Im Jahr 1936, inmitten der düsteren Zeit des NS-Regimes, verfasste der katholische Erzähler, Lyriker und Essayist Reinhold Schneider ein früher weithin bekanntes, heute nahezu vergessenes Sonett:
„Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.
Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.
Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indes im Dom die Beter sich verhüllen,
Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt
Und in den Tiefen, die kein Aug’ entschleiert,
Die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.“
Not lehrt beten, das lernten die Großeltern und Urgroßeltern so vieler Zeitgenossen, die längst vom Glauben abgefallen sind und dem Ungeist des Säkularismus, der „Weltlichkeit des Teufels“ (Leon Bloy), folgen, bis weit in die Kirche hinein. Reinhold Schneider, eine katholische Stimme der Inneren Emigration, vertraute auf die Macht des Gebetes und setzte die Stimme der einfach gläubigen Katholiken gegen das grelle Theater, gegen das infernalische Pathos der NS-Machthaber und ihrer willigen Gefolgschaft.
Heute erleben wir eine andere Form der Verhöhnung Gottes. Sichtbar wird dies an der lauen Indifferenz vieler Amtsträger, an der servilen Beflissenheit der Kirchenfunktionäre und an vielen Formen der theologisch sich nennenden Freigeisterei. Wer vertraut noch auf das Gebet? Wir feiern Advent, zünden Lichter an, aber rechnen wir wirklich mit dem Herrn der Geschichte? Nehmen wir das Kind in der Krippe ernst? Oder gehen wir achtlos daran vorbei und huldigen unseren eigenen Götzen? Schneider erinnert uns an das „geheiligt Leben“, das zu allen Zeiten möglich ist, in aufrichtiger Treue zu Gott und zu seiner Kirche, die alle Zeiten und Orte umschließt. Der Literat verweist auf den Weg der Heiligkeit, der unsere Berufung ist, ob Kleriker oder Weltchrist. Wir sollen uns nicht gemein machen mit den Mächten dieser Welt, unser Dienst ist das Gebet. Vielleicht mögen manche Leser rätseln: Ist das nicht zu wenig? Bedarf es nicht mehr als einer gotteskindlichen Frömmigkeit? Sollten Christen nicht selbstbewusst mit den Mächten dieser Welt kämpfen? Ja, der geistliche Kampf ist wichtig, aber er wird nicht mit den Waffen dieser Welt gefochten. Der gläubige Katholik setzt seine Hoffnung ganz auf den Herrn. Er beugt demütig die Knie und betet zu Gott. Draußen feiert sich der „Menschenhochmut“ – und manchmal, so scheint es, möchte die Kirche auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten mitspielen, anerkannt, geliebt und wertgeschätzt sein. Das alles ist ohne jede Bedeutung. Die Beter verhüllen sich, nicht etwa, weil sie sich des Betens schämten, sondern weil sie zu einem Leben im Gebet, zu einem Leben in der Anbetung gezwungen sind. Wenn alle Welt Weltliches verehrt, so ist die Zeit und die Stunde da, einzig vor dem die Knie zu beugen, dem alle Ehre gebührt.
Reinhold Schneider charakterisiert die Not seiner Zeit, die groß und weitreichend war, die Schrecken des Nationalsozialismus und des Kommunismus hatte er vor Augen. Er ahnte die Dynamik – und setzte schon 1936 auf das Gebet. Wenn keine Hoffnung mehr besteht, ist es wichtig, unverzichtbar, alle Hoffnung auf Gott zu setzen – und nicht die Mächtigen, deren Macht doch vergehen wird, zu hofieren, sondern dem König der Könige zu dienen, mit einem Leben im Gebet. Das Gebet ist weder ein Accessoire der Frömmigkeit noch ein launiges Bekenntnis, es gehört nicht irgendwie dazu, es ist die Herzmitte des christlichen Lebens. Die „trockenen Brunnen“ werden sich wieder mit Leben füllen. Reinhold Schneider bekennt sich zur Verheißung. Wir dürfen nicht auf die Stimmen und die Stimmungsmacher der Zeit hören, sondern einzig auf Christus und Seine Kirche, auf Ihn, der wiederkommen wird in Herrlichkeit. Die Beter glauben das, ja – sie wissen es. Die Gläubigen ertragen auch den Hohn der Welt. Nur von Gott geht wahre Erneuerung aus. Nur in Ihm liegt Heil und Erlösung. Wir sind umgeben von so vielen traurigen, verstörenden Nachrichten über die Kriege, über die Nöte dieser Welt, von der Macht des Bösen, die sich erneut machtvoll zu zeigen scheint. Die „Täter“ sind aktiv und scheinen zu triumphieren – aber Gott ist immer größer. Darauf dürfen wir hoffen, darauf dürfen wir vertrauen. Der greise Regensburger Erzbischof Michael Buchberger brachte zu Beginn der 1960er Jahre, als seine Mitbrüder über eine wichtige Frage berieten – „Wovon soll heute in der Kirche die Rede sein?“ –, die versammelten Bischöfe zu schweigen, als er sagte: „Von Gott.“ Wir alle sind heute dazu aufgerufen, ein „geheiligt Leben“ zu führen – und auf diese Weise Zeugnis zu geben von dem Gott, an den wir glauben und zu dem wir gehören, im Leben und im Sterben. Wir leben im Advent – und der Advent ist eine Stunde des Gebets und des gläubigen Vertrauens auf den dreifaltigen Gott.