Von Theodor Seihle
Eine berechtigte Sorge von Katholiken über bestimmte Vorstellungen im rechten Lager ist jene, dass eine maßlose Überhöhung bestimmter Güter wie zum Beispiel Volk und Vaterland stattfindet. Unter dieser Voraussetzung kann die Idee entstehen, jegliche Religion sei lediglich ein Instrument zur deren Erhaltung (wo doch der katholische Glaube das höchste Gut ist). Um zu erforschen, auf welchen Grundlagen diese falsche Hierarchisierung fußt, möchte ich versuchen, zwei Tendenzen kritisch zu beleuchten. Sie sind, wie ich glaube, insofern relevant für uns Katholiken, weil diese Tendenzen das Religiöse berühren und damit auch das Verhältnis zum katholischen Glauben und zur Kirche; einmal erkenntnistheoretisch (Immanentismus) und einmal geschichtlich (Evolutionismus).
Immanentismus und Evolutionismus, zwei Falsche Denkrichtungen
Im Immanentismus als Lehre, über die Pius X. vor allem in seiner Enzyklika “Pascendi” (1907) spricht, wird jede mögliche und echte Erkenntnis von einem streng geschlossenen Umkreis umfasst. Dieser Umkreis, innerhalb dessen allein echte Erkenntnis stattfinden kann, bezieht sich entweder auf die geschöpfliche Welt (Naturalismus), die möglichen Erfahrungen (Kantianismus), oder das Seelenleben (Solipsismus). Man kann sich dies wie 3 konzentrische Kreise vorstellen, wobei der äußerste Umkreis noch die gesamte geschöpfliche Welt umfasst, aber schon das Übernatürliche ausschließt und glaubt, dass natürliche Prozesse die ultimative Realität sind. Letztlich handelt es sich dabei also um eine naturalistische Weltanschauung.
Der nächste Umkreis fußt auf der Erkenntnistheorie Kants und schließt sodann die echte Außenwelt, die wahre Natur der Gegenstände, als unerkennbar aus und begrenzt unsere Begriffe auf die Erfahrung der Dinge (Anschauungsformen und Verstandeskategorien) und nicht die Dinge selbst (“Ding an sich”). Der letzte Kreis lässt zuletzt nur noch das eigene Bewusstsein bestehen, wodurch jeder einzelne Mensch zu einer unerreichbaren Insel vereinsamt.
Egal welche Form des Immanentismus angenommen wird, es muss daraus immer eine Ablehnung jeglicher offenbarter Wahrheit folgen, die nicht aus den Dingen oder der Seele selbst geboren wird. Ein souveräner, göttlicher Herrscher und Schöpfer der Welt, der willentlich wirkt und außerhalb unseres Selbst und außerhalb der Welt tatsächlich existiert (Theismus), muss ausgeschlossen oder als letztlich unerkennbar (Agnostizismus) markiert werden. Wie wirkt sich so ein Denken nun auf den katholischen Glauben aus? Paradoxerweise heißt dies nicht, dass Religion, das Göttliche oder Übernatürliche vom Immanentismus ausgeschlossen werden.
Es ist vielmehr der Fall, dass das Übernatürliche ganz und gar in das Natürliche fällt und so jede nennenswerte Differenz zwischen Gott und Welt, Gott und Mensch, Gott und Bewusstsein, Natur und Übernatur, zerstört wird. Demzufolge kommt das Göttliche, die Offenbarung, aus den Dingen oder dem Unterbewusstsein selbst, was innerhalb eines zeitlichen Prozesses stattfindet und einer Evolution unterworfen ist. Je nach Bedürfnis des Menschen kann sich das Göttliche epochenhaft so oder so im Menschen und durch den Menschen offenbaren. Da gibt es keine abgeschlossene, unveränderliche Offenbarung, die ewig gilt, sondern immer neue aus uns selbst kommende religiöse Erkenntnisse, die oftmals mit einer vermeintlichen Reife der Menschheit korrespondieren. Daraus ergibt sich ein völlig verzerrtes Bild von dem, was Religion und was der katholische Glaube wirklich ist.
