Päpste fallen nicht vom Himmel. Bis ein Kardinal die Nachfolge Petri antritt, hat er die meiste Zeit seines Lebens bereits hinter sich. Hier wird der Weg von Pius XII., brügerlich Eugenio Pacelli, nachgezeichnet, von seiner Geburt bis zu seiner Bischofsweihe 1917:
Pacelli wuchs in einer frommen katholischen Familie auf. Am 2. März 1876, unter dem Pontifikat Pius’ IX., kam er in Rom zur Welt. Seine Familie stand in einer langen Tradition päpstlicher Juristen: Sein Vater und Großvater waren bereits als Juristen am päpstlichen Hof beschäftigt.
Eugenio war das dritte Kind und der zweite Sohn des Juristen Filippo Pacelli. Seine Familie stand wie die Päpste zum Ende des 19. Jahrhunderts in Opposition zum Risorgimento, also jener italienischen Einheitsbewegung, die auch durch Annexion des Kirchenstaates einen italienischen Nationalstaat errichtete.
Katholische Frömmigkeit, begleitet von Rosenkranzgebeten und häufigen Messbesuchen, prägte das Leben des jungen Eugenio. Er wurde Messdiener und entwickelte eine für die damalige Zeit typische marianische Frömmigkeit. Sein Vater erkannte jedoch schon früh, dass die Bemühungen, den Kirchenstaat zurückzugewinnen, wenig aussichtsreich waren. Daher favorisierte er eine eher pragmatische und flexible Annäherung an den italienischen Staat. Der Einheitssaat galt trotz allen päpstlichen Protesten als bleibendes Faktum. Dennoch verboten sowohl Pius IX. als auch Leo XIII. jede aktive Teilnahme am politischen Leben des italienischen Nationalstaates, der als illegitimes Königreich galt. Eugenios Großvater brachte ihn als Herausgeber des L’osservatore Romano mit der Presse in Kontakt. Bei seinem Vater lernte Eugenio den Wert des politischen Pragmatismus zur Verteidigung des Papsttums. Neben Eugenios Hingezogenheit zur katholischen Frömmigkeit zeigte er zeitlebens eine große Begeisterung für moderne Technologien.
Eugenio war außerordentlich diszipliniert und wohlerzogen. Schon in jungen Jahren interagierte er nicht viel außerhalb des familiären Kreises. Im Alter von 13 Jahren schrieb er in einem Aufsatz, dass ein Buch sein bester Freund sei. Sein Geist und Erinnerungsvermögen waren außergewöhnlich, sein Körper eher kränklich. Eine seiner lebenslangen Prioritäten – bis hin zur Obsession – war seine Sorge für Privatsphäre. Coppa schreibt: „Although some individuals exhibit a profound transformation in personality as they age and mature, such was not the case with Eugenio who essentially retained the same basic personality from childhood. An introvert from a young age, he remained a solitary figure, who said little about himself. ‘He was different from other children of his age, he was nearly always alone,’ one observer noted ‘He preferred to keep to himself – to remain detached … [the] boy seemed to find his own company sufficient’” (Coppa, The Life and Pontificate of Pope Pius XII., S. 26f.).
Fromm und introvertiert
Während andere Kinder seines Alters spielten oder sich sportlich betätigten, übte Eugenio, wie man die Messe liest. Trotz der papsttreuen Ausrichtung der Eltern, nach der die staatliche Legitimität und deren Einrichtungen im Grunde nicht anerkannt werden konnten, schickten sie Eugenio im Alter von neun Jahren 1885 auf ein säkulares, also staatliches und nicht auf ein kirchliches Gymnasium. Der CIC/1917 verbot den Besuch einer staatlichen Schule. Der Diözesanbischof konnte jedoch einen Dispens erteilte.
