Montag, 25. November 2024

Sex auf dem Fleischmarkt

Von Beile Ratut

Braco the Gazer ist ein kroatischer Wunderheiler, Tausende strömen in seine Veranstaltungen. Dort referiert er nicht, berührt nicht, stellt keine Probleme fest. Er blickt die Menschen an. Man sagt ihm nach, auf diese Weise heile er Menschen; zumindest verschaffe er ihnen „angenehme Erfahrungen“. Weshalb strömen die Menschen zu Tausenden herbei, um den Blickkontakt mit diesem Mann zu erleben? Warum sind sie offen für heilende Erfahrungen mit einem vollkommen Fremden, der sich noch gar nicht um ihr Vertrauen verdient gemacht hat?

Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich einander fremde Menschen, die miteinander eine der intimsten Sachen erleben, die Menschen miteinander erleben können: Sex. Ungeachtet der menschlichen Hoffnungsstruktur gibt man ausgewählten Trieben Raum. Die vornehmlich männliche Triebstruktur hat heute die westliche Gesellschaft und auch die Lebenswelt der Frau erobert. Populäre Filme zeigen die Suche nach bindungslosem Sex als Normalfall, für den Mann ohnehin, aber auch für die „befreite“ Frau. Träumten Mädchen früher noch von romantischer Liebe und wichen dem Weiberhelden beharrlich aus, so stehen sie heute vornehmlich als verschroben da, wenn sie auf Verbindlichkeit und Treue pochen.

Sex ist losgerissen von der Ehe, der Geschlechtsidentität, der Fortpflanzung, dem Vertrauen und dem Wohlwollen. Benötigt Sex nun aber keinen geschützten Raum, in dem Intimität sich erst entfalten kann? Reicht es, diesen Raum allein mittels der geschützten und persönlichen Freiheit des Einzelnen abzustecken?

Auf sich allein gestellt ist der Mensch ein Spielball der Kräfte in dieser Welt. Er organisiert sich dann auf dem Arbeitsmarkt, indem er sich den Gewerkschaften anvertraut, im Sozialen den wohltätigen Vereinen, im Recht der Kraft von Gesetzen … Aber im Sex?

Sexualität als Machtspiel und Attraktivitätstest

Früher war die Ehe der Schutzmechanismus des Sex. Gewiss: nicht immer zur Zufriedenheit aller Beteiligten, nicht immer ohne Probleme. Aber eine Ehe, die noch als Ehe gilt, unauflöslich und mit einem bewussten, vor Zeugen gesprochenen Ja geschlossen, entzieht Sex den Mechanismen von Macht, Vortäuschung und Einflussnahme.

Die Ehe ist heute weitestgehend bedeutungslos; um Sex zu haben, muss man sie gar nicht erst schließen, man kann sich leicht scheiden lassen kann; auch Hürden wirtschaftlicher Verantwortung sind entfallen: man muss heute nicht mehr für den verlassenen Ehepartner aufkommen, geschweige denn für die gemeinsamen Kinder – das übernimmt der Sozialstaat.

Sex ist zu einem Ventil des Fortkommens in dieser Welt geworden, er gilt als Beleg der eigenen Attraktivität und Potenz oder dient als Mittel zur Erlangung von Macht, Status und Wohlstand. Natürlich heiratete man auch zu anderen Zeiten nicht immer selbstlos. Aber es ist ein Unterschied, ob man die Ehe eingeht mit all den damit verbundenen Verpflichtungen zu Freundlichkeit, Wohlwollen, Kinderaufzucht und Selbstdisziplin, oder ob man eine von vielen Ehen eingeht, weil sie einem nützt, und sich wieder trennt, wenn sich eine saftigere Weide findet.

Die Ehe könnte zudem nicht nur ein Schutzraum des Sex sein, sondern auch ein Allokationsmechanismus: Die nicht auflösbare Ehe sorgt dafür, dass jeder Mann und jede Frau eine reelle Chance haben, beständige Liebe zu erleben. Die bedeutungslose Ehe dagegen kann ständig infrage gestellt werden, mit dem Ergebnis, dass die attraktiveren Frauen Sex dazu benutzen können, um weiter nach „oben“ zu kommen, während die machtvolleren Männer sich immer wieder neu an den frivolen Jahren der attraktivsten Frauen erfreuen können, die von Kinderaufzucht noch nicht in Anspruch genommen sind. Verlierer sind jene Männer, deren Potential sich noch nicht entfalten konnte, Verlierer sind die alternden Frauen – Verlierer sind insbesondere die Kinder.

In der Ehe wird Sexualität menschlich

Während der heutige Mensch im Sex also in die blanken Augen eines Nützlichkeitsmonstrums blickt, in die grausame Fratze der Kräfte des Fleischmarkts, sucht er im Blickkontakt mit Braco the Gazer Heilung und Trost. Die Voraussetzungen dafür, Blicke, Nähe, angenehme und heilende Erfahrungen in einer vertrauten, beständigen und treuen Gemeinschaft wie der Ehe zu erleben, sind erodiert – da sucht man sie im Fremden.

Was ist also zu tun? Man kann auch als Einzelner an dem festhalten, was gut und richtig ist. An Treue, Verbindlichkeit, Reinheit, an dem Anerkenntnis des Scheiterns, an Vergebung und Neubeginn. Man kann Nein sagen zu unsinnigem Sex – und man kann Ja sagen zu einer Sicht auf den anderen Menschen, die diesen als geschlechtliches und geschichtliches Lebewesen würdigt, das eine Zukunft hat, an der man beständig und treu Anteil haben möchte. Und dazu ist man als Christ berufen. Christsein ist Widerspruch zur modernen Menschenverachtung des Fleischmarkts. Somit ist das Festhalten an der Ehe, die ihre institutionelle Bedeutung verloren hat, heute wichtiger denn je.

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