Samstag, 23. November 2024

Dignitatis humanae: Gibt es ein Recht, falsche Religionen zu verbreiten?

Es gibt ein Dokument  des II. Vatikanums, in dem die Fehler, ja die Manipulationen unbestreitbar sind. Nicht zufällig handelt es sich um die Erklärung der Religionsfreiheit in „Dignitatis humanae“. Der oben genannte jüdische Gelehrte Ehrlich sah die Zusammenhänge so: „Ihre eigentliche Abrundung erfährt die Erklärung über die nichtchristlichen Religionen durch das ‚Dekret über die Religionsfreiheit’. Ohne dieses Dokument bliebe etwa auch die Erklärung über die jüdische Religion ein nicht organisch eingebettetes Einzelstück. Erst das ‚Dekret über die Religionsfreiheit’ erhellt uns voll den Hintergrund. Hier sind auch sehr praktische Auswirkungen involviert.“ (a. O. 206 f.). Der Zusammenhang der Dokumente ist auch von katholischer Seite immer wieder betont worden, u. a. von Papst Johannes Paul II. selbst (siehe Verf., Keine Einheit ohne Wahrheit! Teil I, 2Stuttg. 1999, 128-132).

Der von Ehrlich zitierte Titel ist übrigens falsch. Es handelt sich um eine „Declaratio de libertate religiosa“, also um eine „Erklärung über die religiöse Freiheit“.  Eine „Declaratio“ ist dogmatisch niedriger als ein „Decretum“ angesiedelt. Gerade die beiden erwähnten „Declarationes“ des II. Vatikanums enthalten – neben der „Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ – die meisten problematischen Stellen. 

Immer wieder wird Vertretern der katholischen Tradition nun vorgeworfen, sie hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt und würden aus falschen oder zumindest zeitlich überholten Gründen die in „Dignitatis humanae“ befürwortete moderne Religionsfreiheit ablehnen. Denn mittlerweile habe man gelernt, daß es zu den unabdingbaren Rechten der menschlichen Person gehöre, die jeweils gefallende Religion privat und öffentlich ohne jede Einschränkungen, die Form freier Propaganda eingeschlossen, zu praktizieren. Dieser Anspruch soll über dem der Wahrheit stehen, weil es diese abstrakt sowieso nicht gebe, sondern sie in der Praxis immer auf die freie Zustimmung der menschlichen Person angewiesen sei. Im Artikel über den Vertreter der „Neuen Theologie“ Yves Congar schrieb Wolfgang W. Müller OP zu dessen Aktivitäten auf dem II. Vatikanum: „Er streitet mit Erzbischof Lefebvre um die Frage der Religionsfreiheit.“ (DT vom 15. April 2004) Die Kontrahenten sind gut gewählt. Denn bekanntlich lehnte der französische Erzbischof als eine der führenden Köpfe in der Kirche die neue Religionsfreiheit ab, während Congar neben Murray u. a. für ihre Proklamation auf dem letzten Konzil weitgehend die Vorarbeiten geleistet haben. Wer von beiden hat nun recht? Ist die neue Religionsfreiheit solide in der Tradition verankert oder stellt sie einen Bruch mit verbindlicher katholischer Lehre dar?

Geht die neue Lehre auf die Bibel zurück?

Das II. Vatikanum verkündete eine absolute Inkompetenz des Staates in religiösen Angelegenheiten (DH 2 f.). Diese gehe auf die Offenbarung Gottes und die Apostel zurück und sei von der Kirche – trotz temporärer Zuwiderhandlung – über die Zeiten hin bewahrt worden (DH 12). Der Protestant Walther von Loewe­nich, der die neue Dok­trin an sich begrüßte, stellte fest, hier­ habe das Konzil „eine reich­lich kühne Behauptung“ aufgestellt. (Der moderne Katholizismus vor und nach dem Konzil, Witten 1970, 367)

            Schauen wir uns DH 12 genauer an: „Die Kirche folgt also, der Wahrheit des Evangeliums treu, dem Weg Christi und der Apostel, wenn sie die Lehre von der religiösen Freiheit als mit der Würde des Menschen und der Offenbarung Gottes übereinstimmend anerkennt und sie fördert. Die von ihrem Meister und von den Aposteln empfangene Lehre hat sie im Ablauf der Zeiten bewahrt und weitergegeben. Auch wenn es im Leben des durch die Wechselfälle der menschlichen Geschichte pilgernden Volkes Gottes bisweilen eine Handlungsweise gab, die dem Geist des Evangeliums weniger entsprechend, ja sogar entgegengesetzt war, blieb es dennoch stets Lehre der Kirche, dass niemand zum Glauben gezwungen werden darf.“[1]

