Pater Ludger Grün hat viele Bücher über die Ehe geschrieben und hält regelmäßig Exerzitien über das Ehesakrament. Für den Cathwalk hat er ein Interview mit der „Kirchlichen Umschau“ bereitgestellt.
Kirchliche Umschau: Lieber Herr Pater Ludger Grün, wir kennen uns seit vielen Jahren und nehmen grossen Anteil an Ihrer Hirtensorge um uns katholische Ehepaare, uns Familienmütter und Familienväter. Kürzlich haben Sie Ihr zweites Ehebuch „Ehen im Gewitter“ vorgelegt.
Sie haben sogar Ihren eigenen YouTube-Kanal eingerichtet, der Video-Aufzeichnungen Ihrer Vorträge für jeden leicht zugänglich macht. In diesem Interview möchten wir mehr über Ihre priesterlichen Bemühungen in der Beratung von Eheleuten erfahren.
Vielleicht beginnen wir mit Ihrer Motivation. Was hat Sie eigentlich als erfahrener Seelsorger ganz persönlich auf den Gedanken gebracht, sich so spezifisch der Ehepastoral zu widmen?
Pater Ludger Grün: Im Jahr 2002 erhielt ich von meinen kirchlichen Vorgesetzten die Verantwortung für die „Katholische Familienbewegung“, die in der Schweiz tätig ist, übertragen. Bald kam es mir seltsam vor, dass das Thema „Ehe als Sakrament“ in meinen Vorträgen nie vorkam und auch niemand danach fragte. Stellen Sie sich vor, ein Priester hätte zwar ein gutes Gebetsleben, aber wäre unsicher, was das Sakrament der Priesterweihe seinem Leben gibt und wie er sich darauf stützen kann! In ähnlicher Weise fand ich, dass die Ehe als Sakrament zwar sehr geschätzt wurde, aber kaum ein Ehepaar davon sprach, wie sehr das Sakrament ihnen hilft. Also begann ich, mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Daraus entstand der Wunsch, dieses herrliche Sakrament gut zu erklären und eine praktische Anleitung zu geben, wie die Eheleute ihre gegenseitige Liebe jeden Tag erneuern können. Denn es ist gerade dieses Sakrament, das den Herzen eine wirklich erstaunliche gegenseitige Liebe eingiesst. Aus den Vorträgen ist mein erstes Buch entstanden: „Der Wein von Kana“. Es ist eine grundsätzliche Anleitung, das Ehesakrament als Basis für das eigene Leben der Ehe zu nehmen.
Kirchliche Umschau: Die Heilige Schrift beginnt mit der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau und schliesst mit der „Hochzeit des Lammes“. Was sagt dies über die Natur und Bestimmung der Ehe?
Pater Ludger Grün: Alles Unglück der Menschheit nahm seinen Anfang bei dem ersten Ehepaar. Es versuchte, ohne Gott glücklich zu sein. Der Teufel flösste ihnen ein, Gott gönne ihnen nicht wirklich das Glück. Mit diesem Misstrauen hat der Mensch seither zu kämpfen. Am Ende der Geschichte steht wiederum ein Ehepaar, das aber das ewige Glück für alle Menschen bringt, die sich zur ewigen Hochzeit vorbereitet haben. Weil Jesus die Menschen zu seiner Hochzeit einlädt, hat Jesus sein erstes Wunder im Rahmen einer Hochzeit, ja für ein normales Ehepaar gewirkt. Darin liegt eine Absichtserklärung, eine Zielbestimmung, und sie gilt für jede christliche Ehe. Seither gilt das Eheleben als Vorbereitung auf die ewige Hochzeit, wobei dem Ehepaar schon dieselbe Liebe ins Herz gegeben wird, die in der Ewigkeit gefeiert werden wird. Wer seine Ehe vernachlässigt, vernachlässigt die eigene Vorbereitung auf die Ewigkeit. So wie es keine Gottesliebe gibt, wenn die Nächstenliebe fehlt, kann man sich auch nicht auf die Hochzeit des Sohnes Gottes vorbereiten, wenn man das bräutliche Leben von Christus und der Kirche in der persönlichen Ehe nicht schätzt und verherrlicht.
Kirchliche Umschau: Der Erlöser selbst hat die paradiesische Würde der Ehe nach dem Sündenfall nicht nur er-neuert, sondern zum Sakrament erhoben. Worin liegt die Bedeutung gerade dieses Sakraments?
