Dienstag, 3. Dezember 2024

Mit Leo XIII. gegen Liberalismus und Sozialismus

Pius IX. starb 1878. Vincenzo Gioacchino Kardinal Pecci wurde zu seinem Nachfolger gewählt und nahm den Papstnamen Leo XIII. an. Er galt als „Meister der Politik“. Der Pontifikat sollte einer der längsten überhaupt werden (25 Jahre) und erst am 20. Juli 1903 enden, im Alter von 93 Jahren. Leo galt als „eine geborene Herrschernatur“, als „sein eigener Kanzler, kühl und nüchtern in seiner Lebensauffassung.“ Er lobte seine Angestellten „selten oder nie und stellte ungeheure Anforderungen an das Pflichtgefühl der Mitarbeiter, denen er seinen eigenen Maßstab anlegte … Er suchte den Frieden und die Harmonie um jeden Preis, nach innen wie nach außen, so daß er mehr als einmal diesem Hang zum Politisieren und Diplomatisieren, wie man es genannt hat, schwere Opfer brachte, die hart an prinzipielle Zugeständnisse stießen.“ (Schmidlin, Papstgeschichte Bd. 2, S. 587f.).

Schon bald nach seiner Wahl wurde die (Neu)scholastik manifestiert und zur einzig zulässigen Methode erhoben (Enzyklika Aeterni patris vom 4. August 1879). Leos Politik war nicht liberal, zeigte aber pragmatische Züge. Die Abgrenzung zur Moderne machte sich besonders in der Verurteilung des Amerikanismus bemerkbar. Dem Voraus ging die Enzyklika Longinqua an die amerikanischen Bischöfe vom 6. Januar 1895, die auf den Unterschied zwischen zivilen und kirchlichen Gesetze (wie beim Thema Ehescheidung) aufmerksam machte. Anschließend verurteile Leo den Amerikanismus im Brief Testem Benevolentiae nostrae vom 22. Januar 1899, gerichtet an den Erzbischof von Baltimore, James Kardinal Gibbons. Den Kern des Amerikanismus sah der Papst im Irrtum, dass die katholische Kirche ihre Glaubenslehre (depositum fidei) an die neuen Zeitumstände anpassen müsse. Leo verwarf das, indem er sich auf die Konstitution Dei Filius des Ersten Vatikanischen Konzils berief.

Das päpstliche Staatsdenken war geprägt vom scholastischen Einheitsordo von Staat und Kirche. Durch die Betonung des Naturrechts war jedoch auch eine Möglichkeit gegeben, sich von der Monarchie als einzig legitimer Staatsform zu lösen und die Demokratie zu akzeptieren. Leo akzeptierte nicht die liberale Demokratie, in der es ein Recht auf Irrtum und Sünde gibt. Er akzeptierte nur jene Demokratie, die auf dem Naturrecht beruht. Damit eine Staatsform legitim war, durfte sie die menschliche Vernunft nicht autonom vom kirchlichen Lehramt und seinen autoritativ interpretierten Naturrechtsnormen betrachten. Der Staat müsse mindestens die Ordnung und Wahrung des christlichen Sittengesetzes garantieren. In seinen Enzykliken Diuturnum Illud vom 29. Juni 1881 und Immortale Dei vom 1. November 1885 klärte Leo die wichtigsten Grundsätze seiner neuscholastischen Staats- und Gesellschaftslehre. In Immortale Dei verurteilte er mit Verweis auf seine Vorgänger Gregor XVI. und Pius IX. die unbedingte Meinungs- und Pressefreiheit, da diese Wahrheit und Sittlichkeit bekämpften und ein Zeichen von religiöser Indifferenz seien.

Aus denselben Gründen wird in derselben Enzyklika Religionsfreiheit abgelehnt. Weil es, so Leo, nur eine wahre Religion gibt (die katholische), hat auch nur eine Religion die vollen Rechte. Die Staatsmänner, die anderen Religionen gleiche Rechte einräumten, um Übel abzuwenden, wurden jedoch nicht verurteilt. Nicht katholische Bekenntnisse und Religionen sollten allenfalls einen Toleranzstatus haben, der vom Gemeinwohl abhing.

