von Franziska Holzfurtner
Pessach ist dasjenige jüdische Fest, das für das Christentum die größte Bedeutung hat. Es ist auch das Fest, das unsere Messfeier in ihrer Form inspiriert hat, ebenso wie viele populärer- und fälschlicherweise heidnischen Einflüssen zugeordnete Osterbräuche.
Und obwohl wir jeden Sonntag hören, wie Jesus und seine Jünger diese Feier begingen, können sich die allermeisten Christen nicht allzu viel darunter vorstellen. Das ist schade, denn unser Bild vom letzten Abendmahl steht unter ganz falschen Vorzeichen. Jesus und seine Jünger saßen kaum herum und bliesen Trübsal, sie feierten bis in die Nacht mit Wein und Gesang.
Wann feiern die Juden Pessach?
Details zum jüdischen Kalender habe ich ja schon im Beitrag zu Chanukka erwähnt. Auch Pessach fällt keineswegs immer auf denselben Wochentag.
Pessach beginnt am Abend des 14. Nissan und dauert sieben Tage in Israel und einen weiteren Tag, wenn man sich nicht in Israel aufhält. Es begann dieses Jahr also am 10. und endet am 17./18. April. Da Pessach immer in der Nacht des ersten Vollmondes nach der Tag- und Nachtgleiche gefeiert wird (außer in jüdischenSchaltjahren), liegt es logischerweise meist in der Woche vor Ostern.
Was feiern die Juden an Pessach?
An Pessach wird die Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei gefeiert.
Wie schon bei Chanukka findet ein großer Teil des Festes im häuslichen Umfeld statt. Im Zentrum steht dabei das „Seder“-Essen, das auch die Vorlage für die christliche Eucharistiefeier ist. Dieses findet am ersten und zweiten Abend von Pessach statt, wobei manche liberalen Juden auf die Wiederholung am zweiten Tag verzichten.
Das Brot des Elends
An Pessach werden Matzen gegessen, ein ungesäuertes Brot, denn während dieser Tage darf kein Sauerteig gegessen oder hergestellt werden. Damit soll daran erinnert werden, dass Gott die Israeliten anwies ungesäuerte Brote zu essen, bevor sie aufbrachen, da keine Zeit war einen Sauerteig anzusetzen oder mitzuführen. Dies verweist auch auf die Diskontinuität und Heimatlosigkeit der Israeliten: Einen Sauerteig pflegt ein Haus in dem gebacken wird über Jahre hinweg, füttert ihn fortlaufend und setzt mit ihm wiederum Brote an. Er ist somit der Grundstock für die Ernährung einer Familie.
Sauerteig entsteht überall da, wo Getreide mit Wasser in Kontakt kommt und die nötigen Bakterien sich vermehren. Um zu vermeiden, dass lagerndes Getreide unabsichtlich säuert, wird es vorsorglich entfernt. Dazu gehören auch alle Produkte die Getreide enthalten, z.B. Nudeln, fertige Backwaren, aber auch Bier. Die sefardischen Juden bescheiden sich damit, und auch einige aschkenasische Rabbiner würden es gerne dabei belassen. Die allermeisten aschkenasischen Juden hingegen folgen weiterhin einer anderen Tradition: Hier sollen auch alle Lebensmittel, die sich unbemerkt mit Chametz vermischen könnten, entsorgt oder weggeben (oder vorübergehend an einen Nichtjuden verkauft) werden. Zu diesen „Kitniot“ gehören alle Hülsenfrüchte, Reis, Mais und viele andere Saaten. Es bleiben also als Sättigungsbeilagen lediglich Kartoffeln oder Süßkartoffeln, die von nicht wenigen durch dieses Fest Geplagten daher als Gottesgeschenk gepriesen werden.
Indem die ganze Wohnung komplett gereinigt wird, auch in, auf und unter allen Schränken – die Regel besagt, dass jeder Gegenstand einmal bewegt worden sein muss – wird sichergestellt, dass auch ja kein Chametz (also Getreide) oder Kitniot übersehen wird. In manchen Familien wird absichtlich ein kleiner Teil Chametz übrig gelassen und versteckt, um es dann am Tag des Sederessens zu suchen und feierlich zu verbrennen.