Pater Ludger Grün: Jesus sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige.“ Das hat eine besondere Be-deutung für die Eheleute in Christus: Ihre Ehe wird zu einem lebendigen Zweig des Brautpaares Christus-Kirche. Aus dieser Tatsache ergeben sich viele herrliche Folgerungen. Es geht um das gemeinsame Leben mit dem Brautpaar Christus-Kirche. Was in diesem Brautpaar lebt, lebt auch zwischen den christlichen Ehegatten. Denn ein Zweig lebt immer das Leben des Stammes mit, es sei denn, er ist ein toter Zweig, der bald abbricht.
Kirchliche Umschau: Können Sie das näher erläutern?
Pater Ludger Grün: Vielleicht ist der Hinweis auf das Brautpaar Christus-Kirche überraschend. Aber der Gedanke an die ewige Hochzeitsfeier im Himmel führt uns da weiter. In der Ewigkeit werden wir ja die Hochzeit zwischen Christus und der Kirche feiern. Bei dieser Hochzeit wird Gott jede Träne abwischen, er wird seine unfassbare Allmacht erweisen, mit der er ohne Grenze alle Leiden und Verfolgungen Christi und der Kirche belohnt. Vor allem wird das gemeinsame Leben von Christus und der Kirche in blitzhafter Helligkeit aufleuchten, ihre gegenseitige Liebe bis in den Tod, ihr Leben als Haupt und Leib, ihre unfassbare Liebe zu den Kindern Gottes und ihre innigste Gemeinschaft mit der Heiligsten Dreifaltigkeit in Anbetung, Opfer und Gebet. Diese vier Bereiche werden sicher in alle Ewigkeit gefeiert werden, und genau in diesen vier Punkten nimmt der Zweig der christlichen Ehe schon jetzt am Leben des Weinstocks Christus-Kirche tiefen Anteil. Um es noch einmal zu betonen: Der Zweig lebt das Leben des Baumes mit.
Kirchliche Umschau: Aber sieht die alltägliche Realität nicht anders aus?
Pater Ludger Grün: Gut, dass Sie das ansprechen! Es gibt viele Ehen, die sozusagen am Boden liegen. Man bleibt noch zusammen, aber die eigentliche Beziehung ist entweder eingeschlafen oder ganz abgestorben. Das hat sich so im Lauf der Zeit ergeben, wobei doch alles mit dem besten Willen und echter Begeisterung angefangen hat. Viele haben den Eindruck, in eine Falle geraten zu sein. Der Grund liegt vielfach in einer Ansteckung durch weltlichen Pessimismus, der den Niedergang der Liebe in der Ehe für unausweichlich hält. Damit geht einher, dass man es für selbstverständlich hält, dass die Gatten mit ihren Problemen allein fertig werden müssten. Es kommt dann zu einer Trennung von Ehe und Religion. Wenn auch die Religion noch weiter ernst genommen wird, gilt im Bereich der Ehe der Grundsatz, dass Gott kein Interesse an der Beziehung habe und die Ehepartner deshalb mit rein natürlichen Wegen und Mitteln zurechtkommen müssten. Dementsprechend vergisst man, dass beide Ehepartner nur Menschen sind, die in ihrem Versagen ein mitfühlendes, barmherziges Herz brauchen, das sieben Mal siebzig Mal verzeiht. Man verzichtet auf die Barmherzigkeit und liest tausend Bücher mit 1001 Tips für eine glückliche Ehe, bis man auch die resigniert beiseitelegt.
Kirchliche Umschau: Was kann helfen?
Pater Ludger Grün: Alles wird ganz anders, wenn man aus dem Sakrament der Ehe lebt. Dort ist es die tägliche Aufgabe, das umzusetzen, was wir oben genannt haben: Das gemeinsame Leben im Sakrament mit Christus und der Kirche. Das bedeutet, dass die Liebe, die Wertschätzung, die Freundlichkeit, Wärme und Aufmerksamkeit, die zwischen Christus und der Kirche lebt, und vor allem ihre Barmherzigkeit in den Herzen der Ehepartner wohnt und lebt. Wir haben es also hier mit zwei ganz verschiedenen Wegen zu tun. Der eine Weg rein natürlichen Verhaltens führt leicht zum Scheitern, weil er zu viel von den Ehepartnern fordert und erwartet. Er wird der menschlichen Schwachheit und Begrenztheit nicht gerecht. Der andere Weg ist die Abhängigkeit von der Liebe Christi und der Kirche. Ein Zweig ist ja buchstäblich abhängig vom Baum und lebt aus der Kraft des Baumes. Hier findet man das Vergessen der früheren Fehler, die immer neue Chance und eine immer neue und blühende Liebe.
