Donnerstag, 12. September 2024

Der Papst weint über die größte Krise aller Zeiten

„Papst Paul weinte. Mit bebender Stimme klagte er: »Eine Welle des Zweifels, der Ratlosigkeit und der Unruhe hat sich in die Seelen vieler Geistlicher ergossen.«“ Ein Teil des „Gottesvolkes“ lehne sich gegen alles Neue auf, während der andere an den Grundfesten des Glaubens rütteln wolle.

„Dann versagte dem Heiligen Vater die Stimme, und 900 Priester, die aus ganz Italien nach Rom gekommen waren, sahen päpstliche Tränen der Trauer.“ Diese bühnenreifen Zeilen schreibt der DER SPIEGEL 1966 über eine Papstaudienz 1966.

Zwischen 1965 und 1975 erlebte die Kirche eine beispiellose Zeit des Wandels. Noch nie zuvor hatten so viele Priester ihr Amt niedergelegt, noch hatten so viele Nonnen und Mönche ihre Klöster verlassen und ihre Gelübden gebrochen, um die „neu gewonnene Freiheit“ zu genießen. Es schien, als habe der Geist der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – den Vatikan und die gesamte Kirche erfasst. In dieser Zeit ging es nicht mehr um Leid und Buße, sondern um Freude und Lebenslust. Die Hölle schien leer, und alle Menschen wurden Brüder. Die Ära war geprägt von Aufbruch, Hoffnung und Umbruch – der Geist der 60er Jahre spiegelte sich wider in der Musik der Beatles, der Mondlandung, den Rolling Stones.

Während der Papst in Rom weinte, wurden in den Priesterseminaren kommunistische Fahnen gehisst und Proteste abgehalten. Die Hoffnung war groß, dass die letzten Barrieren nun fallen würden. Nach der Religionsfreiheit und dem „neuen Humanismus“ in der Erklärung Gaudium et Spes erwarteten viele, dass auch Verhütungsmittel wie die Pille und das Kondom zugelassen werden würden. Die neue Ära des Menschen und der Freiheit schien die Fesseln der Natur zu sprengen. Doch hier zog Papst Paul VI. eine klare Linie. Die Enzyklika Humanae Vitae von 1968 untersagte weiterhin den Gebrauch von Verhütungsmitteln. Diese Enzyklika, ähnlich der von Pius XI. aus dem Jahr 1930, betonte nicht nur die Naturgesetze, sondern bezog auch den Personalismus mit ein. Nach der Veröffentlichung von Humanae Vitae im Jahr 1968 äußerte sich Papst Paul VI. bis zu seinem Tod 1978 nicht mehr öffentlich zu diesem Thema und verfasste keine weiteren Enzykliken. Die Veröffentlichung von Humanae Vitae stieß auf erheblichen Widerstand. Die moderne Welt widersetzte sich, und selbst viele Priester und Bischöfe stellten sich gegen die Enzyklika, während der Papst untätig blieb.

Im Advent 1969 führte er die neue Messe (Novus Ordo) ein, die mit der traditionellen Messe brach. Diese neue Liturgie war von Erzbischof Annibale Bugnini verfasst worden, der unter dem Verdacht stand, Freimaurer zu sein. Kurze Zeit später wurde Bugnini als Nuntius in den Iran versetzt.

Die Einführung der neuen Messe rief sofort scharfe Kritik hervor. Die Kardinäle Alfredo Ottaviani und Antonio Bacci verfassten eine „Kurze kritische Untersuchung des neuen Ordo Missae“, in der sie die theologischen Auswirkungen des Novus Ordo als schädlich für den Glauben und als bedeutende Abweichung vom herkömmlichen Verständnis der Messe anprangerten. Ihr Hauptanliegen war die Definition der Messe in der Allgemeinen Instruktion, in der sie als Mahlgemeinschaft und nicht als Opfer beschrieben wurde. Diese Kritik führte dazu, dass in der Ausgabe des Messbuchs von 1970 eine korrigierte Generalinstruktion veröffentlicht wurde. Die Krise hätte kaum größer sein können.

Zum Apostelfest am 29. Juni 1972 hielt Paul VI. eine Predigt über den berühmt gewordenen „Rauch Satans“: „Man möchte sagen, dass durch irgendeinen geheimnisvollen, nein, er ist nicht geheimnisvoll, dass durch einen Riss der Rauch Satans in den Tempel Gottes eingedrungen ist.“

Die letzten Jahre verbrachte Paul VI. zurückgezogen im Vatikan, depressiv, traurig und resigniert. Er erlebte, wie die katholische Kirche zu sterben schien. Der Vatikanpriester Charles Murr schreibt in seinem Buch Murder of the 33rd Degree über die Audienz von Gagnon bei Paul VI. am 16. Mai 1978. Paul VI. soll zu Erzbischof Gagnon gesagt haben: „Benelli schlussfolgerte, dass die Berichte über Erzbischof Bugnini fundiert waren. Auf dieser Basis entschieden Wir, Seine Exzellenz in den Iran zu senden, als unseren Nuntius.“ Dann soll Gagnon gefragt haben, was mit Baggio geschehe. Der Papst soll die Anschuldigungen gegen Baggio für falsch gehalten haben. Er habe seinen Staatssekretär Jean-Marie Villot gefragt, der die Anschuldigungen gegen Baggio als „haltlos“ bezeichnete. Baggio selbst habe im Gespräch mit dem Papst alles abgestritten und von „Verleumdung“ gesprochen sowie die Entlassung Benellis gefordert. Gagnon habe die Einschätzung des Papstes nicht glauben können. Er sei schockiert gewesen, der Papst aber müde und erschöpft: „Sie haben einen alten, müden Mann vor sich, der an der Schwelle des Todes steht und sich in diesen Tagen vorbereiten muss, seinem Schöpfer zu begegnen …“ Murr berichtet weiter, dass Gagnon dies nicht gelten lassen wollte und empört geäußert habe: „Ein Freimaurer ernennt unsere Bischöfe!“ Dann soll er den Papst auf die Vatikanbank aufmerksam gemacht haben, die kurz vor dem „Kollaps“ stand. Außerdem sei Villot sein schlimmster Gegenspieler. Paul VI. soll auf seinen Nachfolger verwiesen haben. Er solle sich darum kümmern. Gagnon habe enttäuscht die Audienz verlassen. Wenige Monate später, am 6. August 1978, starb Paul VI. in Castel Gandolfo.

Die Stimmung muss damals finster gewesen sein. Auch wenn Johannes Paul II. einige Missstände behoben hat, löste er das zugrunde liegende Problem nicht. Ironischerweise erfüllten sich die Prophezeiungen der „Unheilspropheten“, die während des Konzils gebannt wurden.

Die Krise wird erst dann wirklich überwunden sein, wenn ein Papst die Kirche wieder fest in der Tradition verankert. Denn das Kreuz steht fest, während die Welt sich dreht.

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