Das evolutionistische Denken
Im evolutionistischen Denken, das weniger eine naturwissenschaftliche, sondern vielmehr eine philosophische Position darstellt, wird das Überleben (“struggle for life”) zum obersten Prinzip der Welt erhoben. Materialistisch gedacht gibt es dann letztlich kein anderes Ziel als die Weitergabe des eigenen Erbguts. Wahr ist das, was uns überleben lässt – als Gruppe oder als Individuum. Gestern mag der katholische Glaube diesen Zweck am besten erfüllt haben, heute muss es aber vielleicht wieder ein heidnischer Volksglaube sein und morgen dann eine Verschmelzung von alledem. Dient eine Religion anscheinend nicht mehr diesem Ziel, kann sie modifiziert, bearbeitet und umgestaltet werden – und das würde selbstverständlich auch auf den katholischen Glauben zutreffen. Es ist vor allem auch die Grenzenlosigkeit, die dieses Denken ausmacht, da keine göttliche Ordnung (von außen) mehr existiert. Das evolutionäre Denken betrachtet den Menschen auf einer Entwicklungsstufe, die sich auf einer langen Stiege befindet, deren Ende unbekannt ist. Der Mensch besitzt demzufolge kein unveränderliches Wesen außer dem des unbestimmten Werden. Der Mensch ist demnach nur bestimmt durch Selbstüberwindung, durch ein Hinauswachsen aus seiner Eigentlichkeit, die im Evolutionismus fluide und formbar ist. Dies macht die anti-essentialistische Komponente des evolutionistischen Denken aus.
Diese beiden (falschen) Denkrichtungen, die für manche im rechten Spektrum meiner Ansicht nach eine Grundannahme darstellen – sei es nun bewusst oder unbewusst – könnte man durch folgende Axiome zusammenfassen:
- Religion kommt nicht von einem universalen Schöpfergott, sondern liegt immanent im Volk und hat sich über die Zeit herausgebildet. Damit werden Volk und Vaterland selbst als relevanter Stifter des Göttlichen betrachtet, während fremde religiöse Einflüsse als Joch gesehen werden.
- Religion dient primär dem Überleben des Volkes und kann abgeworfen oder substanziell durch eigene Kraft verändert werden, wenn dieser Zweck vermeintlich nicht mehr erfüllt wird.
- Der Entwicklung eines Volkes sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt, jegliche moralische Richtlinien können, wenn es der höhere Zweck verlangt, ebenfalls als Konventionen aufgelöst und je nach Notwendigkeit neu geformt werden.
Das eigene Volk und Vaterland wird also fälschlicherweise vergöttlicht, während die Religion, die ja als Produkt des Volkes selbst betrachtet werden will, sich notwendigerweise unterordnen muss und nur als Instrument dient. Richtigerweise muss es aber umgekehrt sein! Volk und Vaterland müssen sich der einzig wahren und universellen Religion unterordnen, Christus als König aller Könige anerkennen und zum Instrument Gottes werden. Die katholische Religion darf niemals als ein Werkzeug für einen vermeintlich höheren Zweck missbraucht werden. Sie selbst ist ja der Hort des höchsten Ziels eines jeden Menschen. Wir bekennen also nicht den katholischen Glauben, um das Überleben unseres Volkes zu sichern, sondern wir wollen das Überleben unseres Volkes sichern, damit wir, als Volk, mittels des einzig wahren Kultes, Gott weiterhin bestmöglich verehren können! Gerade dadurch werden Volk und Vaterland geheiligt und nur so finden sie in der wunderbaren Symphonie Gottes den für sie vorhergesehenen richtigen Klang.
Europa verdankt seine Größe Christus und der katholischen Kirche – die Veredlerin aller natürlichen Tugenden
Auch wenn es heute in Anbetracht des Zustands der katholischen Kirche, vor allem aber der deutschen Bischofskonferenz und dem unsäglichen “Synodalen Weg”, manchmal schwer fällt zu glauben, ist die Größe der europäischen Völker vor allem der römisch-katholischen Kirche zu verdanken, also der Braut Christi, gestiftet von Jesus Christus. So wie aber die Gnade die Natur voraussetzt, hat Er seine Kirche auf besonders fruchtbarem Boden gedeihen lassen. Die Symbiose aus römischer Organisation und griechischem Geist war der vorherbestimmte und unüberbietbare Träger für diesen Auftrag Gottes, nachdem er von allem Götzendienst und sonstigen anti-christlichen Veranlagungen befreit wurde.
