Am 15. März 1947 sprach der große Papst Pius XII., den Katholiken in aller Welt, die der Kirche aller Zeiten und Orte verbunden sind, bis heute verehren, den Schweizer Einsiedler Nikolaus von der Flüe heilig. In deutscher Sprache wandte er sich tags drauf an die Pilger aus der Schweiz in der Petersbasilika. Seine Worte von damals berühren und bewegen uns auch heute, sicher nicht nur in allen deutschsprachigen Ländern. Wir können die Weisungen von Pius XII. als uns adressiert verstehen und bedenken, in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland.
Der Papst bezieht sich auf die Biographen und Begleiter des Heiligen, die ihn bis zu seinem Abschied von der Welt nahe gewesen sind, und stellt ihn als einen „züchtigen, gütigen, einen tugendhaften, frommen und wahrhaften Menschen“. Nikolaus war Soldat im Dienst des Vaterlandes, zwanzig Jahre mit Dorothea Wyss verheiratet und hatte mit ihr eine „blühende Familie von zehn Kindern“. Über die Ehefrau sagt Pius XII.: „Sie hat durch den freiwilligen
Verzicht auf den Gemahl, einen Verzicht, der ihr nicht leicht wurde, und durch ihre feinfühlige, echt christliche Haltung in den Jahren der Trennung mitgewirkt, um euch den Retter des Vaterlandes und den Heiligen zu schenken.“ Denn Nikolaus wusste sich zum Einsiedler berufen und zieht sich im Alter von fünfzig Jahren von der Welt zurück, „um noch an die zwanzig Jahre in äußerster Entsagung, in strengster Busse nur dem Verkehr mit Gott zu leben“. Vielleicht widerstrebt uns eine solche Existenzweise. Kann jemand sich aus der Gesellschaft entfernen, ja sogar – wenn auch im Einvernehmen – von der Familie zurückziehen, um ganz Gott zurückgezogen im Gebet zu dienen? Pius XII. legt dar: „Allein gerade in dieser Abgeschiedenheit wird Nikolaus zum großen Segen für sein Volk. Mehr und mehr kommen sie von nah und fern zu ihm, um sich seinem Gebet zu empfehlen, an seinem Beispiel aufzurichten, von ihm Trost und Rat zu erholen. Bischöfe und Grafen, Beauftragte in Sachen der Eidgenossenschaft wie Gesandte auswärtiger Städte und Mächte suchen bei ihm Antwort, Weisung oder Vermittlung in Fragen des öffentlichen Wohls, des inneren und äußeren Friedens.“ In der Schweiz drohte ein Bürgerkrieg, aber Nikolaus von Flüe wusste, „auf das Wohl des Ganzen schauend“, durch klugen Rat, die Wirkung seiner Persönlichkeit
und mit Gottes Hilfe zum „Retter des Vaterlandes“ zu werden. Drei Charakterzüge des Heiligen hebt Pius XII. hervor: seine Selbstbeherrschung, seine Gottesfurcht und sein Leben im Gebet. Bei ihm sei stets der Geist „Herr über den Leib“: „Durch sein überaus strenges Leben in der Klause gehört er zu den großen Büßergestalten der katholischen Kirche, und wenn er in jenen zwanzig Jahren sich ausschließlich vom Brot der Engel nährte, so war dieses
Charisma die Vollendung und der Lohn eines langen Lebens der Selbstbeherrschung und Abtötung aus Liebe zu Christus.“ An die Pilger aus dem Jahr 1947 gerichtet legt Pius XII. dar: „Versteht ihr die Mahnung, die der Heilige durch sein Beispiel an unsere Zeit richtet? Ein wahrhaft christliches Leben ist undenkbar ohne Selbstbeherrschung und Entsagung; aber auch Volksgesundheit und Volkskraft können ihrer auf die Dauer nicht entbehren. In der Strenge der christlichen Lebensordnung liegen zugleich unersetzliche soziale Werte. Sie ist das wirksamste Gegengift gegen die Sittenverderbnis in allen ihren Erscheinungen.“ So dürfen auch wir heute die Selbstbeherrschung – in Dankbarkeit und Heiterkeit eingeübt – als treffliches Mittel gegen die hedonistischen Verirrungen, gegen den Hochmut säkularer Lustbarkeiten und natürlich auch gegen die Abkehr der Kirchenprovinz Deutschland von der zutiefst menschenfreundlichen römisch-katholischen Sexualmoral sehen. Wenn etwa Bischöfe heute meinen, die Lehre der Kirche nach säkularen Vorgaben und soziologischen Theorien abändern zu wollen, dann sind die einfach gläubigen Katholiken gerufen, mutig im Vertrauen auf Gott ein „einfaches und beherrschtes Leben“ zu führen, in freudvoller Keuschheit und wahrer Tugendliebe. Pius XII. mahnt eindringlich: „Aufstieg und Niedergang der Völker entscheiden sich danach, ob ihr Eheleben und ihre öffentliche Sittlichkeit sich auf der Normallinie der Gottesgebote halten oder unter sie hinuntergleiten. Klingt nicht auch diese Feststellung wie ein Notruf in unsere Zeit hinein? Die Zahl der guten Christen ist heute nicht gering, die der Helden und Heiligen in der Kirche vielleicht größer als zuvor. Aber die öffentlichen Verhältnisse sind weithin zerrüttet. Und das ist die Aufgabe der Kinder der Kirche, aller guten Christen, sich dieser Abwärtsbewegung entgegenzustemmen und durch Bekenntnis wie Tat, im Beruf wie in der Handhabung der Bürgerrechte, in Handel und Wandel des täglichen Daseins dem Gebot Gottes und Gesetz Christi wieder den Weg in alle Bereiche des menschlichen Lebens zu bahnen.“
Vor allem stellt Pius XII. Nikolaus von Flüe als einen „Mann des Gebetes“ vor, der ein „Leben aus dem Glauben“ geführt hat. Er nennt ihn einen „Titanen des Gebetes“ und erkennt auch in der kontemplativen Lebensweise einen Weg für die Gläubigen in der Gegenwart: „Die Kurve der Zerrüttung des öffentlichen Lebens geht parallel mit der Kurve seiner Säkularisierung, seiner Loslösung vom Gottesglauben und Gottesdienst. Solcher Verweltlichung können aber — Land für Land und Volk für Volk — Einhalt tun nur Menschen und Gemeinschaften, die glauben und beten.“ Die Schweizer seien stolz auf ihre Freiheit. Die „irdische Freiheit“ könne aber nur dann zum Guten führen, „wenn sie aufgeht in einer höheren Freiheit, wenn ihr frei seid in Gott, frei euch selbst gegenüber, wenn ihr die Seele frei und offen bewahrt für das Einströmen der Liebe und Gnade Jesu Christi, des Ewigen Lebens, das Er selber ist“. Heilige wie Nikolaus von Flüe, die den „Einklang von irdischer und himmlischer Freiheit“ verknüpften, können uns heute Vorbild und Beispiel sein. Wir dürfen dankbar sein für unsere Wegbegleiter im Himmel – und sie zeigen uns auch, dass wir, durch Zeugnis und Beispiel, im Gebet verbunden, durch die unverbrüchliche Treue zu Christus und Seiner Kirche inmitten der „Diktatur des Relativismus“ (Benedikt XVI.), der neuheidnischen Konfusion und dem vorherrschenden Säkularismus in unserer Zeit, den Weg der Heiligkeit suchen und gläubig beschreiten.