Für Kinder aus dem Kreise Pacellis, die zum ehemaligen päpstlichen Hof gehörten, war der Schritt an eine staatliche Schule ungewöhnlich. Kirche und Staat befanden sich in Opposition und die antiklerikale Ausrichtung der staatlichen Gymnasien führte bei nicht wenigen frommen Katholiken zu der Furcht, dass ihren Kindern dort der Glauben ausgetrieben werde. In der Entscheidung der Eltern für ein staatlich-säkulares Gymnasium zeigt sich abermals der pragmatische Zug in der Handlung des Vaters. Das staatliche Gymnasium war zwar politisch und religiös abzulehnen, aber die beste Schule in Rom, die exzellent auf ein Studium der Rechtswissenschaften vorbereitete.
Es zeigte sich bei Filippo Pacelli also ein realpolitisches Denken, das auch Eugenio, wie gezeigt wird, an den Tag legte: Die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Prioritäten abzuwägen und zu differenzieren. Die optimale Schulbildung wurde über die kirchentreue Ausrichtung gestellt, in dem Vertrauen, dass Eugenio seinen Glauben durch den Schulbesuch nicht verliere. Ein Übel, die säkulare und antiklerikale Ausrichtung, wurde für ein höheres Wohl – die beste Bildung – in Kauf genommen.
Die säkulare Schule trug dazu bei, dass Eugenio ein lebenslanges Interesse an Naturwissenschaften entwickelte. Gegenüber den antikirchlichen Äußerungen an seiner Schule blieb er laut Coppa meistens still und ertrug sie. Glaubensverteidigende Aufsätze, wie den, welchen er über Augustinus schrieb, blieben die Ausnahme. Direkten Konfrontationen ging Pacelli lieber aus dem Weg und vermied den Meinungsaustausch mit Andersdenkenden. Das italienische Sprichwort La meglia parola e quella che non e detta – das beste Wort ist das, was nicht gesprochen wird – war nach Coppa seit seiner Jugend sein Leitgedanke.
Es scheint naheliegend anzunehmen, dass im Schweigen und dem Vermeiden von direkter Konfrontation eine Haltung des modus vivendi lag. Eugenio wusste, dass sein Glauben von den meisten Klassenkameraden nicht geteilt wurde und die Ausrichtung seiner Schule antikirchlich war. Ein Leben in ständigem Konflikt ist aber nicht möglich. Daher war die Resistenz gegenüber den säkularen Überzeugungen und das gelegentliche Bekenntnis zum eigenen Glauben bereits eine permanente Haltung des Widerstandes.
Ein Aufsatz, den er 1889 im Alter von 13 Jahren schrieb, lässt keine Fragen an seiner Haltung offen. Das Heft, in dem er seinen Aufsatz schrieb, beginnt mit den Buchstaben „A.M.D.G.“ für Ad Majorem Dei Gloriam – zur höheren Ehre Gottes.
Der Aufsatz begann mit den Worten „Il mio ritratto“ – mein Porträt. Ziel war die Zeichnung es körperlichen und geistigen Porträts, in dem sich Eugenio so beschreiben sollte, wie er wirklich war. Er beschrieb sich als dreizehn Jahre alt, von körperlich schlanker Figur mit schmaler Brust und dürren Beinen, insgesamt jedoch als einen durchschnittlichen jungen Mann. Er sah sich im geistigen Bereich als mit zufriedenstellender Begabung ausgestattet, und erkannte bereits spätere Vorteile darin. Das, was er in sich als gut ansah, glaubte er allein Gott zu verdanken. Seinen Charakter beschrieb er als ungeduldig und heftig; er fühlte eine Verpflichtung, ihn durch Erziehung zu mäßigen. Widerstand konnte er nach eigenen Angaben nicht ertragen, obwohl er sich Großmut zuschrieb. Er glaubte denen verzeihen zu können, die ihn beleidigten.
In der Schule beeindruckte Pacelli durch seine Intelligenz. 1894 machte er seinen Schulabschluss am Ennio Qurino-Visconti Institut. Wegen seiner guten Leistungen erhielt der die Licenza d’onore, die es ihm ermöglichte, ohne Examen das Abiturzeugnis zu erhalten.