Kirchliche Umschau: Manche sprechen von der Beichte als dem „verlorenen Sakrament“. Ist nicht das „verlorene Ehesakrament“ als ein Heilsmittel der Grund für so viel Verwirrung im Geschlechtlichen?
Pater Ludger Grün: Es gibt mehrere Gründe für das „verlorene Ehesakrament“. Vielen ist tatsächlich unbekannt, wie viele Hilfen und Aussichten das Ehesakrament gibt. Ein Grund liegt darin, dass die Kirche immer wieder gegen Ehescheidung, Verhütung und andere äussere Angriffe kämpfen musste. Da ist mancherorts die Entfaltung der Sakramentsgnaden zu kurz gekommen Ein anderer Grund liegt in der privaten Natur vieler Eheprobleme. Von aussen bekommt man kaum mit, worunter Ehepartner leiden, und das ist sicher kein Thema für die Predigt, sondern für die Seelsorge. Hier aber galt es, grössten Respekt vor dem privaten Bereich der Ehe zu bewahren. Wenn Probleme besprochen wurden, geschah das meist im Beichtstuhl, wo dann leider der Fokus nur auf dem lag, was erlaubt oder verboten wäre. Aus diesen Umständen folgerten viele Seelsorger, dass das Ehesakrament viel Zurückhaltung erfordere, und deshalb sprachen sie wenig darüber. Hier liegt aber eine Verwechslung vor.
Kirchliche Umschau: Wo setzt Ihre Ehepastoral an?
Pater Ludger Grün: Man kann durchaus über das Ehesakrament predigen, unterrichten und Vorträge halten, ohne private Probleme zu berühren. Das Sakrament ist ja eben nicht zur Problemlösung da. Es ist viel positiver, es schenkt die Lebensgemeinschaft mit dem Brautpaar Christus-Kirche. Darüber lässt sich viel Ermutigendes sagen, ohne dass irgendwie peinliche Fragen berührt würden. Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung in der Verkündigung mag der atmosphärisch verbreitete, weltliche Pessimismus sein, der leider auch katholische Kreise infiziert hat. Ich erinnere mich noch an die Primiz eines Neupriesters, bei der die Mutter im Anschluss sagte: „Am besten ist ja, man heiratet gar nicht.“ Da mag ja etwas dran sein, aber wo kam denn der Neupriester her, doch wohl aus einer guten Ehe!
Kirchliche Umschau: Woher kommt diese Haltung?
Pater Ludger Grün: Es gibt noch einen weiteren Grund für das „verlorene Sakrament“. Er hängt mit der Trennung von Ehe und Religion zusammen, die wir schon angesprochen haben. In vielen Ehen dieser Art gibt es eine ganz weltliche Weise, die Ehe zu führen. Das hat auch Auswirkungen auf das eheliche Zusammenkommen, das nach Manier der Welt dann leicht ohne Würde und Respekt vor dem Ehegatten geschieht. Daraus folgt dann schnell der Eindruck, dass das ja wohl mit der Religion und Gott nicht zu vereinbaren sei. Die Eheleute ziehen daraus den Schluss, dass ihre Ehe nicht zu Gott passe, was in einem Teufelskreis dann wieder die Trennung von Religion und Ehe vermehrt. Dies verschärft sich noch, wenn man nach Art der Welt in dem Genuss das höchste Ziel sieht. Hier wird der Mensch nicht mehr nach seinem personalen Wert gemessen, sondern an der Qualität eines Erlebnisses. Er wird so zum Gegenstand degradiert und kommt sich benutzt vor. Andererseits gibt es Menschen, die über die Grösse der Leidenschaft verwirrt sind, auch wenn sonst alles in Ordnung ist. Auch sie schliessen daraus, dass sich ihre Ehe vor Gott verbergen müsse. Hier kann man aber mit dem hl. Thomas beruhigen, dass nicht die Grösse eines Gefühls über gut und schlecht entscheidet. Es kommt nur darauf an, ob das Gefühl bzw. die Leidenschaft einem vor Gott guten Ziel dient, wie Nachkommenschaft oder Stärkung der gegenseitigen Liebe oder Hilfe in Zeiten von Versuchungen.
Kirchliche Umschau: Wenn das Ehesakrament den Lebensstrom zwischen Christus, dem Weinstock, und den Gatten, den Reben, herstellt, welche Bedeutung besitzt dann ihr Eheleben für das Werk Gottes?
