Part I: Was ist der Mensch? Folge 4
Man hat nicht nur schon Pferde kotzen, sondern auch Philosophen rotzen gesehen – wegen Pferden…
Diese lustige Abbildung gibt’s auch als T-Shirt:
Nun zu Friedrich Nietzsche, dem berühmten Nein-Sager und Philosophen des 20. Jahrhunderts. Ich bin der Überzeugung, jeder Gedanke sollte bis zu seinem extremen Ende zu Ende gedacht werden. Und ich fürchte, der bis zum letzten konsequent durchdachte Reduktionismus, Determinismus und der darauffolgende Lifestyle des Hedonisten führt zu „nichts als“… zu dem Nihilismus Nietzsches: „Wir leiten den Menschen nicht mehr vom ‚Geist‘, von der ‚Gottheit‘ ab,“, so schreibt er, sondern „wir haben ihn wieder unter die Thiere zurückgestellt“. In seiner leider nicht sehr genialen „Genealogie der Moral“ teilt Nietzsche uns mit, dass alles Moralische, Gewissenhafte in uns vermeintlich zu nichts als dem Verdrängen von Triebhaften zurückzuführen ist.
Gehen wir mal einen Schritt zurück: Wollen wir wirklich diesem NICHTS Nietzsches zusagen, dass Macht das einzig Menschentreibende ist, dass es NICHTS gibt, keinen Sinn in unserer Existenz, keine Liebe, keine Freiheit!? Im Buch „Ewige Wiederkehr“ beschreibt Nietzsche seine Weltanschauung so: „Denken wir diesen Gedanken in seiner furchtbarsten Form: das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein Finale ins Nichts: ´die ewige Wiederkehr‘. Das ist die extremste Form des Nihilismus: das Nichts (das ‚Sinnlose‘) ewig!“
Frei nach Nietzssche wäre die Weisheit des Lebens nun, sich einzugestehen, sein Leben lang tot zu sein. Denn Nietzsche ist der Überzeugung, der Mensch sei zwar voller Leere und Unruhe und habe Bedürfnisse und Sehnsüchte nach Mehr, doch es gäbe keine Lösung darauf. Der Mensch müsse dieser tragischen Tatsache in die Augen schauen und akzeptieren, dass sein einziges Glück darin bestünde, kein Glück mehr zu ersehnen. Seine Gebrauchsanweisung fürs Leben lautet plakativ gesagt so: diese Tatsache des Nichts als Antwort auf menschliche Sehnsüchte sollten wir mit vollem Herzen bejahen, also Ja zum Nein sagen und in einem Positivismus gegenüber dieser Tragödie weiterleben.
Eindrucksvoll, zugegeben. Dennoch liegt es an uns, uns dazu verdammen lassen, all unsere Hoffnungen und Sehnsüchte zu begraben, da es laut Nietzsche (und der muss es ja wissen?) „kein Brot gibt nur, weil wir Hunger haben“. Ebenso steht es uns aber auch frei, diesen Sehnsüchten, diesem Durst in uns eine Stimme zu verschaffen. Müssen wir Menschen die Konsequenz des Reduktionismus tatenlos akzeptieren, zu Nihilisten und Zynikern werden?! Müssen wir Übermenschen werden, die einzig und allein der Triebkraft des Machtinstinktes folgen und Wahrheit und Sinn verneinen?
Nö.
Und das umso weniger, als dass Nietzsche selbst es nicht schaffte, diesen radikalen Gedanken bis zum Ende zu leben, er weinte vor einem Pferd, das gepeitscht wurde, obgleich seiner Theorie nach Liebe und Mitleid durch dieses Wissen um das Nichts eigentlich verdammt sein müssten…
Ich plädiere dafür, dass wir unsere schreienden, schrillen, verzweifelten Sehnsüchte nach MEHR anhören, dieser See in uns ist nicht dazu verdammt, auszutrocknen.
