Glaube und Vernunft, das ist das Thema Benedikts XVI. In seiner Rede im Bundestag am 22. September 2011 machte er sich auf der Basis der Vernunft für das Naturrecht stark, das er dem Rechtspositivismus gegenüberstellte. Die große Leistung des vorherigen Papstes ist es, möglichst objektiv über das Absolute, das heißt über Gott zu sprechen. Die Gedanken Benedikts kann man nicht einfach als „frommes Gefühl“ beiseitelegen. Sie richten sich an jeden Vernunftbegabten.
Genau auf dieser Ebene beschäftigt sich Benedikt XVI. mit dem Thema der Auferstehung. Für Benedikt XVI. folgt die Notwendigkeit der Auferstehung aus der Vernunft. Er führt das großartig in seiner Enzyklika „Spe salvi“ vom 20. November 2007 aus.
Benedikt konstatiert, dass die Hoffnung auf den Himmel in der Neuzeit immer heftigere Kritik auslöse, man sie als „pure[n] Individualismus abtue“. Vielmehr würde diese Hoffnung dazu führen, dass man die Welt ihrem Elend überlasse und sich ins private ewige Heil flüchte. Mit der Kritik an der Hoffnung auf den Himmel, der Hoffnung auf Auferstehung, ist aber ein Problem noch nicht gelöst: das Problem der Ungerechtigkeit. Karl Marx sah genau darin den Nutzen der Religion, sie sei „der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt“. An die Stelle der Religion wollte er das „wirkliche Glück“ setzen.
Wie soll das gehen? Historisch ist das „wirkliche Glück“ im Sinne des Marxismus immer gescheitert. Glück ist nicht einfach so herstellbar, genauso wenig wie Gerechtigkeit. Auch hier trifft Benedikt ins Schwarze: „Eine Welt, die sich selbst Gerechtigkeit schaffen muß, ist eine Welt ohne Hoffnung. Niemand und nichts antwortet auf das Leiden der Jahrhunderte. Niemand und nichts bürgt dafür, daß nicht weiter der Zynismus der Macht, unter welchen ideologischen Verbrämungen auch immer, die Welt beherrscht.“
Was aber ist nötig, damit es wahre Gerechtigkeit geben kann? Hier bezieht sich Benedikt auf den „religiös unmusikalischen“ Adorno: „Gerechtigkeit, wirkliche Gerechtigkeit [würde nach Adorno] eine Welt verlangen […] ‚in der nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich Vergangene widerrufen wäre‘.“ Das aber würde – in positiven und darum für ihn unangemessenen Symbolen ausgedrückt – heißen, daß Gerechtigkeit nicht sein kann ohne Auferweckung der Toten. Eine solche Aussicht bedingte jedoch „die Auferstehung des Fleisches“.
Die Auferstehung Christi ist eine Hoffnungsgeschichte, wie Benedikt betont: „Gott gibt es, und Gott weiß, Gerechtigkeit zu schaffen auf eine Weise, die wir nicht erdenken können und die wir doch im Glauben ahnen dürfen. Ja, es gibt die Auferstehung des Fleisches. Es gibt Gerechtigkeit. Es gibt den „Widerruf“ des vergangenen Leidens, die Gutmachung, die das Recht herstellt. Daher ist der Glaube an das Letzte Gericht zuallererst und zuallermeist Hoffnung – die Hoffnung, deren Notwendigkeit gerade im Streit der letzten Jahrhunderte deutlich geworden ist. Ich bin überzeugt, daß die Frage der Gerechtigkeit das eigentliche, jedenfalls das stärkste Argument für den Glauben an das ewige Leben ist.“
Dieser Glaube ist nicht bloß eine fromme Sache, sondern prägend für unsere Kultur. Und hier schließt sich der Kreis. Denn der Glaube fließt bis hinein in unser Recht, wie Benedikt in seiner Rede im Bundestag betont: Unser „kulturelles Erbe“ ist von der „Überzeugung eines Schöpfergottes“ geprägt. Von daher kommt „die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln.“
Die Kultur Europas ist, wie der Papst sagt, aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom entstanden. Und für dieses Erbe können wir dankbar sein.
Anmerkung: Der Artikel wurde zuerst in den „Akademischen Monatsblättern“ (Juni 2022 | 134. Jahrgang Nr. 5) veröffentlicht.