Pater Ludger Grün: Was ist denn das Werk Gottes? Es besteht hier auf Erden in der Vorbereitung der Ewigkeit, also in der Vorbereitung auf die Hochzeit des Lammes Gottes. Dazu sollen die Menschen vorbereitet werden, und das geschieht, indem schon das Leben des himmlischen Brautpaares selbst in der heutigen Welt aufleuchtet und präsent wird. Genau das ist der Sinn des Priestertums und in anderer Weise der Sinn der Ehe. „Ihr seid das Licht der Welt“, sagt Jesus. Die Aufgabe der Eheleute ist es also, dass ihre Ehe zu einer Art Leuchtturm wird im Chaos der heutigen Welt. An der Ehe sollen die Menschen das Licht haben, das sie zur ewigen Hochzeit führt. Dieses Licht soll in jedem Haus, in jeder Familie, in jeder Gemeinde und in der Welt leuchten. Das führt uns zu dem Gedanken, dass der Einsatz (nicht der Erfolg!) für die eigene Ehe ein Prüfstein, eine Nagelprobe wird für die Frage, ob und wie weit jemand wirklich religiös ist.
Kirchliche Umschau: Aber was sagen Sie denn all den Paaren, die in der Ehe nicht mehr weiterwissen, deren Herzen so ermüdet, erschöpft, entmutigt, resigniert sind wegen all der Jahre, in denen sie in und an ihrer Ehe gelitten haben?
Pater Ludger Grün: Hier gibt es eine doppelte Antwort: Zunächst einmal muss man einerseits ganz ehrlich festhalten, dass viele Eheleute wirklich ermüdet und entmutigt sind. Andererseits ist ja das ganze Evangelium eine Botschaft, dass wir einen Erlöser haben, einen Vater, der uns entgegenläuft und in die Arme nimmt, sobald wir nur die ersten Schritte nach Hause gemacht haben. Der verlorene Sohn hatte all sein Vermögen in der Fremde verloren und stand nun arm da auf fremdem Boden. Die einzige Rettung war das Vertrauen auf den Vater, der ihn wiederaufnimmt und aufrichtet. Die Eheleute müssen lernen, dass Gott auch in der Ehe eine Bekehrung erwartet und anbietet. In dem Moment, wo sie beginnen, wird jeder Einsatz für die Ehe ein Dienst an dem Brautpaar, das in der Ewigkeit von Gott verherrlicht werden wird. Was der Mann für seine Frau tut, schenkt er der ganzen Kirche. Wenn er seine Frau vernachlässigt, vernachlässigt er die Kirche, die Braut des Sohnes Gottes. Was die Frau für ihren Mann tut, tut sie für Jesus selbst. Jede Freude also, die die Ehepartner einander machen, jeder Dienst, jede kleine Aufmerksamkeit, jedes Sich-Zeit-Nehmen und Zuhören wird zu einem Dienst an dem Brautpaar, das den Eheleuten seine eigene Liebe in die Herzen giesst. Der Zweig lebt eben das Leben des Baumes mit.
Kirchliche Umschau: Welche Belastungen sehen Sie?
Pater Ludger Grün: Natürlich müssen wir darauf eingehen, dass manche Eheleute erschöpft, ratlos und entmutigt sind. Die Belastungen der Ehepaare sind riesig gross. Abgesehen davon, dass sie oft nicht wissen, wie es weitergehen soll, fehlt ihnen vielfach die Unterstützung, die sie von mehreren Seiten haben sollten. Die Gesellschaft, die die Ehen fördern und unterstützen müsste, lässt sie allein, ja lebt in vielen Punkten ehefeindlich. Damit sind nicht die Steuerabzüge gemeint, sondern die öffentliche Meinung und Politik, die christliche Ehepaare im Regen stehen lässt. Dazu kommt noch die fehlende Unterstützung durch die Pfarrei, bedingt durch die heutige Kirchenkrise. Statt von der Pfarrgemeinde getragen zu sein, werden viele Eltern zu Nomaden, die für sich und ihre Kinder eine geistliche Heimat finden müssen. Auch die Familie, also die Verwandtschaft, hilft oft nicht, sondern schüttelt über das christliche Ehepaar den Kopf. Auch hier fehlt die Unterstützung. Abgesehen von diesen äusseren Faktoren sind die Ehen durch Verschiedenheit der Mentalitäten, durch tägliche Sorgen, durch Schwierigkeiten in der Erziehung der Kinder, durch Geldfragen in Anspruch genommen Dazu kommen noch Prüfungen durch Kreuze oder Krankheiten. Alles in allem eine schwere Belastung. Daher kann man den Eheleuten nicht noch mehr aufladen.