Wie sieht es nun mit der „Wahrheit des Evangeliums“ aus, das angeblich die Grundlage für die Religionsfreiheit bilden soll? Von der Beantwortung dieser Frage hängt ja alles ab. Denn wenn die Bibel wirklich derartige Bestimmungen enthielte, dann hätte ja die Kirche eine Haltung an den Tag gelegt, die nicht nur, wie es das Konzil sagt, „minus conformis“ („weniger entsprechend“), sondern klar, wie die Fortsetzung lautet, „contrarius“ („entgegengesetzt“) zur göttlichen Botschaft gestanden hätte; man hätte sich dann also das eher beschwichtigende erste Adjektiv sparen können. Und diese Mißachtung eines wichtigen göttlichen Auftrags würde praktisch für ihre gesamte Geschichte ab der sog. Konstantinischen Wende bis zum II. Vatikanum einschließlich gelten, die Protestanten, die immer wieder Verfallstheorien unterschiedlicher Grundansätze vertreten haben, hätten also jedenfalls in diesem zweifellos nicht nebensächlichen Punkt recht![2] Denn keineswegs war ein christlich geprägter Staat nur seit der Französischen Revolution von der Kirche immer wieder in ihren Lehrdokumenten gefordert worden, so dass man, wie öfters behauptet, von einer durch das Denken des 19. Jahrhunderts bedingte Position sprechen könnte, die sich auch wieder leicht beiseite legen läßt. Vielmehr war vorher zumindest ein gewisser Vorrang der katholischen Kirche – bei größtmöglicher Toleranz nach den Tugenden der Liebe und der Klugheit Irrenden gegenüber, jedenfalls im Idealfall – einfach in der Praxis verwirklicht gewesen und brauchte nicht ständig vom Magisterium thematisiert zu werden. Freilich finden wir zu allen Zeiten klare Stellungnahmen zum Vorrang der Wahrheit. Vor allem in der Spätantike sind solche zu erwarten und auch tatsächlich nachweisbar, nämlich von jenen Tagen an, als die christliche Gestaltung des Gemeinwesens möglich wurde.[3]

Selbst für den hl. Augustinus, dem man ja bekanntlich nach seiner Konzeption in seinem großen Werk „De civitate Dei“ keine übertriebene Nähe zum irdischen Staat vorwerfen kann, war es selbstverständlich, daß christlicher Glaube und christliche Kultur möglichst das Gemeinwesen durchdringen sollten. Man lese z.B. C. D. 2,29; 5,19; 25 f. und andere Stellen. Dorothy F. Donnelly schreibt, und zwar im Anschluß an einen im selben Sammelband abgedruckten Aufsatz von Peter Kaufmann „Redeeming Politics: Augustine’s Cities of God’: „Thus, unlike the radical efforts of some of his contemporaries who sought to separate religion from politics, Augustine ‚insisted that the Bible promised Christianity dominion over all culture and that such dominion was unthinkable apart form a Christian political culture’… In brief, for Augustine political culture was part of God’ divine plan and it was thus absurd to stress the incompatibility between the religious and political realms.“ [4] Wir wollen gerade diese Sätze festhalten, denn wir werden gleich sehen, daß das II. Vatikanum fälschlich genau das Gegenteil behauptet!

Augustinus argumentierte jedenfalls mehrfach für die Durchdringung des Gemeinwesens mit echtem christlichem Geist – was in der damaligen Praxis offenkundig noch nicht überall geschehen war und sich allerdings in der höchsten, idealen Form aufgrund der erbsündlichen Belastung der Menschen auf Erden sowieso nicht verwirklichen läßt. Daß Augustinus nicht am Staat völlig desinteressiert war, wie gelegentlich behauptet wird, und auch keine wirkliche Trennung von Kirche und Staat, wie sie heute favorisiert wird, lehrte, haben vor allem auch die Untersuchungen des Bonner Althistorikers Johannes Straub gezeigt.[5] Wenn sich Stellen nachweisen lassen, die eine andere Position zu begünstigen scheinen[6], so dürfen nicht, was leider oft geschieht, die Zeitumstände verkannt werden: Der heilige Augustinus verfaßte sein wirkmächtigstes Werk „De civitate Dei“[7] nach dem Jahre 410, in dem Rom von den Westgoten unter Alarich erobert wurde, jenes Rom, das man schon lange im paganen Denken und seit der sog. Konstantinischen Wende auch von christlicher Seite für „ewig“ gehalten hatte.[8] Es ist leicht verständlich, daß der Kirchenvater in einer solchen Situation, wo es aus apologetischen Gründen nach innen und außen galt, den Vorstellungen von einer zu engen Bindung des Schicksals der Kirche an staatliche Institutionen zu wehren, die Eigenständigkeit beider Bereiche überbetonte – genauso wie der Bischof von Hippo im Kampf gegen die Pelagianer, die sich zu sehr auf die Natur des Menschen stützten, die Notwendigkeit der Gnade besonders scharf akzentuierte und sie dabei hier und da auf Kosten der notwendigen und gesunden Mitwirkung des Menschen an seinem Heil einseitig herausstellte.  

  Daß besagte Zusammenarbeit von Kirche und Staat – Papst Leo XIII. spricht zutreffend von „quaedam ordinata colligatio“, „einer gewissen geordneten Verbindung“, als dem katholischen Ideal (Immortale Dei, DH 3168) – weitgehend für das Mittelalter eine Selbstverständlichkeit war, braucht wohl kaum betont zu werden. Als ein besonders eindrucksvolles Zeugnis sei hier ein kurzer Textausschnitt aus der Krönungszeremonie für den deutschen König zitiert, wie sie in dieser Form erstmalig im Mainzer Ordo um 960 belegt ist. Der Metropolitanbischof fragte hiernach den König: „Vis sanctam fidem a catholicis viris tibi traditam tenere et operibus iustis observare?“ worauf die Antwort erfolgt „Volo.“ („Bist du bereit, am heiligen Glauben, den dir katholische Männer [gemeint sind wohl Männer der Kirche, also Würdenträger] übergeben haben, festzuhalten und ihn durch gerechte Werke zu bewahren?“ – „Ja.“) – Vis sanctis ecclesiis ecclesiarumque ministris tutor ac defensor esse?“ „Volo.“ („Bist du bereit, den heiligen Kirchen [d. h. den Ortskirchen und Diözesen] und den Dienern der Kirchen Schützer und Verteidiger zu sein?“ – „Ja“).[9] Diese und weitere beeindruckende Texte sind übrigens seit kurzem auch in ihrer musikalischen Ausformung auf einer CD greifbar, die unter dem Titel erschienen ist: „Heinrich II – Anno Domini 1002. Gregorianischer Krönungsritus.“ Auf welchen deutschen Herrscher des Mittelalters ließen sich diese Texte besser als auf den einzigen heiligen Kaiser des alten Reiches beziehen? Zumal sie noch von einer Schola aus Bamberg unter Leitung von Werner Pees gesungen werden! [10] St. Heinrichs Herz hing ja bekanntlich besonders an dieser seiner Lieblingsstadt, in ihrem Dom fand er zusammen mit seiner heiligen Frau Kunigunde die letzte Ruhestätte, die später so prachtvoll von Tilman Riemenscheider ausgestattet werden sollte.  

