Freitag, 22. November 2024

Tolkien, der katholische Traditionalist

Tolkien war katholisch und liebte die Alte Messe. Der Glaube war die Konstante im Leben Tolkiens, das von Tod und Verlust geprägt war. Tolkien war Soldat im Ersten Weltkrieg. Er lag in den Schützengräben Frankreichs, umgeben von Matsch und Tod. 1916 erkrankte er schwer und kehrte zur Genesung nach England zurück. Bei Kriegsende waren fast alle seine Freunde tot – gefallen an der Somme oder erschossen an der Marne. Diese Erlebnisse sind die Grundlage für sein Meisterwerk: „Der Herr der Ringe.“

Geboren wurde Tolkien am 3. Januar 1892 in Südafrika. Weil seine Mutter das südafrikanische Klima nicht vertrug, zog sie mit ihren Kindern zurück nach England. Kurz darauf verstarb Tolkiens Vater. Wenige Jahre danach konvertierte seine Mutter zum katholischen Glauben. Deshalb wurde sie von ihrer anglikanischen Familie verstoßen. Das sollte Tolkien nie vergessen. Als er zwölf Jahre alt war starb auch seine Mutter, Tolkien war Waisenkind. Francis Xavier Morgan, ein Priester und Freund der Familie, wurde sein Vormund.

Das ländliche England hatte stets einen besonderen Platz in seinem Herzen. Als Naturfreund hatte eine besondere Vorliebe für schöne Landschaften und gutes Essen. Der Moderne stand er zeitlebens skeptisch gegenüber. Suspekt erschien ihm vor allem die Grundprämisse der Moderne, nach der alles besser, schöner und menschlicher werde, wenn man nur mehr Fortschritt wage. Er sah den Menschen nicht als ein zu optimierendes Subjekt, sondern als ein verwundetes Geschöpf, das das wahre Leben nicht in der Entfremdung von der Natur, sondern im richtigen Verhältnis zu ihr finde. Als Professor für Altenglisch interessierte er sich für nordische Mythologien und Sagen. Sie prägten seine Anthropologie. Dabei war ein Thema entscheidend: der Tod.

„Wenn es um eine lange Geschichte geht, in der die Aufmerksamkeit der Leute nicht verloren geht, geht es immer um ein Thema: den Tod, die Unausweichlichkeit des Todes. Es gibt ein Zitat von Simone de Beauvoir, das es auf den Punkt bringt: ‚So etwas wie einen natürlichen Tod gibt es nicht. Nichts, das einem Menschen passiert, ist jemals natürlich, denn seine Gegenwart stellt die gesamte Welt in Frage. Alle Menschen müssen sterben, aber für jeden einzelnen Menschen ist sein Tod ein Unfall. Selbst wenn er es weiß, würde er es als eine ungerechtfertigte Verletzung empfinden.‘ Man mag den Worten zustimmen oder nicht, aber sie sind das Schlüsselthema (key spring) im Herrn der Ringe.“ (Tolkien, BBC-Interview 1968).

Tolkiens Werke sollen nicht allegorisch verstanden werden. Im Unterschied zu „Die Chroniken von Narnia“ lehnte er Allegorien ab: „I dislike allegory whenever I smell it“ – Ich mag keine Allegorie, wo auch immer ich sie rieche.

Der katholische Einfluss

„Der Herr der Ringe“ ist keine Allegorie, aber es gibt katholische Einflüsse. Das Böse ist stolz und macht hoffnungslos. Das Gute ist einfach und liebevoll. Das ewige Leben wird durch die Fahrt zu den „Grauen Anfurten“, den unsterblichen Landen, symbolisiert. Die Elben, die sehr an klassische Engeldarstellungen erinnern, sind unsterblich und segeln zum Jenseits.

Das Böse verführt durch scheinbar grenzenlose Macht. Es nutzt die Schwächen des Menschen, um zu siegen und zieht wie ein dunkler Nebel über Mittelerde auf, bereit alles zu töten, was sich nicht versklaven lässt.

Das Gute wirkt erstaunlich anders in der Welt. Es sucht das Unscheinbare, um zu siegen. Es siegt durch Vertrauen, Freundschaft und Liebe. Frodos Opferbereitschaft besiegt die Macht der Dunkelheit. Das Schöne, Wahre und Gute ist vor allem dort zu finden, wo Güte, Freundschaft und Einfachheit gelebt werden. Es sind diese drei Tugenden, die den Ring zerstören werden. Es ist die Güte, die Gollum leben lässt, es ist die Freundschaft zu Sam, die Frodo bis zum Ende bringt und es ist Frodos Einfachheit, die ihn befähigt, den Ring zu tragen. So wird ein einfältiger Hobbit zum Held. Frodo rettet die Welt und die stolzen Krieger versagen auf dem Schlachtfeld.