Kirchliche Umschau: Worum geht es also?
Pater Ludger Grün: Es geht vielmehr darum, ihnen Mut zu machen, und in diesem Sinn sollen sie durch den Hinweis auf das Sakrament ermutigt und getröstet werden. Es geht darum, nicht eine neue Last und Aufgabe aufzuerlegen, sondern auf die gewaltige Hilfe hinzuweisen, die sie durch das richtige Leben des Ehesakraments erhalten. Auch das Ehepaar in Kana war vor dem Wunder Jesu am Ende, bevor Jesus flirren den herrlichen Wein schenkte, mit dem sie ihre Hochzeit froh und erleichtert weiterfeiern durften. Dieses Wunder von Kana zeigt, wie Ehen beschenkt werden, die aus dem Sakrament heraus geführt werden.
Kirchliche Umschau: Was ergibt sich daraus?
Pater Ludger Grün: Die Frage von Entmutigung oder Ermutigung war der Grund, warum ich das zweite, neue Buch geschrieben habe, „Ehen im Gewitter“. Im Lauf meiner wiederkehrenden, aber mit neuen Themen gefüllten Vorträge hatte ich bemerkt, dass da und dort Ehepaare nicht mehr teilnahmen. Der Grund lag anscheinend darin, dass sie keinen Mut mehr fanden, nach 20 oder 30 Ehejahren noch einmal neu zu beginnen. Sie brauchten einen besonderen Ansporn, damit sie verstanden, welche Hilfe Gott ihnen gibt, was eine stagnierte und resignierte Ehe vor Gott und den Kindern bedeutet und dass Gott auf ihre Bekehrung wartet. Das Buch ist aber auch für alle Ehepaare geschrieben, auch solche, die gar nicht erst in die Erstarrung geraten wollen.
Kirchliche Umschau: Wie dient die sakramentale Ehe dem letzten Ziel des Menschen, „Gott unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten“, wie Ignatius sagt?
Pater Ludger Grün: Jeder muss Gott dort dienen, wo er lebt. Das Sakrament gibt den Eheleuten das Licht, das heisst die Ideen und Einsichten, und die Kraft, die Ehe so zu führen, dass sie dem Brautpaar Christus-Kirche immer ähnlicher werden. Genau dadurch und nicht anderswo sollen sie „Gott unseren Herrn loben, Ihn verehren und Ihm dienen, und so ihre Seele retten“. Je mehr sie das tun, umso tiefer werden sie an der Hochzeitsfeier in der Ewigkeit teilnehmen dürfen. Machen sie das aber nicht, gleichen sie dem Mann, der versucht, ohne Festgewand an der Hochzeit des Königs teilzunehmen (Mt 22). Das nimmt ein schreckliches Ende.
Kirchliche Umschau: In welchen Bereichen erwartet Gott konkrete Früchte von der persönlichen Frömmigkeit der Eheleute, ihrer gegenseitigen Liebe und ihrer gemeinsamen Anstrengung?
Pater Ludger Grün: Gott erwartet die Frucht einer immer mehr zunehmenden Ähnlichkeit mit dem himmlischen Brautpaar. Der Zweig muss eben zum Baum passen. Wir alle würden es für einen Witz halten, wenn an einem Weinstock Bananen wüchsen. Das gibt es eigentlich gar nicht. Und doch kommt dies bei christlichen Ehen vor, die „irgendwie“ zusammenleben, ohne zu Christus und der Kirche zu passen.
Kirchliche Umschau: Warum ist heute verheiraten Katholiken, auch wenn sie aus der kirchlichen Tradition leben möchten, die übernatürliche Dimension ihres Lebensstandes meist so wenig bewusst?
Pater Ludger Grün: Das liegt meist nicht in der Verantwortung der Eheleute. Man kann es ihnen nicht verübeln, wenn sie sich nach 20 Jahren nicht mehr an das erinnern können, was sie in der Ehevorbereitung gehört haben. Sie haben das nicht mehr im Gedächtnis, und die täglichen Sorgen und Zerstreuungen führen zu starker Ablenkung. Umso mehr muss man ihnen heute helfen, da gerade die christliche Ehe unter einem Generalangriff steht. Sonst sind sie in Gefahr, eine im Grunde weltliche Ehe zu führen und dieses „Modell“ der Ehe ihren Kindern weiterzugeben. Das führt dann zu ähnlich enttäuschten oder reduzierten Ehen in der nächsten Generation. So werden christliche Eltern zu Predigern des weltlichen Pessimismus über die Ehe. Die „Welt“ als Welt ohne Glauben betrachtet die Ehe als Einrichtung, die zum grossen Teil unglücklich macht und daher ein grosses Wagnis darstellt.