In Diuturnum Illud verwarf Leo vor allem Autonomieansprüche, die Volkssouveränität anstrebten, als gottlose Häresie, da sie zu Gewalt führten. Den Beginn der Unruhen sah er in der Reformation und der Französischen Revolution. Hier zeigt sich die prägende Erinnerung an die Französische Revolution als Gewaltbewegung, die nicht davor zurückschreckte, Priester und Ordensangehörige zu töten und die bestehende Ordnung zu zerstören.

Leo stellte dem modernen Staatsgedanken den christlichen Gedanken von Kirche und Staat als jeweils eigene vollkommene Gesellschaft (societas perfecta) gegenüber. Die beiden vollkommenen Gesellschaften bleiben dennoch aufeinander bezogen: Der bürgerlich-politische Bereich ist demnach der Bereich des Staates. Alles, was mit dem Heil der Seelen zu tun hat, gehört aber zum Bereich der Kirche und ist damit der kirchlichen Gewalt und Entscheidung unterstellt. Als Musterbeispiel betrachtete Leo XIII. dabei die Monarchie. Der Papst argumentierte, dass bereits Paulus die Unterwerfung unter die Obrigkeit betonte; die Verweigerung des Gehorsams galt daher als Verbrechen gegen die göttliche Majestät.

Mit dem Bezug auf das Naturrecht und die societas-perfecta-Lehre, musste der Staat nicht unbedingt eine Monarchie sein, sondern hatte vor allem darauf zu achten, seinen eigenen Kompetenzbereich, das heißt das Rechtsgebiet des bürgerlich-politischen, nicht zu überschreiten. Der Staat durfte demnach keine religiösen Züge tragen oder sich in kirchliche Angelegenheiten einmischen. Die parlamentarisch-monarchische Verfassung Belgiens wurde von Leo XIII. akzeptiert. Auch machte er der französischen Regierung, die von Freimaurern geleitet war, weite Zugeständnisse und verlieh Bismarck wegen der Beilegung des Kulturkampfes den päpstlichen Christusorden. Leo XIII. war zwar nach Schmidlin nicht in dogmatischen, aber in politischen Fragen ein moderner Papst: 

So sehr Leo XIII. in dogmatischen und religiösen Dingen ihre [Gregors XVI. und Pius’ IX.] Erbschaft antrat und ihre Tradition ritterlich verfocht, hat er doch als echt moderner Papst allem guten in der menschlichen Zivilisation den Ölzweig dargereicht und ihre Vorzüge seiner Institution einverleibt: sowohl in der Politik gegenüber den Staaten und in seiner sozialen Aktion für die Volksmassen als auch hinsichtlich der geistigen und kulturellen Kräfte und Strömungen. Dadurch hat er als wahrer „Papstcäsar“ die moderne Welt mit inneren Banden wieder an die Tiara gefesselt und für sie zurückerobert (Schmidlin, Papstgeschichte Bd. II, S. 589).

Literatur:

Schmidlin, Joseph, Papstgeschichte der Neuesten Zeit.

Uertz, Rudolf, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht.

Siehe auch:

2 Kommentare

  1. Ganz ohne Zweifel war dieser Papst vom Willen beseelt, den Glauben der Menschen zu stärken und das menschliche Zusammenleben friedvoll zu gestalten.

    Indessen war er uns seine Mitarbeiter von den Realitäten des Lebens sehr, sehr weit entfernt.
    Was sich an Verwerfungen und Problemen im Zuge der Industrialisierung aufgetan hatte, lag völlig ausserhalb ihres Erlebnis-Horizonts und damit auch ihres Verstehens.

    Erst 1891, als der Höhepunkt der „Sozialen Frage“ bereits überschritten war, und nachdem die Staatsregierungen sich anschickten, durch gesetzgeberische Maßnahmen ordnend einzugreifen, ließ sich endlich auch Leo XIII. mit „Rerum novarum“ vernehmen.

  2. Ich empfehle nachdrücklich die Lektüre von Jörg Ernestis herausragender neuer Biographie von Leo XIII. Bei der Lektüre entsteht ein noch differenzierteres Bild dieses bedeutenden Papstes.

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