Danach verkündete er seinen Entschluss, Priester werden zu wollen. Seine schlechte körperliche Verfassung und seine chronischen Magenprobleme erschwerten jedoch den Weg. Seine gesundheitlichen Probleme verhinderten, dass er am Römischen Diözesanpriesterseminar ausgebildet werden konnte. Er begann 1894 ein Studium an der Gregoriana in Theologie und Rechtswissenschaft.
Pacelli musste das Priesterseminar verlassen
Am Almo Collegio Capranica bereitete er sich auf das Priestertum vor. Außerdem schrieb er sich an der staatlichen römischen Universität ein. Das rigorose Leben im Priesterseminar und das intensive Studienleben gingen an die Substanz des jungen Seminaristen. Bereits vor Sonnenaufgang musste aufgestanden werden und nach der Frühmesse durchlief man ein strenges Reglement, wobei sich Studium und Gebet abwechselten.
Das römische Priesterseminar hatte zu dieser Zeit ein klares Bild davon, wie ein römischer Priester zu sein hatte: fromm, selbstopfernd, vom Materialismus und der Welt losgelöst, immerwährend betend und arbeitend. Nach nur einjährigem Studium musste Pacelli das Priesterseminar verlassen. Pacelli litt unter Klaustrophobie und Unterernährung. Nach Ventresca wurden seine körperlichen Beschwerden vor allem durch psychologischen Stress und ein übertriebenes Studium verursacht. Auch soll eine spirituelle Krise, die er 1891 im Alter von 15 hatte, als Spätfolge in diese Reaktion mit reingespielt haben. Damals soll er an Gott und seinem Glauben gezweifelt haben:
„Speaking in the third person, as was his wont in these writings of his youth, Pacelli paints a picture of someone formerly content and assured in his faith. But Pacelli wrote in August 1891, ‘What if God doesn’t exist?’ It was enough to drive the doubting believer to despair, even to the point of welcoming death or wishing he were never born. This rather dire entry ends with a prayerful invocation: ‘but Lord, enlighten him!’” (Ventresca, Soldier of Christ, S. 28f.).
Eigentlich endet mit dem Verlassen des Priesterseminars der Weg zum Priestertum. Wer die Ausbildung nicht aushält, kann auch nicht Priester werden. Seine Eltern erreichten schließlich bei Leo XIII. einen Dispens, sodass er nach einer Phase der Erholung bei seiner Familie den Weg zum Priestertum fortsetzen konnte und nicht ins Priesterseminar zurück musste. Dass er seinen Weg ins Priestertum fortsetzen konnte, zeigte den nach wie vor großen Einfluss seiner Familie beim Papst. Es liegt nahe zu vermuten, dass sein erfolgreicher Weg ins Priestertum auch mit familiärem Ansehen und Druck verbunden war. Oder bemühten sich seine Eltern um einen Dispens, da Pacelli unbedingt Priester werden wollte? Wünschte Pacelli, dass seine Eltern sich einsetzten?
Er studierte nun als Priesterkandidat nicht mehr am Collegio Capranica, sondern am Ateneo Pontificio di S. Apollinare. Mit dem Apollinare war Pacelli wieder an einer der beiden großen Ausbildungsstätten für den Klerus. An der Gregoriana (Collegium Romanum) studierte er eher Weltkirche, das Apollinare (Seminarum Romanum) war jedoch hauptsächlich die Kaderschmiede der kirchlichen Führungsschicht. Ziel war die Heranbildung des prete romano, eines rechtgläubigen, papstverbundenen und kultivierten Priestertyps, der sich auch durch das Beherrschen der geltenden Benimmregeln und hohe Bildung auszeichnete. Weniger Wert legte man auf das Beherrschen eines tiefgehenden historisch-philosophischen Problembewusstseins.
