Freitag, 22. November 2024

Über „300 Jahre gläubige & ungläubige Theologie“ von Georg May

Eine Buchrezension von Hannes Kirmse

Theologie kann als „vorpolitischer Raum“ der Kirche gesehen werden. Wie Ideen und Weltbilder ihre entsprechenden Vordenker haben, so ist auch das, was von der Kirche gesprochen und gepredigt wird, einmal bewußt ersonnen worden. Es treten zahlreiche Akteure auf, die um die rechte Lehre und die korrekte Wiedergabe der Frohen Botschaft bemüht sind, die aber in immer größer werdender Zahl auf jene treffen, die sich zu mehr oder minder offenen Feinden der Kirche, ihrer Tradition und ihres verbindlichen Lehramts erklärt haben. Es finden teils heftige Auseinandersetzungen statt, die man allein durch die Verwendung von Begriffen wie Keuschheit oder Sünde entfachen kann.

Die angeleitete Herausbildung des Glaubens in jedem konkreten einzelnen Getauften wird zusehends schwieriger. Jeder will auf seine Weise mitreden. Laien wollen den Priestern vorschreiben, was und in welcher Weise sie etwas zu sagen haben. Nun finden sich hier eben keine Politiker mit Unternehmensvertretern in den Lobbys in informellen Runden zusammen. Hart auf hart geht es zu in den theologischen Seminaren und Fachkreisen. Nicht nur die Ausdifferenzierung des Wissenschaftsbetriebes hat dazu geführt, daß die Gräben ihre Vertiefung fanden. Das geht über die klassische Gegenüberstellung von Protestantismus und Katholizismus mittlerweile weit hinaus.

Karl Rahner und Uta Ranke-Heinemann

Da ist etwa eine Uta Ranke-Heinemann, die als bis in die 1970er Jahre hinein als katholische Theologin beständig gegen das Papstamt und die kirchliche Sexualmoral gewettert hat. Sie ließ es gipfeln in ihrer Publikation „Eunuchen für das Himmelreich – katholische Kirche und Sexualität“, die mehr Fragen aufwirft als tatsächlich beantwortet. Da ist aber auch ein Karl Rahner, der die theologische Angleichung an den Marxismus suchte. Über den Zerwürfnissen sieht man sich gerade als Laie der Problemstellung ausgesetzt, daß man das dezidiert Katholische nicht mehr auf den ersten Blick für sich und seinen Erkenntnishorizont ausmachen kann.

Was ist überhaupt eine katholische Denkart, was eine genuin protestantische? Darf und kann man die Geister scheiden? Im inner- und außerkirchlichen Konsens haben sich Verwirrung und Gleichgültigkeit breitgemacht. Wenn man sich mit heutigen Theologiestudenten unterhält, erfährt man recht schnell, daß sehr viel von der Welt und ihren Anliegen geredet, aber verhältnismäßig wenig von dem Glauben und seinen Inhalten gesprochen wird. „Die Kirche mag ja gut und schön sein, aber Jesus Christus war schlußendlich für alle gleichermaßen da.“ – So mag die Grundeinstellung vielerorts sein. Doch ist die Lage deshalb hoffnungslos? Stehen die Verteidiger der Kirche und ihres Lehramts nicht schon längt auf gänzlich verlorenen Posten?

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Weitere Informationen

Georg Mays Veröffentlichung

Prof. Dr. Georg May

Der 1926 in Niederschlesien geborene Theologe Prof. Dr. Georg May, der seines Zeichens seit 2011 auch apostolischer Protonotar ist, dürfte vielen nicht unbekannt sein. Insbesondere durch seine profunden und glaubensstarken Vorträge ist er immer wieder hervorgetreten. Von ihm verurteilt wird ein von vielen falsch verstandener Ökumenismus, der in immer harscher werdender Schrittfolge auf eine Relativierung und Infragestellung überlieferter, ja geoffenbarter katholischer Lehrinhalte zugeht. Er zeigte beispielsweise auf, wie der Priestermangel, der in nahezu allen deutschen Diözesen beklagt wird, hausgemacht ist. Pastoralpläne und Strukturreformen, so sagt er, mögen zwar ihre Berechtigung haben, aber Priester wollen erbeten werden. Er ist ein unbedingter Fürsprecher des Priesteramtes an sich.