Ich bin davon überzeugt, dass Wahrheit und Sinnsuche nicht Sublimierung ist, verdrängte Libido, sondern im Gegenteil: das Zudröhnen mit Konsum, Sex, Macht bedeutet, den tief menschlichen Schrei des Menschen nach MEHR zu verdrängen! Dem auf der Psychologen-Couch liegenden sollte mal zur Abwechslung etwas anderes gesagt werden als „Haben Sie mal wieder Sex!“ Wie wäre es mit „Haben Sie mal wieder Sinn!“
Anstatt ihn zu ignorieren, sollten wir genau auf diesen quälenden Sehnsuchtsseufzer hören und auf die Suche gehen nach diesem Mehr, das uns endlich die Erfüllung geben könnte, nach der wir uns so schmerzlich sehnen.
To be continued …
Zum Autor: Theresa Laetitia lebt und studiert in München. Im vergangenen Jahr hat sie besondere Erfahrungen zum Thema Liebe, Gott und Menschsein gemacht. Ihre Erkenntnisse daraus teilt sie der Welt exklusiv auf dem Cathwalk in ihrem „MenschseinManifest“ mit.
Nietzsches Macht ist die Angst vor der Verantwortung der Freiheit. Wir erleben sie heute überall – in Konzernstrukturen, in Beziehungsstrukturen – in allen Lebensbereichen. Und auch wenn sich Nietzsche am Ende eben nicht der Tatsache verschliessen konnte, dass Sinn etwas ist was der Mensch trotz allem selbst tun muss – aktiv und nachhaltig – hätte er diese Erkenntnis vielleicht auch schon deutlisch früher haben können, wenn – ja wenn er kein Mann gewesen wäre, von dem die Ordnung der Männer, die heiliger Hierarchie der Macht nicht verlangt hätte in jungem Alter seine Gefühle zu beschneiden, um, dank dieser Beschneidung, „der Mächtige“ werden zu können, der ewig Überlegene von dem er wusste das er es in seiner Machtlosigkeit nicht war?
Was wäre aus Nietzsche geworden, wenn er eine Erziehung genossen hätte in der ein Mann ihm beigebracht hätte seine Gefühle zu akzeptieren, zu feiern und konstruktiv mit ihnen umzugehen, auch und gerade mit den negativen, anstatt sie wegzurationalisieren und die Verantwortung dafür ringend abschieben zu wollen?
Am Ende war der große Nietzsche trotz all seiner Erkenntnis und seines Wissen ein Mann der von seiner Schwester gepflegt wurde, der angwiesen war auf Mitgefühl, Barmherzigkeit, Liebe, Zuwendung. Ob er da noch klar genug war um zu erkennen, dass alles was er sich Zeit seines Lebens auf faszinierende Weise hin und her rationalisiert hatte, womit er schachern wollte, unterlegt war mit diesen Qualitäten, die andere ihm zur Verfügung stellten und die er in jedem Moment selbst besass und ausleben können anstatt sich als Held der Überwindung der Leere zu fühlen? Erfüllt statt leer?
Danke für die Anregung zur Reflektion.
Nietzsche war nur am Anfang ein Nein-Sager. Er sagte Nein zum Bisherigen, um im Neuen anzufangen. Er sah die bisherige Tradition und der bisherige Glaube gegen Ende des 19. Jahrhunderts kein Leben mehr hatten. Er sah in der Religion den Nihilismus, da er diese für eine falsche Vertröstung hielt: Statt Ja zu etwas – das heißt zur Welt – zu sagen, werde Nein zur Welt und Ja zum Nichts: der Scheinwelt der Religion, gesagt. Für Nietzsche ist somit der Religiöse der Nihilist.
Der Übermensch ist nach Nietzsche jemand, der den Gottestod aushalten kann. Er kann die Kälte ertragen und Ja-Sagen. Nietzsche drückt das in „Also sprach Zarathustra“ so aus: „Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-Sager, wenn du nur um mich bist, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! – in alle Abgründe trage ich da noch mein segnendes Ja-sagen.“ Trotz alledem und in alledem nicht untergehen sondern den Abgrund aushalten, ihn vielleicht sogar besingen und in der letzten Hoffnungslosigkeit dennoch nicht verzweifeln, sondern das Beste draus machen ohne Vertröstung. Das ist nach Nietzsche die Anleitung zum Glück. Man entscheidet sich das Unabwendbare bestmöglich zu leben. Das ist seine Erhabenheit über die Tragik. Diese wird dadurch jedoch nicht bezwungen oder überwunden, sondern nur durchlebt. Einen Ausweg gibt es nicht.