Da Eugenio Pacelli das Priesterseminar und damit auch seine Studien an der Gregoriana aufgab, konnte er ein anderes theologisches Spektrum als reine Neuscholastik studieren. Leo XIII. machte Neuscholastik während seines Pontifikats an der Gregoriana zur einzig erlaubten Methode, indem er 1879 alle Professoren entfernte, die seine thomistischen Auffassungen nicht teilten. An der Gregoriana wurde damit die spekulative Theologie nach Louis Billot SJ (1846-1931), der dort 1885 Professor für Dogmatik wurde, prägend. Die Ausrichtung an der Gregoriana war damit streng integralistisch, während es am Apollinare anders zuging. Die prägenden kirchenrechtlichen Lehren am Apollinare stammten von Filippo de Angelis (1824-1888) und Felice Cavagnis (1841-1906). Im Gegensatz dazu war die Kirchenrechtsschule am Collegium Romanum von Camillo Tarquini SJ (1810-1874) sowie Franz Xaver Wernz SJ (1842-1914) beeinflusst.
Bedeutend für das Kirchenrecht am Apollinare war das Staat-Kirche-Verständnis. Die Kirche verstand man dort als vom Staat unabhängige societas perfecta, die zur Erreichung ihres Ziels, dem Heil der Seelen (salus animarum), alle Mittel habe, weshalb der Staat sich nicht in ihre Angelegenheiten einmischen dürfe. Das Kirchenrecht war demnach spiritualisierend. Die Kirche verstand sich nicht als bürgerliche, sondern geistliche Gemeinschaft und damit als wesenshaft vom Staat verschieden. Anders lehrte die Gregoriana. Dort galt die Kirche als allumfassende Herrscherinstanz, die nicht nur für den spirituellen Bereich zuständig sein, sondern den Staat auch in Kultur, Politik, Kunst, Wirtschaft usw. beaufsichtigen sollte. Nach der Schule des Apollinare hatte der Staat eine gewisse Autonomie in weltlichen Angelegenheiten, die ihm an der Gregoriana nicht zugesprochen wurde.
Natürlich kann man anhand der Unterschiedlichkeit nicht davon ausgehen, dass das Apollinare nicht rechtgläubige Positionen vertreten hätte. Am Apollinare orientierte man sich jedoch weniger als an der Gregoriana an der mittelalterlichen Rechtsauffassung, sondern mehr an modernen Rechtskodifikationen und dem Zivilrecht.
Während des Studiums am Apollinare konnte Pacelli jeden Tag zu seiner Familie. Bedeutende Lehrer an diesem Institut waren Riccardo Tabarelli (1851-1909), Professor für Dogmatik und Thomist oder Francesco Faberj (1869-1931), Professor für Sakramententheologie und Gegner der Scholastik. Man studierte am Apollinare nach den Vorgaben Pius IX. von 1853 zwei Jahre Philosophie, vier Jahre Theologie und drei Jahre Kirchenrecht.
Es gibt zwar aus dieser Zeit wenig Quellen, jedoch liegt es nach Ventresca nahe, dass Pacelli von den Ideen, die später als modernistische Häresien verdammt wurden, angezogen war. Faberj brachte Pacelli mit Friedrich von Hügel in Kontakt, einem reichen katholischen Adligen aus England, der Verbindungen zu führenden Modernisten wie George Tyrrell und Loisy pflegte. Friedrich von Hügel besuchte während einer Romreise junge liberal orientierte Seminaristen um Faberj; Eugenio Pacelli war einer von ihnen. Erstmals begegneten sie sich 1896. Zusammen mit Faberj und von Hügel besuchte Pacelli die Società degli Studi Biblica, eine Gruppe, die von einigen Studenten Faberjs gegründet wurde, um eine historisch-kritische Exegese zu betreiben. Kardinal Lucido Parocchi hatte den Vorsitz über die Diskussionen der biblischen Fragen.
Pacelli besuchte Sonntagskurse über Werke Duchesnes, die auf dem Index der verbotenen Bücher standen. Nach Ventresca ist klar, dass Pacellis klerikale Ausbildung auch den Umgang mit Vorreitern der Forschung und der liberal orientierten Forschung einschloss, die an der Grenze der Rechtgläubigkeit waren und manchmal selbst darüber hinausgingen. Später, zur Zeit der modernistischen Krise, habe er gelernt, wann er die richtigen Dinge zu den richtigen Leuten sagen konnte und auch wann es besser war, den Mund zu halten.