Frodo siegte nicht für sich selbst. Sein Einsatz zur Rettung des Auenlands hat nicht nur Opfer gefordert, es hat ihn selbst zum Opfer gemacht. Frodos Wunden werden nicht mehr heilen, nicht in dieser Welt. Frodo muss zu Sams Entsetzen das Auenland verlassen:

„Aber“, sagte Sam, und Tränen traten ihm in die Augen „ich dachte, auch du würdest noch Jahr um Jahr am Auenland deine Freude haben, nach alldem, was du getan hast“ – „Das dachte ich auch einmal. Aber ich bin allzu tief verwundet, Sam. Ich habe das Auenland zu retten versucht, und es ist gerettet worden, doch nicht für mich. So geht es oft zu, Sam, wenn etwas in Gefahr ist: Der eine muss es aufgeben, es verlieren, damit die anderen es behalten können.“ (Buchzitat).

In diesen Zeilen hat Tolkien die ganze christliche Heilsgeschichte erklärt. Opferbereitschaft und Hingabe haben Rettung und neues Leben geschaffen. Der Preis ist das Leben, der Lohn ist die Ewigkeit. Ein Schiff wird kommen. Frodo wird das Auenland verlassen und mit den Elben ins Jenseits segeln: „Und bald war das Schiff auf hoher See und fuhr immer weiter gen Westen, bis Frodo schließlich in einer Regennacht einen lieblichen Duft bemerkte und Gesang hörte, der übers Wasser schallte. Und dann war es ihm … als werde der graue Regenschleier in silbernes Glas verwandelt und weggezogen, und vor ihm lägen weiße Strände und dahinter ein weites grünes Land unter einer rasch aufsteigenden Sonne“ (Buchzitat).

Die traditionelle Gesellschaft

„Und nun bot sich uns ein vertrauter Anblick. Wir waren zu Hause“, heißt es am Ende des Films. Zuhause, Heimat, Freundschaft, Opferbereitschaft, Geborgenheit, Schicksalsgemeinschaft, Liebe: das macht „Der Herr der Ringe“ aus. Kriege und Veränderungen werden als Bedrohungen dargestellt, die entwurzeln und zerstören. Die Moderne meint, die Zerstörung des Alten münde in eine neue Verheißung. Tolkien stellt das radikal in Frage.

Das Auenland in „Der Herr der Ringe“ ist der Sehnsuchtsort der Vormoderne. Dort gelten traditionelle Werte und Tugenden, man schätzt Beständigkeit und Stabilität. So heißt es im Film treffend: „Und so geht das Leben im Auenland weiter, ziemlich genauso wie im vergangenen Zeitalter. Es herrscht das übliche Kommen und Gehen und Veränderungen finden nur langsam statt, wenn überhaupt. Denn im Auenland schätzt man Dinge, die von Dauer sind. Sie werden von einer Generation an die nächste weitergereicht. Schon immer hat ein Beutlin hier unter dem Berg gelebt, in Beutelsend. Und so wird es auch immer bleiben“ (Filmzitat).

Die ländliche Idylle, bewohnt von Bauern und Handwerkern, ist der Gegenentwurf zu dem dunklen Land „Mordor“, das nicht nur lautmalerisch der englischen Aussprache von „modern“ nahe ist. In Mordor werden in radikal-industrieller Massenproduktion seelenlose Armeen aufgestellt, die das Auenland angreifen und zerstören (Plot im Buch). Es sind Hobbits, die die Seelenlosen am Schicksalsberg besiegen und den Triumph der Tradition über die Moderne feiern.

Die eigene Heimat

Es geht nicht darum, in Märchenwelten unterzugehen, sondern darum, sich daran zu erinnern, wo die eigene Heimat ist und bereit zu sein, für sie zu kämpfen.

Märchen können uns helfen, das Leben zu verstehen. Tolkien hat literarisch verarbeitet, was seine Generation erlebt hat: Zwei Weltkriege und das Zerbrechen der bestehenden Ordnung. Die Welt und die Werte, die er schätzte, gingen verloren. Die neue Welt erlebte er als Entfremdung vom wahren Leben. Tolkien sah neuen Zwang, neuen Druck und neue Versuchungen.

Tolkien starb am 2. September 1973 in Bournemouth.

Es ist etwas kaputt gegangen, was nur schwer zu heilen ist. Aber zwei Heilmittel haben wir: die Alte Messe und die Tradition.

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1 Kommentar

  1. Kleine Anmerkung für die, denen das noch nicht aufgefallen ist: Der Tag, an dem der Ring vernichtet wird, ist der 25. März. Und viel Freude beim wieder lesen.

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