Für diese ihre über 1600-jährige Tradition, die man trotz zweifellos mancher durch Menschen bedingte Schwächen und Fehler als glorreich bezeichnen darf,  entschuldigt sich die Kirche auf dem II. Vatikanum nun, wobei ihr „nostra culpa“ durchaus nicht allen ausreicht! So schreibt  Roman A. Siebenrock in seinem  Kommentar zu „Dignitatis humanae“: „Dieses kleine Schuldbekenntnis hätte nach dem Wunsch mancher deutlicher ausfallen können.“[11] Und fast mit einer gewissen Süffisanz fährt der Innsbrucker Fundamentaltheologe unmittelbar fort: „Geradezu mit dankbarem Erstaunen über die Unverwüstlichkeit dieser Lehre wird in Wiederholung von DiH 10 darauf verwiesen, dass (wenigstens) die Lehre, dass niemand zum Glauben gezwungen werden dürfe, kontinuierlich aufrecht erhalten worden sei.“

Traditionelle Lehre: Niemand darf zum Glauben gezwungen werden

Diese Lehre, daß niemand zum Glauben gezwungen werden darf, hat jedoch mit der modernen Ideologie der Religionsfreiheit gar nichts zu tun. Das hätte der Kommentator klar aussprechen sollen. Denn sie ist traditionell immer in der Kirche vertreten worden – wenn sie in der Praxis leider auch hier und dort mißachtet wurde (z. B. im Spanien des 15. und 16. Jhs. gegenüber Juden und Muslimen). Richtig ist, daß nach steter, authentischer Doktrin der Kirche kein Ungläubiger zum Glau­ben ge­zwungen werden darf, echte Zwangs­taufen sind regel­recht ungül­tig. Wo sie in der Kirchengeschich­te vorkamen, han­delte es sich um ein schweres Vergehen. Dies wußte, zumindest im­pli­zit, schon die Antike (Augustinus: „Man kann nur aus freien Stüc­ken glau­ben“ – „Credere non potest nisi volens.“[12]), dies war ebenso dem Mittelalter geläu­fig.[13] Zu diesem Prinzip bekannte sich der hl. Thomas in seiner „Sum­­­ma theologiae“[14]. Papst Leo XIII. betonte es in der Enzyklika „Immortale Dei“.[15] Frei­heit vom Zwang bei der Bekehrung bestimm­te auch das alte Kirchen­recht (Can. 1351/ CIC 1917). Diesen Grundsatz ver­kündete vor dem II. Vatikanum ferner noch einmal eindringlich Papst Pius XII. in seiner Enzy­klika „Mystici Corpo­ris“.[16] Frei­lich hat die besagte Lehre direkt überhaupt nichts mit der Reli­gions­frei­heit zu tun, die ja heute die absolute Inkompetenz des Staa­tes in religiö­sen Fragen ver­langt (DH 3). Jenes neue Prinzip soll also selbst in sol­chen Fällen gelten, die, wie Ehe- und Fami­lien­recht, überhaupt nicht ohne „welt­anschauli­che“ Grundent­schei­dungen geklärt werden können.

Bei derartigen „res mixtae“, also Fragen, die zugleich das irdische Wohlergehen und das ewige Heil betreffen, hat die Kirche – logisch konsequent – stets mitzuwirken gefordert, wobei ihr sogar das Recht zukommt, gemäß der gött­lichen Offen­barung be­stimmte Vor­gaben zu setzen. Diese Grundsätze sollen nun nach dem II. Vatikanum alle nicht mehr gelten! In DH 7 ist zwar immerhin noch von der „objek­tiven sittlichen Ordnung“ („ordo moralis obiecti­vus“) als Richt­schnur die Rede. Wie soll der Staat diese aber bestim­men, wenn ihm die metaphy­sischen Grundlagen der Ethik fehlen, ohne die die „objektive sitt­liche Ord­nung“ gar nicht ohne weiteres und sicher erkenn­bar ist? Kein Geringe­rer als der Philosoph der sog. Frankfurter Schule Max Hork­heimer hat diesen Zusammenhang zwischen Religion und Moral klar erkannt, wenn er sagte: „Alle Versuche, die Moral anstatt durch den Hinblick auf ein Jenseits auf irdische Klugheit zu begründen – selbst Kant hat dieser Neigung nicht immer widerstanden -, beruhen auf harmonistischen Illusionen. Alles, was mit Moral zu­sammenhängt, geht letzten Endes auf Theologie zurück…“ (Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, Gespräch mit Helmut Gumnior, 1970, in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften Bd. 7, Frankfurt 1985, 388 f.)

