Von Beile Ratut
Mit einem Schreiben aus dem Ruhestand sorgt Ex-Papst Benedikt für Empörung“ titelt der Focus online am 12.04.2019, die FAZ stellt „Jubel und Entsetzen“ über seine Wortmeldung fest. Allseits wird ihm allein schon das vorgeworfen, dass er nicht den Mund hält. Katholische Theologen äußern Kritik („Das ist ein beschämendes Schreiben“ und „entlarvender Text“), und die breite Öffentlichkeit sowieso. „Schuld sind immer die anderen“, titelt Spiegel online.
Benedikt wird Kälte gegenüber den Opfern vorgeworfen, weil er sie angeblich nicht erwähnt, und wenn, dann in einem angeblich falschen Kontext. Ihm wird vorgeworfen, die Welt vor den 68ern als heil anzusehen und machtversessen zu sein. „Der Text ist kleinlich, peinlich – und gefährlich“, schlussfolgert Christiane Florin im Deutschlandfunk, schiebt ihm Aussagen unter, die er nicht gemacht hat, wie: „Ach, wenn doch alle auf mich gehört hätten!“, und sieht ihn als einen, der jammert und gebietet und „der sich für den Herrn selbst hält“. Leibhaftige Menschen habe der Professor traditionell gern links liegen lassen, und er habe „ein Machtwort, vorgetragen im Ohnmacht-Modus, gut platziert in einem Deutungskampf, in dem die Opfer sexualisierter Gewalt nicht interessieren“.
Was hat das alles nun mit seinem Text zu tun? Gar nichts. Benedikt XVI. blickt auf die Kirche und rekonstruiert, was ihr Glaube ist. Er blickt nicht auf Einzelteile, die er dann analysieren, sezieren und ausschlachten würde, nein: er blickt auf die Idee des Christentums. Natürlich spricht er auch von den Missbrauchsopfern, aber er spricht eben nicht nur von ihnen, sondern von allen Menschen, und das ist auch richtig so. Wo ist denn geregelt, wann und wie er Parolen des Mitgefühls raushauen müsste? Und was gäbe es den Opfern, wenn er es täte? Und warum macht man ihm überhaupt zum Vorwurf, nicht in einer vordefinierten Weise von den Opfern zu sprechen? Benedikt XVI. spricht von der Idee des Christentums und verzettelt sich nicht im Einzelnen. Doch das versteht diese Welt nicht mehr, die nur noch aus Einzelnen mit ihren einzelnen Machtansprüchen, aus Interessenverbänden und Lobbyisten von Einzelansichten besteht.
Das Heil kommt nicht von dieser Welt
Das Christentum blickt aber nicht auf das Einzelne in dieser Welt, denn im Einzelnen ist kein Heil zu finden, und es wird auch niemals darin zu finden sein. Eine sich in den isolierten Phänomenen dieser Welt verlierende Denkweise ist abgeschnitten vom Geist Gottes, der immer EINER ist. Daher verlieren sich katholische Theologen in hohen Gedanken und komplizierten intellektuellen Konstrukten. Dem setzt Benedikt XVI. in seinem Text entgegen: „Der Glaube ist ein Weg, eine Weise zu leben.“ Wenn man das nicht verstehen kann, dann kann man seinen Text nicht verstehen.
Benedikt XVI. spricht über die Opfer des Missbrauchs, aber nicht nur über sie. Die Missbrauchsopfer der Kirche sind Opfer, und diese Welt ist voller Opfer. Menschen werden jeden Tag in vielerlei Weise sowohl zu Tätern als auch zu Opfern. Als Weg zum Heil rekonstruiert Benedikt XVI. nun auch die Wirklichkeit der Eucharistie als Sakrament, das durch die Missbrauchstaten und durch alle gegenwärtige Irrlehre verdunkelt wird. Da dieses Sakrament aber Sakrament ist und Gott wirklich Gott, gelangen alle Missbrauchsopfer und alle anderen Opfer und auch alle Täter, die umkehren, durch die Sakramente zum Heil. Wozu ist die Kirche denn gegeben? Um sie den Machtansprüchen der Einzelnen, den Interessenverbänden und Lobbyisten auszuliefern? Der wahre christliche Glaube weiß um die Schändlichkeit und Schädlichkeit des in sich selbst verschlossenen Menschen, er will ihn dort herausrufen und ihm einen neuen Geist schenken, den Geist Gottes, der Liebe ist.
Nicht ohne Grund spricht Benedikt in seinem Text auch vom Märtyrer, denn dieser Geist Gottes wird, weil diese Welt gegen ihn tobt, immer wieder ans Kreuz geschlagen. Wo sich Einzelne mit ihren einzelnen Machtansprüchen, Interessenverbände und Lobbyisten von Einzelansichten durchsetzen und wo ihnen applaudiert wird, ist der Geist Gottes abwesend.
Benedikt XVI. hat völlig recht, wenn er sagt: „Wieso konnte Pädophilie ein solches Ausmaß erreichen? Im letzten liegt der Grund in der Abwesenheit Gottes. Auch wir Christen und Priester reden lieber nicht von Gott, weil diese Rede nicht praktisch zu sein scheint.“ Er ruft zurück zum Glauben und schreibt ganz richtig: „Die Macht des Bösen entsteht durch unsere Verweigerung der Liebe zu Gott. Erlöst ist, wer sich der Liebe Gottes anvertraut. Unser Nichterlöstsein beruht auf der Unfähigkeit, Gott zu lieben. Gott lieben zu lernen, ist also der Weg der Erlösung der Menschen.“
Diese Haltung hat, wo sie gelebt wird, tiefgreifende Auswirkungen auf diese Welt. Die Missbrauchsopfer sind in dieser Betrachtung eingeschlossen, genauso wie alle anderen Menschen auch. Wie kann man da auf die Idee kommen, von einem Mann, der diese Worte schreibt, zu sagen, er halte sich für den Herrn selbst? Und was ist das mehr als eine vereinzelte Lobbyansicht, der applaudiert wird?
Hier geht es zum Schreiben Benedikts XVI.: Benedikt im Wortlaut: Die Kirche und der Skandal des sexuellen Mißbrauchs
Weiß denn der Papst Benedikt VI: nicht mehr, dass lange Zeit bevor den von ihm gerügten Änderungen bei den „Regensburger Domspatzen“ (und nicht nur dort!) sexuelle Übergriffe vorkamen?
Immerhin war sein Bruder dort doch musikalischer Leiter.