Das unablässige Gebet für Priesterberufungen, so beklagt er, ist vielerorts zum Erliegen gekommen. Es habe eine Glaubensverflachung Einzug gehalten, der nur das fortwährende Bestreben um Glaubensvertiefung entgegengesetzt werden könne. May ist mit seinem Werk „300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie“ daran gelegen, einen grundlegenden Beitrag zur erneuten Glaubensvertiefung, zu einer Rückbesinnung auf das Wesentliche zu liefern.

Schonungslose Orthodoxie

Dieses Buch ist schonungslos – gerade aufgrund seines Umfangs. Auf gut eintausend Seiten wird geradlinig aufgezeigt, welchen Herausforderungen der katholische Glaube in der weitreichenden Vergangenheit seit dem Einsetzen der Aufklärung im 18. Jahrhundert ausgesetzt war und es bis heute zum Teil in noch verstärktem Maße ist. Orthodoxie stellt für ihn nichts Verwerfliches dar, bedeutet sie doch schon dem Wortsinn nach die Suche nach dem rechten, ja angemessenen Glauben und nach einer Kontinuität in dessen Interpretation und Anwendung. In seiner Hinführung erweitert der Autor die bereits im Titel genannte Trennlinie zwischen gläubig und ungläubig um die Adjektive „aufbauend“ und „abbauend“. Die Verwendung seiner Sprache ist einleuchtend, handelt es sich doch bei der Theologie um ein ganzes Lehrgebäude, das mühsam Stein für Stein erbaut wurde, um dem Glauben feste und damit verortbare Räume geben zu können.

Die feingliedrige Strukturierung von Mays Opus mit Hauptteilen, Abschnitten, entsprechenden Unterkapiteln und dazugehörigen Paragrafen will der hochkomplexen Architektur des Lehrgebäudes gerecht werden. Sie reicht von den analytischen Grundlagen, in denen der Revisionismus mit seiner Umwertung des aus der Heiligen Schrift Gegebenen und dessen Absichten, sowie auch die Differenzierung von Ultramontanismus, also unbedingter Romtreue und Protestantisierung erläutert wird. Sie geht weiter mit der eingehenden Beleuchtung von protestantischen und katholischen Theologen. Es wird auf den bis 1967 geltenden Antimodernisteneid verwiesen, dessen anschließendes Fehlen Papst Paul VI. durch die Einführung des Credos des Gottesvolkes zu kompensieren versuchte. Der Aufbau gleicht in seiner Abfolge, bis hin zu einer zentralen Conclusio, einem umfangreichen Treppenhaus. Es treffen Neo-Modernismus, eine sogenannte Geschichtlichkeit der Wahrheit und Theologenpluralismus auf Glaubenssinn und den gläubigen Rest. Nun wird schon ersichtlich, daß das Gebäude der genuin katholischen Theologie von vielen ausgehöhlt wurde.

Fremde Stimmen

Stimmen wurden in den Räumen laut von Personen, die sich eigentlich gar nicht wirklich in ihnen aufhalten wollten, denen das Gebäude an sich fremd war. Vieles erscheint als fragil und mit ungläubiger Skepsis überzogen. Der Autor geht in die Tiefe, er will den wirklichen Problemstellungen, mit denen die Kirche in unserer Zeit seit mehreren Jahrzehnten konfrontiert ist, aufrichtig nachsinnen. Trotz seines hohen wissenschaftlichen Anspruchs ist das Buch sehr gut verständlich, was wohl auch auf seine unmittelbare Klarheit zurückzuführen ist. Den Reformator Martin Luther nennt er, wie es bereits Kardinal Walter Brandmüller getan hat, einen „typischen Häretiker“. Daran können für ihn auch nicht die immensen Luther-Publikationen 2017 nichts ändern. May verwendet unbeirrt eine unmißverständliche Sprache, die man sich von so vielen Geistlichen heute wünschen würde.

Verstehen und Tiefe

Es ist dieser Balanceakt zwischen vorzüglicher Lesbarkeit und wissenschaftlicher Präzision, der sein Werk besonders wertvoll werden lässt. Dieses beinhaltet ja eine kenntnisreiche Würdigung von großen Geistern, die der Allgemeinheit bereits längst in Vergessenheit geraten sind. Der Bischof der Diözese Rottenburg, Paul Wilhelm von Keppler (1852 – 1926) wird zitiert, um die Warnzeichen zu verdeutlichen, die bereits zur Jahrhundertwende ausgemacht worden sind: „Der Feind geht umher, um den Samen wieder zu säen, der im verflossenen Jahrhundert so furchtbare Früchte gebracht“.2 Eingehend wird auf die Dokumente des Heiligen Papst Pius X. verwiesen, die und auch dessen Pontifikat selbst aus dem öffentlichen Bewußtsein der Kirche verbannt und in allgemeine Vergessenheit geraten sind. Den Niedergang fasst May in der Dreistufung „ungläubige – halbgläubige – abbauende Theologie“ zusammen.