Kirchliche Umschau: Gibt es unabhängig von besonderen Umständen generelle Fehlhaltungen, die wie Asche das Feuer ehelicher Liebe zu ersticken drohen? Was stünde am Ende, wenn es so weiterginge?
Pater Ludger Grün: Da ist sicher an erster Stelle der Egoismus zu nennen, der den Tod der Liebe bedeutet und daher ständig überwunden werden muss. An zweiter Stelle steht der oben genannte weltliche Pessimismus, der eine zersetzende und lähmende Wirkung hat und in vielen Ehen grossen Einfluss ausübt. Danach kommt die leichtfertige Einstellung, dass eine Ehe keine täglichen Zeichen der Liebe und Zuneigung bräuchte. Eine Ehe, ohne einmal den Arm um die Schulter zu legen, ohne liebevolle Blicke, ohne Aufmerksamkeiten, ohne einmal dem anderen über das Gesicht zu streichen, ist eine Ehe in grosser Gefahr. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie würden ihren Nachbarn nie mehr grüssen und dabei behaupten, Sie seien der beste Freund des Nachbarn. Oder denken Sie an einen Musiker, der sein Instrument nie spielt, weil ja klar ist, dass er die Musik über alles liebt. Denken Sie an Verlobte, die keinen Wert darauf legen, Zeit miteinander zu verbringen.
Kirchliche Umschau: Und in der Ehe?
Pater Ludger Grün: Das alles sind absurde Beispiele, aber genauso absurd ist es, in der Ehe die Zeichen der Zuneigung und Zärtlichkeit zu unterlassen. Das sind durchaus nicht sinnliche Dinge, die aber einen entscheidenden Einfluss haben. Eine Frau sagte mir: „Wir brauchen diese Dinge wie das tägliche Brot!“ Und doch ist es in vielen Ehen nach mehreren Jahren vergessen worden. Aber wie sollen zum Beispiel die Kinder eine Ahnung haben, wie sehr Christus und die Kirche einander lieben, wenn die Eltern den ganzen Tag wie im Büro aneinander vorbeilaufen? Es geht aber nicht nur um die Kinder. Wie soll man an die Liebe glauben, wenn sie nie zum Ausdruck kommt? Dieses Fehlen der Zeichen der Liebe hat eine ganz schlimme Konsequenz: Wenn man den ganzen Tag über die Liebe nur denken soll, wie soll dann die Liebe glaubhaft sein, wenn es um die Ganzhingabe geht? Es tut sich dann ein gewaltiger Graben zwischen dem Leben und der ehelichen Hingabe auf, was notwendig zu dem Eindruck führt, man werde benutzt. Dieser Eindruck, nur benutzt zu werden, ist aber der Tod der Liebe. Die Ehe wird sich von da an rapide verschlechtern. Darum ist das Fehlen der täglichen Zeichen der Liebe der allergrösste Schaden für eine Ehe.
Kirchliche Umschau: Wenn die katholische Ehe die Liebe zwischen Christus und seiner Kirche in die Herzen der Gatten eingiesst, nehmen sie dann an der heutigen Passion der Kirche besonders teil?
Pater Ludger Grün: Sicher im Rahmen ihrer täglichen Kreuze und Opfer. Die Eheleute leisten schon sehr viel, und da muss man sie nicht noch zu „Sühneseelen“ hochstilisieren. Aber Tatsache ist, dass sie genau wie die Kirche unter vielen gesellschaftlichen Angriffen und Strömungen sehr zu leiden haben. Nur soll man bitte nicht vergessen, dass das Kreuz ja selbst unerhörten Segen und erstaunliche Kraft über die Ehe bringt. Es erfolgt heute sicher ein Generalangriff auf die Ehe und damit auf Christus und die Kirche. Wenn der Baum angegriffen wird, leiden auch die Zweige. Trotz allem lässt Gott das Böse nur deshalb zu, weil er es am Ende zu einem viel grösseren Guten führen wird. Gott schläft nicht, er hat keine Launen, er hat alles in der Hand und führt es so, dass es zum Besten seiner Freunde und Kinder gereicht.
Kirchliche Umschau: Was gefährdet heute die katholischen Ehen von innen heraus, nicht nur generell durch den „Zeitgeist“, sondern ganz konkret im Alltag des modernen Lebens?