Wie „unverwüstlich“ war denn nun die Lehre der Religionsfreiheit in der katholischen Kirche, die ja auf ihre allerersten Anfänge, nämlich die Bibel und die Apostel zurückgehen soll, wie in DH 12 behauptet wird? Yves Congar, der für den besagten Abschnitt von „Dignita­tis humanae“ mit verantwort­lich war, hatte den Auftrag erhalten, diese Doktrin als bibelkonform zu erweisen und entspre­chende Beleg­stellen beizu­bringen. Wie er selbst zugab, gelang ihm dies nicht (Eric Vatré, La droite du Père, Enquête sur la tradition catholique d’aujourd’hui, Editions Guy Trèdaniel 1994, 118). Und trotzdem hielt man die Be­haup­tung aufrecht, gezwungenermaßen nun, ganz gegen den sonstigen Brauch des II. Vatikanums, ohne die erhofften Bibelzi­tate im Testimo­nien-Apparat!

Das eigenartige Zeugnis Papst Johannes’ XXIII. 

In DH 2 war die „Erklärung über die Reli­gions­freiheit“ ferner als eine Weiterführung der Lehre der neueren Päpste ausge­wiesen worden. Loewenich kommentierte zu Recht: „Wer können diese ’neueren Päpste‘ eigentlich sein, außer Johannes XXIII.?“ (a. O. 366) In der Tat wurde eine Passage aus Papst Johannes’ XXIII. Enzyklika „Pacem in terris“ herangezogen, in der nach dem Zeugnis von Msgr. Pietro Pavan, der an ihrer Abfassung mitgewirkt hatte, absichtlich eine zweideutige Formulierung gewählt worden war (siehe R. Laurentin, Bilan du Concile, Paris 1966, 330). Jedem Menschen komme, so hatte es dort geheißen, das Recht zu, „ut… religionem privatim et publice profiteri possit“ („daß er die Religion privat und öffentlich bekennen kann“). Es sollte dabei bewußt unklar bleiben, ob damit die wahre Religion („die Religion“) oder die jeweils individuell favorisierte („eine“ = „seine Religion“, letztere Übersetzung in Denzinger-Hünermann Nr. 3961) gemeint ist. Vom lateinischen Text sind beide Versionen möglich, da das Idiom der Römer bekanntlich keinen bestimmten Artikel kennt. 

Vorkonziliare Päpste als  Traditionszeugen?

Die weiteren in der Fußnote 2 genannten Traditionszeugnisse lassen den sachkundigen Leser noch mehr erstaunen. Es handelt sich nämlich um die Er­klärungen dreier vorkonzilia­rer Päpste der Neuzeit, die alle gegen die nach­weis­bare Intention der Verfasser ange­führt werden: Diese hatten lediglich die Freiheit für die wahreReligion verfoch­ten, ansonsten aber gerade die auf den Liberalismus der Französischen Revolution zurückgehende Gleichstellung aller Religionen, die un­abhängig von der Frage der Wahrheit gelten sollte, scharf zurückgewiesen.

Schauen wir uns die „Traditionsbeweise“ etwas genauer an. Sie sollen belegen, daß folgender Satz durch das vorkonziliare Lehramt des Papstes abgesichert sei: „Überdies erklärt sie, dass das Recht auf religiöse Freiheit wahrhaft in der Würde der menschlichen Person selbst gegründet ist, wie sie sowohl durch das geoffenbarte Wort als auch durch die Vernunft selbst erkannt wird.“ (DH 2,1)

Leo XIII. als Traditionszeuge?

Es handelt sich nun 1) um Leos XIII. Enzyklika Libertas praestantissimum vom 20. Juni 1888, als Belegstelle wird auf Acta Leonis XIII,8 (1888), pp. 237-238 verwiesen. Hier kann a priori etwas nicht stimmen. Man lese nur, was Leo XIII. im Original in Libertas praestantissimum geschrieben hat: „Auch jene [Freiheit] wird hoch gepriesen, die man die Gewissensfreiheit nennt; wenn sie so aufgefaßt wird, daß es jedem nach seinem Gutdünken gleichermaßen erlaubt ist, Gott zu verehren oder ihn nicht zu verehren, so wird sie durch die oben angeführten Beweise zur Genüge widerlegt. Sie kann aber auch in dem Sinne aufgefaßt werden, daß es dem Menschen im Staate erlaubt ist, ohne jede Behinderung aus Pflichtbewußtsein dem Willen Gottes zu folgen und seine Gebote zu erfüllen. Diese wahre, diese der Söhne Gottes würdige Freiheit nun, die die Würde der menschlichen Person auf ehrenvollste Weise schützt, ist größer als alle Gewalt und alles Unrecht: und sie ist der Kirche immer erwünscht und besonders teuer. Eine derartige Freiheit haben die Apostel beständig für sich in Anspruch genommen.“[17] Wen diese Aussagen immer noch nicht überzeugen sollten, der nehme bitte noch folgende beiden Sätze desselben Papstes zur Kenntnis: „Deshalb folgt aus dem Gesagten, daß es keineswegs erlaubt ist, die Freiheit zu denken, zu schreiben, zu lehren und desgleichen unterschiedslose Religionsfreiheit zu fordern, zu verteidigen oder zu gewähren, so als ob dies alles Rechte seien, die die Natur dem Menschen verliehen habe (Itaque ex dictis consequitur, nequaquam licere petere, defendere, largiri cogitandi, scribendi, docendi, itemque  promiscuam religionum libertatem, veluti iura totidem, quae homini natura dederit.) Denn wenn sie die Natur wirklich verliehen hätte, dann wäre es Recht, der Herrschaft Gottes Abbruch zu tun, und die menschliche Freiheit könnte durch kein Gesetz gezügelt werden.“[18] Das entspricht wohl kaum der Lehre des II. Vatikanums und der modernen Kirche! Da man sich damals noch darum bemühte, widerspruchslos zu denken und zu argumentieren[19], müssen alle anderen Aussagen der Enzyklika auf diesem Hintergrund gesehen werden. Es geht also stets nur um die Freiheit jener Religion, der die göttliche Wahrheit anvertraut ist!