Er belässt es nicht bei dieser Formel der zerstörerischen Triangulation und macht die Wirkmechanismen dahinter erkenntlich. Da sind jene Theologen, die eine Verzerrung des Erlösers Jesus Christus vorantreiben. Der Gottmensch wird zum Gutmenschen herabgestuft, mit dem die Kirche auf Dauer allerdings nicht viel anfangen kann. Was der Philosoph Norbert Bolz in seinem Essay „Gnadenlose Neuzeit“ hier über die evangelische Amtskirche beklagt – eine im Moralisieren und diffusen Humanitarismus versinkende Kirche – treibt auch Georg May um, wenn es um die römisch-katholische Kirche geht. Die Transzendenz hat einen unheimlichen Bedeutungsverlust erfahren – ein Mißstand, bei dem dann auch der Präfekt der Kongregation für die Liturgie, Kardinal Robert Sarah nicht müde wird, auf ihn aufmerksam zu machen.

Extra ecclesiam non salus est

Leitsatz und Selbstverständnis der Kirche finden wir im „Extra ecclesiam non salus est“ („Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“). Dies konnte durch das Zweite Vatikanische Konzil keinesfalls in Abrede gestellt werden, wie es uns in dessen Bewertung belegt wird. Anders kann dem Heilsanliegen gar nicht entsprochen und anders können die Lehrschreiben nicht verstanden werden. Aber angesichts der vielfachen Verwirrungen, die aus einem progressistischen Verständnis des Zweiten Vatikanums hervorgegangen sind, ist die von Augustinus überlieferte Sentenz „Viele, die drinnen sind, sind draußen, und viele, die draußen sind, sind drinnen“ heute bedeutsamer denn je. Hegel und Feuerbach haben Einzug in den Raum der philosophischen Disziplin der katholischen Theologie gehalten, ohne daß daran erheblicher Anstoß genommen wurde. Liturgische Mißbräuche finden statt und von bischöflicher Stelle wird nicht eingegriffen.

Georg Mays Verdienst

Prof. Dr. Georg Mays Verdienst ist es jetzt, eine klare Trennlinie gezogen zu haben. Er bietet uns eine umfangreiche, verlässliche und wesentliche Orientierungshilfe nicht nur dann, wenn wir uns spezifischen Glaubensfragen ausgesetzt sehen, sondern er schärft damit unser Gewissen, in dem wir der Kirche gegenüber verpflichtet sind. In einem Vorsatz zu „300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie“ wird aus einem Brief Papst Benedikts XVI. an den Verfasser zitiert: „Ich möchte Dir … herzlich danken für die Klarheit, mit der Du immer zur katholischen Glaubenslehre gestanden bist und Dich öffentlich eingesetzt hast (7. März 2014).“

Schon nach einer ersten Lektüre des fundierten Nachschlagewerkes und zugleich authentischen Zeugnisses für das Bemühen um die Aufrechterhaltung der römisch-katholischen Lehre, stellen wir fest, daß es sich da um kein bloßes Wort handeln kann, das unter Freunden ausgetauscht wurde. Es stellt den Theologen Georg May, der 2016 seit 65 Jahren Priester ist, heraus. Sein Wirken lässt den Unglauben wie verkrusteten Putz von der Wand des Lehrgebäudes bröckeln.

Das Buch kann hier bestellt werden.

  • 1 Papst Benedikt XVI., Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen (Freiburg 2003), S. 164
  • 2 Paul Kopf, Die Kirche an der Schwelle des 20. Jahrhunderts. Zwei Stimmen zur Jahrhundertwende 1899/1900: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 18, 1999, 187 – 195. (hier zitiert auf S. 630)

1 Kommentar

  1. Sobald ich las, der Sarto-Verlag wird dieses Buch verlegen, habe ich mich eingetragen in die Liste der Vorbesteller. Im Mai kam es dann hier ins Haus und ich fing an, das Buch zu lesen. Wegen vieler Tätigkeiten vor den Sommerferien bin ich noch immer in der Einleitung – finde jedoch die Art zu schreiben sehr klar und leicht zu fassen. Ich würde dieses Buch auch gerne teilen auf LinkedIn, doch leider ist das (noch immer) nicht möglich.

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