Pater Ludger Grün: Das moderne Leben bringt eine grosse Unruhe und Instabilität mit sich. Das ist das Gegenteil von Vertrauen und Treue, die in der Ehe und Familie so wichtig sind. Deshalb braucht es einen Widerstand gegen diese Unruhe und den Lärm der Welt. Ich kenne Familien, bei denen an der Haustür ein kleiner Korb steht. Dahinein legen sie ihre Handys, wenn sie nach Hause kommen Weitere Kanäle der Unruhe sind der Computer und das Fernsehen. Die Leute sind so über alles informiert, nur nicht mehr über das Herz der Kinder oder der Ehefrau und des Ehemannes. Was würden Sie sagen, wenn jeden Tag eine fremde Person in Ihrem Wohnzimmer stünde und für drei Stunden pausenlos redete? Das würden Sie keinen Tag dulden. Der Computer kann ein „Ehekiller“ sein, wenn der Mann zum dritten Mal ein Programm neu installiert oder die Frau durch irgendwelche religiösen Internetseiten ihre Kinder vergisst. Man macht sich keine Gedanken mehr darüber, wieviel Zeit der Frau und dem Mann, den Kindern hier gestohlen wird. Wer nicht mehr atmet, der stirbt. Wer ganz von Internet, WhatsApp, Twitter, Instagram und Nachrichten verschlungen ist, nimmt der Familie den notwendigen Atem.
Kirchliche Umschau: Nicht wenigen Lesern der Kirchlichen Umschau sind Sie durch Ihre Eheseminare bekannt. Wie lässt dieses „Format“ die übernatürliche Kraft des Ehesakraments zur Heiligung der Familien wiedererwachen?
Pater Ludger Grün: Die erste Wirkung ist sicher eine grosse Erleichterung. Wie oft habe ich nach den Sakramentsvorträgen froh leuchtende Augen gesehen, und das in vielen Ländern. Hier gibt es eine grosse Chance für die Ehen. Für viele ist es ein völlig neuer Gedanke, dass ihre Ehe nicht dazu verurteilt ist, immer kälter und eintöniger zu werden, sondern dass Gott will, dass die Beziehung in der Ehe blüht. Dies ist besonders zu bemerken, wenn man erklärt, warum Jesus bei der Hochzeit von Kana einen guten Wein geschenkt hat, von grosser Menge, unbekannter Herkunft und höchster Qualität. Dieser Wein steht für das Leben der Liebe, die das Ehesakrament in die Herzen der Ehegatten eingiesst. Man kann es mit einem Ereignis aus dem Leben der hl. Katharina von Siena vergleichen. Sie hatte den Auftrag von Gott, den Papst in Avignon zur Rückkehr nach Rom zu bewegen. Also musste sie, die Italienerin, Briefe auf Französisch verfassen, obwohl sie das nie gelernt hatte. Zeitzeugen berichten, dass Katharina auf einmal Französisch beherrschte. In ähnlicher Weise giesst Gott im Ehesakrament den Verheirateten etwas ein, das sie sonst nicht beherrschen, nämlich die Liebe selbst, die im Herzen Christi und im Herzen der Kirche lebt. Das ist wie das Französisch der hl. Katharina. In der Ehe dürfen die Gatten sich auf die Liebe stützen, die wie ein neuer Wein in ihre Herzen eingegossen wird. Das ist die Wirkung des Sakraments. Manche wundern sich darüber, dass sie gar nichts Neues fühlen. Aber was würden Sie von einem Priester halten, der mit dem Beginn des Gottesdienstes noch warten will, bis er seine priesterliche Vollmacht wieder fühlt? Bei meiner Priesterweihe am 4. Juli 1987 habe ich absolut nichts gespürt oder gefühlt. Trotzdem ist die Wirkung dieser Weihe jeden Tag lebendig.
Kirchliche Umschau: Als Lebenswirklichkeit droht die unauflösliche Ehe zu verschwinden. Können Ihre Seminare auch jungen Paaren Mut machen, sich auf diesen beglückenden Lebensstand einzulassen?