Nach Baron von Hügel hat sich die Situation seit April 1896 deutlich verschlechtert und regelrecht verfinstert. Der Wandel bei Pacelli war für von Hügel entmutigend. Er notierte in sein Tagesbuch, dass er eine Veränderung in Pacellis Geist wahrgenommen habe. Obwohl Eugenio Pacelli noch kein Priester war, vermutet Ventresca, dass von Hügel über Pacelli sprach, als er zu Alfred Loisy über die neue Situation in Rom schrieb „A young priest whom I found quite open in the spring, I find quite closed in the autumn“ (Ventresca, S. 35).
Nach Ventresca tendierte Pacelli – was typisch für die Klerikergeneration seiner Zeit gewesen sei – zum Pragmatismus, zur Mäßigung und zum Entgegenkommen. Im Allgemeinen galten unbekannte Theorien als verdächtig. Insgesamt habe er aber verstanden, worauf es in der katholischen Kirche der damaligen Zeit ankam. Wenn er in das Modell des prete romano, des römischen Priesters, passte, dann insofern, als dass er die Ansprüche der päpstlichen Vormacht akzeptierte und verteidigte und sich wie seine Familie ein Leben lang für die universelle, ewige und missionarische römische Kirche einsetzte.
1896 war Pacelli schon mitten auf dem Weg der Priesterweihe. Bereits im Jahr 1895 erhielt er die erste niedere Weihe, die Tonsur. Im folgenden Jahr beschäftigte er sich nicht bloß mit neuen Methoden in der biblischen Exegese, sondern reiste auch nach Paris, um einer Konferenz über Astronomie beizuwohnen. Nach Coppa war er besonders fähig darin, Glauben und Vernunft zusammenzubringen. Er konnte seine Studien schnell abschließen und am 2. April 1899 seinen Abschluss in Theologie entgegennehmen. Am Ostersonntag dieses Jahres wurde er mit nur 23 Jahren in Rom zum Priester geweiht.
Das ungewöhnliche an der Weihe war, dass er nicht wie andere Priesteramtskandidaten des Bistums Rom in der Lateranbasilika geweiht wurde, sondern erneut einen Pacelli’schen Sonderweg nahm und während einer privaten Zeremonie von einem seiner einflussreichsten Patrone, Bischof Francesco di Paola Cassetta, in dessen Kapelle zum Priester geweiht wurde. Seine Familie war besorgt, Eugenio Pacelli könnte die lange öffentliche Zeremonie in der Lateranbasilika nicht überstehen. Außerdem hatte er kaum Erfahrung über das Leben im Seminar, sodass eine private Weihe naheliegender war.
Der Sonderweg Pacellis, der vor allem dem Einfluss seiner Familie und dem Entgegenkommen Leos XIII. geschuldet war, mag dazu beigetragen haben, dass Pacelli sich besonders verpflichtet fühlte, Papst und Kirche zu verteidigen, um sich für die Zugeständnisse, die ihm bereitet worden waren, würdig und dankbar zu erweisen. Zumindest ist es naheliegend anzunehmen, dass es für Pacellis kuriale und persönliche Entwicklung nicht unbedeutend blieb, dass er seinen Weg ins Priestertum vor allem dem unterstützenden Einwirken anderer verdankte.
