Lasst der Freude erste Stunde,
Lasst des Tags Erlösungsstunde
Uns besingen ohne Ende;
Denn der Jungfrau Wiegenfest
Uns den Heiland hoffen lässt:
Ja, Er kommt, der Heißersehnte!
Die zur Mutter Gott gewählt,
Schon als Kindlein Er sie hält
In der Allmacht Gnadenhänden
Herrlich schmückt der Ew’ge aus
Sie, sein einzig Gotteshaus,
D’raus Er sich zu uns wird wenden.
Wie sie glänzet, wie sie strahlt,
Diese heilige Gestalt,
Die der Herr sich auserkiesen,
Welche Wunder schließt sie ein!
Sie wird ja die Wolke sein,
D’raus die Gnadenströme fließen.
„Mit solchen Gefühlen der Freude lädt die heilige Kirche heute ihre Kinder ein, das Geburtsfest der hochgebenedeiten Jungfrau und Mutter Jesu zu feiern, die auch ihre Mutter ist.
Nur drei Geburtsfeste sind es, welche die katholische Kirche alljährlich mit besonderer Feierlichkeit begeht: das Geburtsfest Mariä, das des hl. Johannes des Täufers und das unseres Herrn Jesus Christus. Die Geburt Mariä bildet in gewissem Sinne die Grundlage der beiden andern, denn Jesus, von ihr empfangen und zu Elisabeth getragen, wollte seinen Vorläufer im Mutterschoße heiligen, noch bevor Er selbst sich der Welt zeigte. Deshalb umgibt die heilige Kirche die Geburt Mariä mit dem größten Glanze, weil sie eben in ihr die Morgenröte Jesu Christi jubelnd begrüßt.
Diese Bedeutung erklärt der heilige Petrus Damiani in den begeisterten Worten: „Mit Recht bebt an diesem Tage das ganze Weltall vor unendlicher Freude und feiert die heilige Kirche in ihrem ganzen Umfange die Geburt der Mutter ihres Bräutigams. In Freude und Frohlocken juble unser Herz vorzüglich an diesem Tage, an welchem wir, indem wir das Geburtsfest der Mutter unseres Herrn begehen, den Ursprung aller unserer übrigen Feste feiern … Denn heute ist geboren die Königin der Welt, die Pforte des Himmels, der Eingang des Paradieses, das Zelt Gottes, der Meeresstern, die Himmelsleiter, auf welcher der König in der Höhe voll Demut herabstieg in die unteren Regionen, und der Mensch, der am Boden lag, sich aufrichtete und emporschwang in die höheren Regionen.“
Diese glorreiche Bedeutung der Geburt Mariä treibt uns an, das so teure Töchterlein des hl. Joachim und der hl. Anna in der Wiege aufmerksamer zu betrachten, „wie sie glänzet, wie sie strahlt, diese heilige Gestalt, die der Herr sich ausersehen!“ Maria ist von Gott einzig zu dem Zwecke erschaffen worden, dass sie die Mutter Gottes sei. Sie ist deshalb von ihrem Schöpfer mit all den körperlichen und geistigen Eigenschaften und Vorzügen gebildet worden, welche sie als Mutter später Ihm als ihrem Sohne wieder mitteilen sollte. Denn es liegt in der Natur, dass die Söhne der Mutter nacharten – filii matrizant sagt das lateinische Sprichwort –, dass sie von ihr die Ähnlichkeit der Gesichtszüge, des Temperaments, des Charakters und der Sitten erben; und dieses Gesetz musste sich um so vollkommener bei jener Mutter verwirklichen, welche zugleich Jungfrau ist und keinen Mann erkennt. Und in der Tat, das Evangelium bezeugt es, Jesus Christus als Mensch war so ganz das treue Bild seiner Mutter, dass die Leute in Galiläa, wenn sie Ihn sahen und hörten, erstaunt fragten: ‚Ist dieses nicht des Zimmermanns Sohn, heißt nicht seine Mutter Maria?‘ (Mt. 13, 55). Es war aber nur deshalb so, weil Maria selbst zuvor das Bild Jesu war, d.h. weil sie von Ihm als Gott so gebildet worden war, wie Er als Mensch von ihr gebildet werden wollte. Treffend sagt daher der hl. Bernhard: ‚Jesus als Schöpfer wollte, dass seine Mutter Jungfrau sei, damit Er aus ihr, der Makellosen, ohne Makel geboren werde: Er wollte, dass sie demütig sei, damit Er sanftmütig und von Herzen demütig aus ihr hervorgehe.‘
Es ist ein Glaubenssatz, dass Jesus Christus ebenso vollkommen Mensch ist, als Er vollkommen Gott ist, dass seine Menschheit mit allen Vollkommenheiten der Natur und der Gnade ausgestattet war. Folglich war es ganz angemessen, dass Er als Schöpfer mit diesen Vollkommenheiten auch die Person seiner Mutter gebildet hat, weil sie zu Ihm in dem innigsten Verhältnis steht, das man sich denken kann. Die Richtigkeit dieser Folgerung bestätigt das heilige Evangelium, indem es Maria die „Gnadenvolle“ nennt; denn dieses Wort erschöpft alles Lob, womit die Schönheit Mariens gepriesen werden kann, insbesondere, wenn man erwägt, dass es nicht aus dem Munde eines sterblichen Menschen, sondern von den Lippen eines Engels der höchsten Ordnung, eines Gesandten der heiligsten Dreieinigkeit stammt, als der Ausdruck seiner Bewunderung und Huldigung: ‚Gegrüßt seist du, voll der Gnade!'“ (Lk 1, 28).
Dieser Artikel ist eine Kurzfassung eines Textes aus: Pater Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, Einsiedeln u.a. 1898, S. 1085-1086.