 Leo XIII. war nun aber, wie man weiß, durchaus kein intransigenter Prinzipienreiter oder gar ein Fanatiker. Was er hier vortrug, bewegt sich auf der Ebene des theoretischen Naturrechts. Für die staatliche Praxis war auch ihm, und gerade ihm, der Gedanke der Toleranz gut vertraut, die ein sicheres Fundament in der traditionellen katholischen Lehre hat: „[Die Kirche] erkennt zwar nur dem ein Recht zu, was wahr du was sittlich gut ist; dennoch verurteilt sie es nicht, daß die öffentliche Gewalt etwas duldet, was der Wahrheit und Gerechtigkeit fremd ist, nämlich um entweder ein größeres Übel zu vermeiden oder ein größeres Gut zu erlangen oder zu bewahren. Gott selbst in seiner weisen Vorsehung läßt, obwohl er von unendlicher Güte ist und ebenso alles vermag, dennoch zu, daß es in der Welt Übel gibt, teils damit nicht höhere Güter behindert werden, teils damit nicht noch größere Übel folgen.“ (Libertas praestantissimum)[20] Und in derartigen Bestimmungen liegt der immense Unterschied zwischen dem Islam und dem Katholizismus eben auch in dessen traditioneller Ausrichtung, obgleich dieser heute oft verkannt wird – vom Gesamtkonzept der Religionen einmal abgesehen, von der die eine auf den Kampf, die andere auf die Liebe gebaut ist und die sich beide dementsprechend auch in ihren Anfängen ausgebreitet haben, die eine durch Krieg, die andere durch das Martyrium um Gottes und der Brüder willen!

Man wird nun heute, wie es auch öfter geschieht, argumentieren, bei der Lehre des II. Vatikanums von der Freiheit für alle Religionen, unabhängig von der Frage der Wahrheit, handele es sich aber um eine logisch konsequente Weiterentwicklung dessen, was Leo XIII. verkündete. Selbst wenn man einer solchen Behauptung einmal ihre Legitimität konzediert – was sie nicht verdient! – so ist es doch niemals statthaft und kann geradezu als eine Täuschung des Lesers bezeichnet werden, wenn man in den Fußnoten auf einen Text verweist, dessen Zusammenhang genau das ablehnt, wofür man sich selbst einsetzt, und genau das befürwortet, was man selbst bekämpft.

Pius XI. als Traditionszeuge für die Religionsfreiheit?

Nicht anders geht es mit den zwei weiteren Texten, die DH 2 zitiert:

Im einen Fall handelt es sich um die gegen die nationalsozialistischen Herrscher und ihre antichristliche und widermenschliche Politik gerichtete mutige Enzyklika “Mit brennender Sorge“, die Papst Pius XI. am 14. März 1937 bezeichnenderweise auf Deutsch herausgegeben hat, was einen seltenen Sonderfall darstellt. Aus ihr wird in DH 2 auf Acta Apostolicae Sedis 29/1937, 160 verwiesen. Es wird sich vor allem wohl um folgenden Satz handeln: „Der gläubige Mensch hat ein unverlierbares Recht, seinen Glauben zu bekennen und in den ihm gemäßen Formen zu betätigen. Gesetze, die das Bekenntnis und die Betätigung dieses Glaubens unterdrücken oder erschweren, stehen im Widerspruch zum Naturgesetz.“

Wer nur bis hier liest, könnte folgern, daß auch Pius XI. bereits die Lehre des II. Vatikanums verfochten habe. Aber schon der unmittelbar folgende Satz belehrt ihn eines besseren: „Gewissenhafte, ihrer erzieherischen Pflicht bewußte Eltern haben ein erstes und ursprüngliches Recht, die Erziehung der ihnen von Gott geschenkten Kinder im Geiste des wahren Glaubens und in Übereinstimmung mit seinen Grundsätzen und Vorschriften zu bestimmen. Gesetze oder andere Maßnahmen, die diesen naturrechtlich gegebenen Elternwillen in Schulfragen ausschalten oder durch Drohung und Zwang unwirksam machen, stehen im Widerspruch zum Naturrecht und sind im tiefsten und letzten Kern unsittlich.“ Man sieht also hier, was dem Naturrecht nach Pius XI. entspricht! Und diesem Grundtenor ist seine ganze Enzyklika verpflichtet. Kein Wunder angesichts der Tatsache, daß der Pontifex ja die nationalsozialistische Regierung an ihre Pflichten erinnert, in Deutschland, d. h. damals noch im christlich geprägten Deutschland die Freiheit der (wahren) Religion zu respektieren. Wie hätte auch Pius XI. für eine allgemeine Religionsfreiheit als dem Naturgesetz entsprechend (allenfalls wäre dies im Rahmen der traditionellen Toleranzlehre möglich gewesen) eintreten können, er, der bekanntlich im Jahre 1925 das Christkönig-Fest eingeführt und zu diesem Anlaß die Enzyklika „Quas primas“ promulgiert hatte, die ja gerade die prinzipielle Herrschaft Christi über Gesellschaft und Staat verkündete?      