Ein Freimaurer kam zur Primiz
In der Papstbasilika Santa Maria Maggiore in Rom feierte Pacelli, der Marienverehrer, am Madonna Salus Populi Romana Altar seine Primiz, seine erste Messe als neugeweihter Priester. Da er aus einer Familie mit politischen und klerikalen Beziehungen kam, waren bedeutende kirchliche und weltliche Vertreter anwesend. Erstaunlich war bei seiner Primiz besonders die Anwesenheit von Ernesto Nathan, einem Angehörigen einer prominenten jüdischen Familie Roms, der zu dieser Zeit Großmeister der Freimaurer war und später auch römischer Bürgermeister. Hier stellt sich die Frage, warum ein Freimaurer zu einer Primiz kommt. Hatte Eugenio Pacelli oder seine Familie Kontakte zu Freimaurern? Dabei hatte der damals amtierende Papst Leo XIII. das Freimaurertum eindeutig verdammt. In seiner Enzyklika Humanum Genus vom 20. April beschrieb er das Freimaurertum als der Sittlichkeit zu wider, dessen Ziel es sei, das Christentum zu zerstören. Wenngleich einige Freimaurer nicht diese Ziele teilten und sich in diese Sekte verstricken ließen, war nach Leo das ewige Seelenheil durch die Mitgliedschaft ernsthaft gefährdet.
Die Antwort auf die Frage, wieso der Großmeister der Freimaurer Roms, der nach Leo XIII. einer Organisation angehörte, die die Kirche zerstören wollte, bei Pacellis Primiz anwesend war, bleibt auf der Ebene der Spekulation. Die Differenzierung des damals amtierenden Papstes Leo XIII. zwischen Freimaurersekte im Allgemeinen („secta Massonica […] in genere“) und dem konkreten Mitglied („de sectatoribus earum singulis“) zeigt bereits, dass die Mitgliedschaft bei den Freimaurern wohl eine Art Modeerscheinung bei der damaligen politischen und gesellschaftlichen Elite war und vielleicht sogar notwendige Voraussetzung, um ein hohes Amt zu bekleiden.
Eine pragmatische Mitgliedschaft sagt wenig bis gar nichts über die konkrete Haltung eines Mitgliedes aus. Des Weiteren ist eine Primiz eine öffentliche Veranstaltung, an der jeder Interessierte teilnehmen kann. Die Teilnehmer einer Primiz müssen also nicht freundschaftliche Beziehungen zum Neupriester haben. Vielleicht war bereits zu erahnen, dass Pacelli Karriere machen würde, weshalb Ernesto Nathan sich ein Bild von ihm verschaffte.
In einigen Lebensbeschreibungen wird Pacellis Priesterwunsch verklärt. Nichts habe er mehr gewollt, als einfacher Seelenhirte zu sein. Hierbei handelt es sich allerdings, wie Feldkamp erwähnt, um das typische Idealbild eines Klerikers, wie es sich in fast allen Biografien von Priestern findet, die Karriere machten. Als Topos sei diese Bemerkung daher abzulehnen.
Nach der Weihe setzte Pacelli seine akademische Ausbildung fort. Im Herbst desselben Jahres schrieb er sich am Apollinare und anderen Universitäten Roms in den Fächern Kirchenrecht und Zivilrecht ein. Nach Ventresca schloss Pacelli 1902 diese Studien mit der Note summa cum laude ab und erwarb 1904 eine Promotion in Kirchenrecht. Nach Coppa promovierte er jedoch 1902 im kanonischen und zivilen Recht mit einem Werk über die Natur und die Wichtigkeit von Konkordaten.
Bereits 1901 empfahl Kardinal Vincenzo Vannutelli (1836-1930) Pacelli an Gasparri, den Sekretär der AES. Er beschäftigte daraufhin Pacelli als Auszubildenden. Der kürzlich geweihte Priester stand somit ab 1901 in kurialen Diensten. Wie bereits ausgeführt, wurde Pacelli am Apollinare bereits bestens als kirchenrechtliche Elite ausgebildet und war sowohl mit modernen Staatskirchentheorien als auch mit traditionellen Auffassungen vertraut und somit ein sehr weit einsetzbarer Theologe und Kirchenjurist.
Pacellis Verhältnis zu Benigni und dem Sodalitium Pianum
Eine der umstrittensten Frage ist die nach dem Verhältnis zwischen Pacelli und Benigni. Coppa macht darauf aufmerksam, dass Pacelli die antimodernistischen Aktionen Pius X. voll unterstützte. Pacelli sei ein eifernder Prälat gewesen, der vor allem die Reinheit des Glaubens und der Lehre im Sinn hatte. Er habe von 1906 bis 1911 mit Benigni im Kampf gegen den Modernismus zusammengearbeitet.