Auf diese Art und Weise weiter gedacht, hat jedes europäische Volk eine besondere Rolle in der Heilsgeschichte zugedacht bekommen und immer wenn sich dafür entschieden wurde, mit diesem Auftrag zu kooperieren, kam es zu einem bestmöglichen Aufblühen. Falsch wäre es also zu behaupten, das europäische Christentum sei eine künstlich erzwungene Synthese zweier gänzlich unverwandter Entitäten. Dieses Verhältnis ist viel eher mit der Beziehung zwischen Natur und Gnade oder Geist und Körper zu vergleichen. Wenn sich die europäischen Völker von der katholischen Kirche leiten lassen, dann gediehen sie und blühten auf. Die Früchte dieser Zusammenarbeit sind (oder waren) allerorts zu sehen und strecken sich von Ritterlichkeit über die Gotik, bis hin zu jeder einzelnen aufopfernden Tat, die aus reiner Nächstenliebe vollbracht wird.
Jeder ehrliche Blick auf die europäische Geschichte wird die grundsätzlich wunderbare Wirkung der katholischen Kirche auf die Völker erkennen. Vor allem aber müssen Deutschland, Europa (und der Vatikan) wieder zum traditionellen katholischen Glauben zurückkehren, um diese Entfaltung wieder zu realisieren. Da aber, wie schon erwähnt, die Gnade die Natur voraussetzt, heißt dies keineswegs, dass dieses Ziel einer rechten Politik entgegengesetzt ist. Wichtig ist nur, dass die Ordnung stimmt und Christus von allen als König und Hohepriester anerkannt wird.
Nachtrag
Nach diesem Versuch eines kritischen Blicks auf von mir wahrgenommene denkerische Tendenzen im rechten Spektrum von katholischer Seite, möchte ich abschließend noch einmal anmerken, dass ich eine konstruktive und zum Nachdenken anregende Kritik zum Ausdruck bringen wollte. Ich betrachte mich auch selbst als katholisch und rechts (allerdings in dieser Reihenfolge), was meiner Ansicht nach aus der konsequenten Anwendung der traditionellen katholischen Soziallehre folgt. Und wenn es um diese Tradition geht, kann auch eine gute Zusammenarbeit stattfinden. Gleichzeitig eröffnet sich aber auch die Möglichkeit wichtige Fragen auszudiskutieren, wie zum Beispiel jene über die Streitfrage des christlichen Universalismus gegenüber einem identitären Partikularismus, die von beiden Seiten oftmals auch missverstanden wird. Die wichtigste und gewinnbringendste Kritik gegenüber dem rechten Lager kann und muss aus meiner Sicht von katholischer Seite kommen– dem Ziel, dem Gemeinwohl eines jeden Volkes herzustellen.
Die falschen Denkrichtungen könnte man durchaus als das Unkraut im Weizenfeld betrachten, die der böse Feind, der Versucher, in das menschliche Denken eingestreut hat. Katholiken hatten schon immer mit Hilfe des Hl. Geistes feinsinnig zu unterscheiden gewusst, so wie es der Autor des Artikels vorgenommen hat. Der katholische Glaube kann auf eine bewährte Tradition zurückblicken, deren Schätze er nur heben braucht. Dort, wo dieses Denken in die Gesellschaft eingebracht wurde, hat es stets ein Aufblühen der Völker bewirkt. Gerade an den heutigen Fehlentwicklungen sehen wir, dass dieses Denken richtig ist und wir Christen uns wieder mehr ohne Scheu mutig einbringen müssen. Es wäre schön, wenn die Bischöfe in diesem Denken genug gebildet wären und dem Volk vorangingen. Für ein rechtes katholisches Denken muss sich übrigens niemand entschuldigen, denn unser höchstes Gut ist kein erhöhter Nationalismus, sondern unser König Jesus Christus, dem wir allein folgen.