Werfen wir schließlich noch einen kurzen Blick auf das dritte „Traditionszeugnis“. Es handelt sich um die Radiobotschaft Papst Pius’ XII. vom 24. Dezember 1942; zitiert wird die Seite 19 in der Veröffentlichung der AAS 35/1943. Gemeint ist wahrscheinlich besonders folgender Ausspruch: Wer wahren Frieden wolle, müsse u. a. unterstützen „das Recht auf private und öffentliche Gottesverehrung, eingeschlossen die karitativ-religiöse Tätigkeit“ („il diritto al culto di Dio privato e pubblico, compresa l’ azione caritativa religiosa“). Aber auch hier ist wieder nur an das Recht der wahren Gottesverehrung gedacht, wie der Kontext klar zeigt. Man nehme beispielsweise folgende Aufforderung an die Menschen hinzu: „Wir ermahnen euch mit beschwörendem väterlichem Nachdruck… euch zu vereinigen und zusammenzuarbeiten für die Erneuerung der Gesellschaft im Geist und in der Wahrheit“ („a unirvi e operare insieme per il rinnovamento della società in spirito e verità“[21]). Daß Pius XII. hier wie immer in seiner Lehre in den traditionellen Kategorien der Wahrheit dachte, zeigen auch andere seiner Äußerungen, von denen wir gleich noch eine mitteilen werden.[22] Der christliche Bezug ist auch schon dadurch gesichert, daß „im Geist und in der Wahrheit“ einem Herrenwort aus dem Nikodemus-Gespräch entspricht (Joh 4,24).     

Dignitatis humanae steht im Widerspruch zur Tradition!

Wenn man also die überlieferten Aussagen der Kirche sichtet und sie mit denen des II. Vatikanums vergleicht, kann sich als Ergebnis nur jenes Fazit herausstellen, das Bernhard Sutor zur umfangreichen Abhandlung des (damals) jungen Gelehrten Rudolf Uertz über die Frage der Religionsfreiheit in der Kirche gezogen hat: „Das kirchliche Lehramt, die Päpste von Pius VI. bis zu Pius IX. verwerfen die Forderung nach individuellen Freiheitsrechten wie Religions-, Gewissens- und Meinungsfreiheit als Irrlehren, das Zweite Vatikanum hingegen und die Päpste seitdem deklarieren und fordern diese Menschenrechte und eine ihnen entsprechende politische Ordnung als unabdingbar… Selbstverständlich muß man Pater Utz zustimmen, wenn er – von Uertz in der Einleitung zitiert – darauf hinweist, das Zweite Vatikanum selbst habe das Neue, das es verkündete, als mit dem Alten in Einklang stehend und aus der Tradition hervorgehend verstanden.

Kein Papst und kein Konzil wird einem seiner Vorgänger formell widersprechen. Wie damit umzugehen ist, wenn dennoch Widersprüche vorzuliegen scheinen, mögen die Theologen diskutieren. Aber die verständliche lehramtliche Gepflogenheit liefert keinen wissenschaftlichen Bewies für die Kontinuitätsthese von Gregor XVI. und Pius IX. bis zum Vatikanum II.“ In der Zusammenfassung der Lehre Leos XIII., jenes Papstes also, den das II. Vatikanum groteskerweise in DH 2 für die neue Position in Anspruch nimmt, schreibt Uertz selbst: „Zentral ist für Leo XIII. die Norm für das Zusammenleben, die über dem einzelnen Individuum steht, weil sie die Norm der menschlichen Natur als solche ist. Sie wird als ‚die Wahrheit’ bezeichnet: ‚die Rechte der Wahrheit  (…),  die höher stehen als die der Freiheit.’ Die menschliche Freiheit darf ‚niemals den ewigen Sittennormen widerstreben’, die in ‚die menschliche Vernunft eingegraben sind’.“Früher stand also – für den Konfliktfall – die Wahrheit höher, heute die Freiheit. Oder man kann es auch mit dem Titel der gelehrten Abhandlung ausdrücken: „Vom Gottesrecht zum Menschenrecht“![23] Dementsprechend wird auch heute gebetet. In den Großen Fürbitten vom Karfreitag hieß es ehedem: „Schaue gütig auf jene, die uns kraft ihres Amtes regie­ren (qui nos in potestatibus regunt), damit überall auf Erden unter dem Schutz Deiner Rechten gewahrt bleibe die Unversehrt­heit der Religion und die Sicherheit des Vater­landes (et religionis inte­gritas et patriae securitas)“.[24] Heute will man statt dessen gesichert wissen „das Wohlergehen der Völker, die Sicherheit des Friedens und die Religionsfreiheit“ (popu­lorum prospe­ritas, pacis securitas et religio­nis libertas).[25]