Allein schon sein kurialer Aufstieg sei ein Beleg für Pacellis Antimodernismus. Nachdem Pacelli im März 1911 Unterstaatssekretär in der Kongregation für Außerordentliche Kirchliche Angelegenheiten geworden war, wurde er im folgenden Jahr auch Berater im Heiligen Offizium der Inquisition. Auch hier musste er die Reinheit des katholischen Glaubens bewahren. Jedoch sei auch bei dieser Arbeit sein Antimodernismus nicht öffentlich gewesen, denn
„the pragmatic and prudent prelate did not wish to anger or alienate those who remained sympathetic to the movement [of modernism]. In part this conduct foreshadowed the course he would later pursue toward the atrocities of the Second World War and the Holocaust“ (Coppa, Life of Pius XII., S. 45).
In all dem zeigt sich nach Coppa, dass Pacelli generell pragmatisch darum bemüht war, Kämpfe zu vermeiden, die seiner Karriere und seinen Interessen schaden könnten – ein Charakterzug, den er seit seiner Kindheit entwickelt habe. Seit frühester Kindheit habe er die Eigenschaft gehabt, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die sehr unterschiedliche Ansichten und Glauben hatten, während er seine eigenen Ansichten zurückhielt, um kontraproduktives Verhalten zu vermeiden. Dies sei auch seinem Temperament zugutegekommen, dass Privatheit und Verschwiegenheit bevorzugte. Dennoch sei Pacelli nicht frei von Prinzipien gewesen. Oft habe er pragmatische Mittel angewandt, um seine Prinzipien zu erreichen.
Pacellis Berufung als Nuntius in München
Pacelli sollte nun das päpstliche Bemühen um den Frieden in Deutschland als Nuntius fortsetzen. Da der Vorgänger Pacellis, Giuseppe Aversa, bereits nach wenigen Monaten nach seiner Ernennung am 17. Januar 1917 am 6. April desselben Jahres an den Folgen einer Blinddarmoperation im Amt verstarb, wurde Pacelli noch im selben Monat mit der päpstlichen Friedensmission als Nuntius von Bayern berufen. Dies geschah anscheinend nach einem heftigen Konflikt zwischen Papst Benedikt XV. und Gasparri, der Pacelli nicht auf diesem Posten sehen wollte. Aversa sei auch deswegen die erste Wahl gewesen, weil Gasparri die Erfolgsaussichten einer Friedensinitiative als gering betrachtete und Pacelli dafür nicht verheizen wollte.
Am 13. Mai 1917, dem Fatima-Tag, weihte Benedikt XV. Pacelli in der Sixtinischen Kapelle zum Titularerzbischof von Sardes. An der Weihe nahmen weitere namhafte Kardinäle teil, darunter Gasparri, Merry del Val, Raffaele Scapinelli und der ehemalige Nuntius in München, Kardinal Andreas Frühwirth; nach Coppa eine wirkliche Gruppe von Pacelli-Verehrern.
Bereits am 20. Mai fuhr Pacelli von Rom aus nach München. Damit schien es trotz des Amtsverlustes von Gasparri als Sekretär der AES und dessen Ersetzung durch Pacelli nicht zu einem Bruch zwischen den beiden gekommen zu sein. Pacellis diplomatische Begabung mag einmal mehr die Voraussetzung dafür gewesen sein, dass er in alle Richtungen gute Kontakte pflegen konnte, ohne sich selbst durch eine zu klare Positionierung zu schaden. Sein diplomatisches Talent sollte ihm als Papst sehr nützen.
Literatur:
Coppa, Frank J., The Life and Pontificate of Pope Pius XII. Between History & Controversy, Washington 2013.
Feldkamp, Michael, F., Pius XII. und Deutschland, Göttingen 2000.
Ventresca, Robert, A., Solider of Christ. The Life of Pope Pius XII., Cambridge, MA 2013.
Wolf, Hubert, Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich, München 22009.