Die Haggada
Damit die Feier zu Hause auch genau nach Protokoll geschieht, werden sogenannte „Haggadot“ benutzt. Diese Bücher führen durch den Sederabend, enthalten die zu lesenden Texte sowie beliebte Pessachlieder. Haggadot gibt es in vielen verschiedenen Versionen und künstlerischen Ausgestaltungen, je nach persönlicher Überzeugung, Rahmen oder Geschmack. Besonders bekannt und prächtig ist die im ausgehenden 13. Jahrhundert entstandene sogenannte „Vogelkopfhaggada“ aus Würzburg. Der Name rührt daher, dass der Illustrator die abgebildeten Juden mit Vogelgesichtern dargestellt hat, um die Überschreitung des Bilderverbots durch die Abbildung des menschlichen Gesichts zu vermeiden.
Der gedeckte Tisch
Nach Sonnenuntergang treffen sich alle Teilnehmer um den gedeckten Tisch. Die Matzen nehmen eine zentrale Rolle für das traditionelle Mahl ein. Sie werden feierlich gebrochen, wie wir es auch aus dem Evangelium, bzw. dem Gottesdienst kennen und verteilt. Von der ersten gebrochenen Matze wird der größere Teil, der sogenannte „Afikoman“, versteckt und muss dann nach dem Essen gesucht werden. Ein Spaß vor allem für die Kinder – die als „Lösegeld“ manchmal noch ein kleines Geschenk erhalten.
Die Speisen auf dem Sederteller werden nach dem in der Haggada festgelegten Ablauf gegessen:
Maror | Bitterkraut (Meerrettich oder Römersalat) | erinnert an die Bitterkeit der Sklaverei |
Seroa | Ein gebratener Lammknochen | erinnert an das Opfern der Pessach-Lämmer im Tempel |
Charosset | Ein süßer Brei aus Obst (Äpfel, Feigen, Datteln, Rosinen), Rotwein, Zimt und Walnüssen | erinnert an den Lehm, aus dem die Israeliten als ägyptische Sklaven Ziegel herstellen mussten |
Chaseret | Ein zweites Bitterkraut | wird zusammen mit dem Charosset gegessen |
Karpas | Eine „Erdfrucht“, z.B. Sellerie, Petersilie, Radieschen oder Kartoffeln | erinnert an die zermürbende Arbeit in Ägypten; sie wird in Salzwasser getaucht und gegessen – in Anlehnung an die Tränen und den Schweiß der Juden bei der Arbeit (und ein wenig auch an Adam, der sein Brot im Schweiße seines Angesichts essen muss) |
Beitzah | Ein hartgekochtes Ei | erinnert an die Fruchtbarkeit, aber auch Fragilität des Lebens – und in Bezug auf letztere auch die Zerstörung des Tempels |
Der festgelegte Ablauf sieht außerdem vor, über den Abend verteilt vier Gläser Wein zu trinken (je nach Strenge der Observanz werden diese natürlich nicht wirklich voll gemacht). Dazu kommt der Wein, den man zum Essen trinkt und den man braucht, wenn man in weinseliger Inbrunst Pessachlieder singt – oder was auch immer man in diesem Zustand für singen hält. Natürlich ist das Ziel der Veranstaltung nicht, sich besinnungslos zu saufen. Aber Pessach ist definitiv alles andere als ein Fest für Evangelikale.
Ein anderer sympathischer Brauch ist das Öffnen der Türe und zusätzliche Eindecken eines Platzes für Elija. Der Prophet ist nämlich der einzige, dessen Tod in den Schriften nicht überliefert ist. Deshalb wird angenommen, dass er einfach gar nicht gestorben ist und jederzeit hereinspazieren und seinen Platz an der Tafel einfordern könnte, um das Kommen des Messias anzukündigen.
An den kargen Speisen des Sedertellers isst man sich nicht satt. Zum Sederabend gehört immer ein Festmahl. Gefilte Fisch, Suppe mit Matzenknödeln und ein Braten (je nach Philosophie Lamm – oder aber auf keinen Fall Lamm, da der Tempel zerstört wurde) sind beliebte Festessen. Meine Schwiegermutter in Spe macht außerdem meist ihren sagenhaften Schokoladenkuchen ohne Mehl.
Man lässt es sich also nach Kräften gut gehen – ungeachtet der kulinarischen Einschränkungen. Am Ende des Abends prostet man sich zu:
„Nächstes Mal in Jerusalem!“