Ein Nachtrag zum Schluß

Damit kein Mißverständnis über die Intention unserer Ausführungen aufkommt: Der katholischen Kirche ist immer das Prinzip einer richtig verstandenen Toleranz eigen gewesen, wie schon oben angedeutet wurde. Allerdings bedeutete, tolerant zu sein, nicht, wie heute meistens üblich, daß einem alles gleichgültig und damit gleich gültig erschiene und daß man daher für alles offen (und damit, wie ein herber Witz sagt, nicht „dicht“) wäre. Vielmehr hieß es, etwas, was man als falsch oder schlecht betrachtete, als Übel zu „dulden“ (so auch die lateinische Grundbedeutung des Fremdwortes), und zwar um eines höheren Zieles willen, wie des Friedens oder der Nächstenliebe. Das vom Lehramt der Kirche eh und je vertretene – in der Praxis zugegebenerma­ßen nicht immer beachtete – Prinzip der christli­chen Toleranz hatte das von Kardinal Ottaviani verfaßte IX. Kapitel des ursprüng­lichen Kirchen­schemas unter dem Titel vertreten: „Über die Beziehungen zwischen Kirche und Staat und über die religiö­se Toleranz“ („De tolerantia religiosa“ statt „De libertate religiosa“, Acta et documenta Concilio Oecu­menico Vatica­no II apparan­do II,II,IV, 657-672). Dort war im wesentlichen die klassi­sche katho­lische Lehre korrekt vorgelegt worden; in einer umfangreichen Anmer­kung (Nr. 23, S. 669) wurden alle wichtigen Stellungnahmen der Päpste seit Pius VI. (1790) zusammen­getra­gen. Eine deutsche Überset­zung dieses wichtigen neunten Kapitels des Kirchen­sche­mas – unter Aus­lassung des Anmer­kungs­appara­tes – mit einer kurzen einleitenden Bemerkung findet man im Buch von Erzbischof Marcel Lefebvre, Sie haben ihn ent­thront, Stuttgart 1988, 253-260; die Anmerkungen sind darüber hinaus zugänglich in einer deutschen Gesamtver­öffentli­chung des Textes in der Una Voce Korrespondenz 27,1/1997, 14-29). Besagte Toleranz, für die die katholische Kirche eintrat, kann übrigens sehr weit gehen. Auch nach traditioneller Lehre der Kirche rechtfertigen die ge­mischt­konfessionellen und -religiösen Bedingun­gen der Bundesrepublik Deutschland z.B. eine freie und un­einge­schränkte Betä­tigung aller Reli­gionen, wie sie das Grund­gesetz in Art. 4  (Abs. 1 und 2) vor­sieht.

Abschließend hören wir zur ganzen Frage die noch unverändert auf dem Boden der traditionellen Lehre von 2000 Jahren (siehe hierzu Verf., Keine Einheit ohne Wahrheit! Bd. I, 128-144) stehenden Worte Papst Pius’ XII., die beide genannten Aspekte umgreifen. In seiner An­sprache an den Verband der katho­lischen Juristen Italiens vom 6. Dezember 1953 führte der „Pastor angelicus“ aus: „Was nicht der Wahrheit und dem Sittenge­setz ent­spricht, hat objektiv kein Recht auf Dasein, Propaganda und Ak­tion.“ Unmittelbar im Anschluß an diese Erklärung zeigte der Papst aber, ganz gedeckt durch die überkommene Doktrin, die Notwendigkeit eines hohen Maßes an Toleranz gegenüber den falschen Religionen für dieje­nige Praxis der Staaten auf, wie sie heute in der Regel gegeben ist: „Nicht durch staatliche Gesetze und Zwangsmaßnahmen einzugrei­fen, kann trotzdem im Interesse eines höhe­ren und umfassenderen Gutes gerechtfertigt sein.“ (Zitat nach „Soziale Summe Pius‘ XII.“, hg. von Utz-Groner, Freiburg/Schw. 1954, 2. Bd., Nr. 3978, S. 2049). Man sieht also, aus praktischen Gründen, z. B des Friedens in einem Staat, der Nächstenliebe oder des Ansehens der christlichen Religion kann man so handeln. Das ist weit entfernt vom II. Vatikanum, das hier ein Recht postuliert, welches durch das Naturgesetz und sogar durch die Offenbarung der Heiligen Schriften gestützt sein soll!

Nächste Woche gibt es ein abschließendes Statement zum Zweiten Vatikanischen Konzil


[1] Text nach: Peter Hünermann, Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 1, Freiburg/B. 2004, 452 f.

[2] Siehe z.B. die Bonner Dissertation „Urchristentum“ des protestantischen Theologen Stefan Alkier (Tübingen 1993), der die verschiedenen Verfallstheorien der Neuzeit seit dem 18. Jahrhun­dert behandelt.

[3] Einige Zeugnisse hierzu habe ich zusammengetragen in: Keine Einheit ohne Wahrheit, Bd. I, 2. Aufl. Stuttgart 1999, 137-141. 

[4] The City of God – A Collection of Critical Essays. Edited with an Introduction by Dorothy F. Donnelly, New York 1995, 3.  

[5] Johannes Straub: Augustins Sorge um die Regeneratio imperii. Das Imperium als civitas terrena, HJb 73/1954, 36-60, später abgedruckt in: Das frühe Christentum im römischen Staat, hg. von R. Klein, Darmstadt 1982, 244-274; ders., Die geschichtliche Stunde des Heiligen Augustinus: Spätantike und frühes Christentum. Ausstellung im Liebighaus, Frankfurt/M.1984,75-81, v.a.  79 f.

[6] Siehe v. a. Klaus Thraede , Das antike Rom in Augustins De civitate Dei, JbAC 20/1977, 90-148. Norbert Jacoby versuchte in ausgewogener Weise, beiden Positionen gerecht zu werden (Philologischer Kommentar zu Augustinus De civitate Dei, Buch I. Mit Hinweisen zu Sprache und Stil, Frankfurt/M. 2004, 26 f.

Es wären aber m. E. noch intensiver als bisher geschehen die jeweiligen Zeitumstände und Aussageintentionen zu untersuchen, die zu den unterschiedlichen, jedoch nicht in Kontradiktion zueinander stehenden Aussagen des Doctor gratiae führten. Ich habe das in folgendem Aufsatz versucht, in dem ich mich auch mit problematischen Ansätzen Kardinal Ratzingers auseinandergesetzt habe: Ist St. Augustinus der Patron des laizistischen Staates? In: Hermeneutik der Kontinuität oder des Bruchs. Aspekte der Theologie Papst Benedikts XVI., Stuttgart 2012, 169-197. Im selben Sammelband findet sich auch eine leicht modifizierte lateinische Fassung dieses Beitrags, und zwar unter dem Titel «S. Augustinus quam necessitudinem inter civitatem et religionem, naturam et gratiam intercedere senserit» (197-225).    

