherem Hinsehen dann aber in Wirklichkeit meist gar nicht von dieser Welt ist.
Das Fanal des Ego auf den Stufen zur Kirche von Beile Ratut ist schlank, emotional und furios. Es ist eine Abrechnung mit vielen evangelischen und manchen katholischen Personen, Gruppen und Gemeinden, die ihren Glauben kaum anders praktizieren als ein Hobby oder eine gesellschaftliche Harmonie-Übung, auf jeden Fall als etwas, das sie besitzen. Dabei besitzen sie in Wirklichkeit nicht einmal sich selbst.
Das lutherische „Allein durch Glauben“ ist für Beile Ratut eine Privatisierung, die dem Gegenstand des Glaubens vollkommen unangemessen ist. Wenn ein Staat erklärt, dass jeder nach seiner Fasson selig werden möge, dann definiert er damit seine Zuständigkeit. Wenn ein Christ das sagt, oder gar ein Pastor, dann gibt er nicht nur den anderen auf, sondern auch Christus, und sich selbst dazu.
Seine Ruhe, die hat man allerdings, wenn man solcherart Harmonie zu seinem Glaubensinhalt macht. Wenn man Beile Ratuts Fanal liest, hat man seine Ruhe nicht mehr, und das ist der Autorin ganz recht. Denn ihr geht es darum, dass man in Wahrheit überhaupt nichts hat. Bis man sich verschenkt: an Christus, in der Kirche, in der Liturgie.
Diese Kirche, diese Liturgie hat Beile Ratut in der Orthodoxie gefunden, in der Kirche des Ostens. Im Westen, sagt sie, gibt es keine Kirche mehr. Nicht einmal die römisch-katholische erkennt sie noch an, jedenfalls nicht mehr nach dem Konzil. Als nachkonzliliarer Katholik liest man das mit einer Mischung aus Bedauern und Verstehen.
Hat Beile Ratut Recht? Mit ihrer Kritik am „Allein durch Glauben“ bestimmt, jedenfalls in der Beliebigkeit, die es heute häufig hat: Zwar lässt sich belegen, dass Christus selbst dem Glauben der Menschen große Bedeutung zumisst („Dein Glaube hat Dir geholfen“). Aber immer steht diesem Glauben eine Wahrheit gegenüber, und der Glaube hilft nur, wenn er dieser Wahrheit entspricht.
Die Thesen zum Ich, das gar nichts taugt und gar nicht würdig ist, gerettet zu werden, lesen sich auf den ersten Blick ein wenig buddhistisch, besonders im Kontext einer Verwerfung des „westlichen Denkens“. Aber ganz so östlich ist auch orthodoxes Denken nicht, und zu dem bekennt sich die Autorin: Die Auferstehung des Leibes, die uns allen verheißen ist, bedeutet die Kontinuität der Person – allerdings minus Ego. Vielleicht wäre es klarer, wenn man ausdrücklich unterschiede zwischen dem Ich und dem Ego und das Ego definierte als sich von Gott autonom wähnendes Ich.
Nicht so gelungen ist die Warnung an Kritiker im „Wort vorab“ (S. 17f.): „… Ist man aber erbost, dann könnte das auch ein Hinweis darauf sein, dass die Autorin einen Nerv getroffen hat.“ Das hat Papst Benedikt XVI. in seinem Jesusbuch eleganter gemacht: „Es steht daher jedermann frei, mir zu widersprechen. Ich bitte die Leserinnen und Leser nur um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt.“
Diesen Vorschuss allerdings hat Beile Ratut verdient. Ihre zum Teil schroffen Thesen verdienen es, ernst genommen zu werden. Ich empfehle dieses Buch. Klaus Berger tut das auch; er hat sogar das Vorwort geschrieben.
Hier geht’s zum Buch: Das Fanal des Ego auf den Stufen zur Kirche
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