Pater Ludger Grün: Es ist nicht einfach, heute eine gute Ehe zu führen. Aber Gott hat uns in die Welt von heute gestellt, damit wir in dieser Umgebung und in dieser Zeit Zeugnis von seiner herrlichen Gnade und Hilfe ablegen. Jesus hat den Vater nicht gebeten, uns aus der Welt zu nehmen, sondern in der Welt zu bewahren. Trotz aller widrigen Umstände heute ist die Kraft der Sakramente und gerade auch des Ehesakraments keinen Deut kleiner geworden. Gott giesst auch heute noch das Leben des Brautpaares Christus-Kirche in die Herzen der Ehepaare. Der Baum, der Weinstock Christus-Kirche, ist der Augapfel Gottes. Wie sollte er da nicht besonders für die Zweige dieses Weinstocks sorgen und sie beschützen. Es gibt auch heute Ehen und Familien, wo man die Wirkung der Gnade fast mit Händen greifen kann. Und beobachten wir nicht heute bei vielen eine ganz besonders grosse Wertschätzung des Heiligen Messopfers, die grösser und tiefer ist als in der vielleicht doch nicht immer ganz so guten „guten alten Zeit“? Ebenso kann auch heute und gerade heute das Ehesakrament in ganz besonderer Weise seine erneuernde Kraft entfalten, wenn wir es wiederentdecken und zum Leuchten bringen.
Kirchliche Umschau: Sie halten Ihre Eheseminare buchstäblich „in aller Welt“, in verschiedensten Ländern und Kontinenten. Welche Erfahrungen und Beobachtungen machen Sie in anderen Kulturkreisen? Welche Konstanten sehen Sie?
Pater Ludger Grün: Die Reisen in viele Länder waren ein grosses Erlebnis für mich. Es war eine grosse Freude, an diesen verschiedenen Plätzen gläubige Ehepaare zu treffen, die ihr Bestes geben. Neben manch einem Gläubigen kam ich mir richtig klein vor. Wenn man ihnen dann dieses herrliche Sakrament von neuem erklärt und sie wieder eine Ahnung bekommen, was Gott ihnen schenkt, sieht man viele frohe Augen. Ein kirchlicher Oberer sprach von einer „fast wilden Begeisterung“ für das Ehesakrament in seinem Sprengel. Da ist dann nichts mehr von einem weltlichen Pessimismus zu spüren. Es zeigt sich hier ein vielversprechender Neuanfang und echte Bekehrungen. Das ist wunderbar in einer Zeit, wo, wie gesagt, ein Generalangriff auf die Ehe stattfindet.
Kirchliche Umschau: Welche Wege zur Erneuerung der „ersten Gattenliebe“ kann die übernatürliche Kraft des Ehesakraments im Verein mit den anderen Sakramenten gerade im Alltag freilegen?
Pater Ludger Grün: Es braucht nicht so viel, um dieses Sakrament gut zu leben: Oft an die Liebe Christi und der ganzen Kirche zueinander denken, fest an das hl. Sakrament glauben, die von Gott geschenkte Liebe wirklich dem Partner weitergeben in Barmherzigkeit und vielen Zeichen der Liebe, so als Haupt und Leib leben, wie das göttliche Brautpaar es tut, für die eigenen Kinder sorgen wie für die Kinder Gottes und das ganze Ehe- und Familienleben in Gebet und Messe mit dem Opfer Christi vereinen.
Kirchliche Umschau: Welche Bedeutung haben gelegentliche Exerzitien, etwa nach dem Vorbild des heiligen Ignatius, für die Erneuerung des Ehe-und Familienlebens als Keimzelle der Gesellschaft?
Pater Ludger Grün: Die Exerzitien des hl. Ignatius haben schon extrem viel Gutes gewirkt, und ich kann sie wirklich empfehlen. Für den Bereich der Ehe möchte ich aber auch auf die Eheexerzitien hinweisen, die ich z.B. im deutschen Exerzitienhaus Porta Coeli zweimal jährlich halte. In diesen Exerzitien kann man in aller Ruhe betrachten und verinnerlichen, was für ein wunderbares Sakrament die Ehe ist. Gleichzeitig findet man die Schwachstellen, wo man die eigene Ehe noch verbessern kann. Ein ganz konkretes Beispiel: Ein Ehepaar war 25 Jahre verheiratet und nahm an den Eheexerzitien teil. Aber am Mittwochmorgen sagte sie zu ihm: „Komm, wir fahren nach Hause, es hat ja alles keinen Zweck.“ Aber sie blieben da. Am Freitagmorgen schaute ich aus dem Fenster und sah sie draussen Hand in Hand spazieren gehen.
Kirchliche Umschau: Haben Sie herzlichen Dank! Was sollen katholische Ehepaare jetzt tun?
Pater Ludger Grün: Hoffentlich sehe ich viele Ehepaare bald wieder oder zum ersten Mal bei einem meiner Seminare oder Exerzitien. Vielleicht haben Sie ja auch Interesse an meinen Büchern oder schauen sich den einen oder anderen meiner Vorträge im Internet an.
Kirchliche Umschau: Danke für das Gespräch!
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