[7] Von der enormen Verbreitung im Mittelalter zeugen die 580 in europäischen Bibliotheken erhaltenen Handschriften. Siehe Adalbert Hamman – Alfons Fürst, Kleine Geschichte der Kirchenväter, Freiburg/B. 2004, 190. Das lesenswerte Bändchen, in dem die kirchlichen Autoren von Hamman anschaulich auch mit ihren menschlichen Stärken und Schwächen vorgestellt wurden, ist jetzt dankenswerterweise von Alfons Fürst neu auf Deutsch herausgegeben worden. Das Vorwort des Editors, der in Münster künftige katholische Theologen ausbildet, ist allerdings in einem Punkte als geradezu skandalös zu bezeichnen, nämlich wenn der Gelehrte die Kategorien von Rechtgläubigkeit und Häresie, nach denen Hamman noch sein Werk verfaßt hat, als überholt bezeichnet (a. O. 13 f.). Eine solche Distanzierung von zweitausend Jahren katholischer Kirchengeschichte sei ihm, dem Kirchenhistoriker, als Privatmeinung gestattet, im Namen der Kirche darf er so etwas nicht verkünden. Denn die lehrt etwas anderes und wird es bis zum Jüngsten Tag so lehren!

[8] Siehe hierzu den wertvollen Aufsatz von Otto Zwierlein, Der Fall Roms im Spiegel der Kirchenväter, ZPE 32/1978, 45—80; zur „Roma aeterna“ siehe v.a. 47 f. mit Anmm. und  55 mit Anmm. Antonie Wlosok hat eine nützliche, mit Kurzkommentaren versehene Textsammlung zur Problematik des Jahres 410 herausgegeben: Die Eroberung Roms durch Alarich in Äußerungen des Hieronymus und Augustinus, in: Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart, XVI. Ferienkurs für Lehrer der alten Sprachen (1993), Das Bewusstsein von Krise und Kontinuität im antiken Denken, Stuttgart 1995. Ich danke Herrn Dr. Norbert Jacoby aus Mainz dafür, daß er mir diese schwer zugängliche Arbeit bereitgestellt hat.

[9] Cyrille Vogel-Reinhard Elze, Le Pontifical Romano-germanique du dixième siècle. Le texte I, Città del Vaticano 1963, 249. Literatur zu diesen Krönungsordines findet man a. O. 246 und in: H. H. Anton, Ordo (Ordines), Lexikon des Mittelalters 6/1993, 1441.

[10] Die CD erschien bei: MusiContact GmbH, Heidelberg 2002, CHR 77251.

[11] Herders theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, hg. von Peter Hünermann und Bernd Jochen Hilberath, Bd. 4, Freiburg/ 2005, 192.

    [12] Tract. in Ioh. XXVI,2, CCSL 36/1964, 260

    [13] In diesem Sinne äußerte sich z.B. Alkuin in einem Brief aus dem Jahre 796 zur Missions­methode, wobei er sich aus­drücklich auf den hl. Augustinus berief (Alcuini epistolae, Nr. 111, MGH Epistolae 4, 159-162; Übersetzung jetzt in: Lutz E. von Pad­berg, Die Christianisierung Europas im Mittelalter, Reclam-Verlag Stuttgart 1998, 248 f.).

[14] S.th. 2-2 q. 10 a. 8

[15] DH 3177

[16] DH 3822

[17] Zitat nach: DH 3250

[18] DH 3252

[19] Heute ist dies zweifellos oft nicht mehr der Fall – bedingt nicht durch eine verzeihliche menschliche Unachtsamkeit, sondern durch eine gefährliche Ideologie, die auch vor höchsten kirchlichen Kreisen nicht haltmacht. Einige Beispiele siehe in: Heinz-Lothar Barth, „Die Liebe Christi drängt uns“ (2 Kor 5,14) – Aufsätze zur Kirchenkrise und zu ihrer Überwindung, 2Ruppichteroth 2005, 24-30.

[20] DH 3251

[21] AAS 35/1943, 18

[22] Einige weitere habe ich zusammengestellt in: Keine Einheit ohne Wahrheit! 2Stuttgart 1999, 137-139

[23] Der vollständige Titel des Buches lautet: Rudolf Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht – Das katholische Staatsdenken in Deutschland von der Französischen Revolution bis zum II. Vatikanischen Konzil (1789-1965), Paderborn 2005. Die vorgelegten Zitate finden sich auf den Seiten 9 bzw. 11 f. und auf der Seite 264.

[24] Übersetzung angelehnt an das Schott-Meßbuch von 1962, mit kleineren Änderungen. So heißt es dort z.B. für omnium potestates et omnium iura populorum „die Macht und das Recht aller Völker“. Offenbar wurde populorum im Sinn einer Versparung (zum Phänomen siehe G. Kiefner, Die Versparung, Diss. Tübingen 1960, erschienen 1964) auch zum ersten omnium mithinzugezogen. Das ist vom Duktus der lateinischen Wortfolge nicht sehr wahrscheinlich. Besser übersetzt der Bomm: „die Gewalten aller Machthaber und die Rechte aller Völker“ (siehe z.B. Lateinisch-deutsches Sonntagsmeßbuch, von P. Urbanus Bomm, 6. Aufl. Einsiedeln 1959, 306 f.). Hier empfindet man lediglich den Plural „Gewalten“ im konkreten Kontext als dem Deutschen nicht sonderlich angemessen.

[25] Zum ganze Themenkomplex siehe Verf., Religionsfreiheit oder Toleranz? Gedanken zum Verhältnis von Staat und Kirche, in: CIVITAS 3/2008, 13-39.

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