Als ich am 4. Januar meinen mehrmals bearbeiteten Artikel von 2016 repostet habe: „Die falsche Mission: Warum „Hurra-Katholizismus“ gefährlich ist“ und im Teaser auf die nun beginnende MEHR-Konferenz verwiesen habe, ahnte ich nicht, wie viel Empörung ich damit auslösen wurde. All hell broke loose und zu meinem größten Erstaunen verteidigten sogar traditionelle Katholiken die MEHR.
Der Artikel von 2016 hat ursprünglich gar nichts mit der MEHR zu tun, sondern bezieht sich auf etwas, das ich mit „Praise-the-Lord-Bewegung“ beschreiben möchte. Meine Hauptkritik ist die Gefühlskonzentration, die Bedürfnisse des Ichs anspricht und bedient und das Ganze dann zur Gotteserfahrung hochstilisiert. Im Kern handelt es sich dabei aber, so meine These, um einen Ich-Kult, der vor der Wirklichkeit nicht bestehen kann. Diese Verdrehung oder Scheinwelt der Show halte ich für gefährlich: Aber in Wirklichkeit sind es moderne Effektshows, inszenierte Luftnummern. Nicht selten werden auch infantile Bibelauslegungen vorgenommen, die kein Fundament haben und nur davon abhalten erwachsen zu werden.“ (Siehe Artikel Hurra-Katholizismus). Inwieweit das auf die MEHR zutrifft, können aber nur die beurteilen, die da waren. Ich berufe mich hier nur auf einen Eindruck von Videos und Erfahrungen mit charismatischen Bewegungen aus meinem eigenen Leben.
Pater Recktenwald hat nun eine Verteidigung der MEHR-Konferenz geschrieben, die man nicht ignorieren kann. Er schreibt:
„Hartl führte seine Zuhörer in die Mitte dessen, worum es im Glauben geht: ins Herz unseres Herrn, der auf unsere Liebe und Freundschaft wartet. Das war der Johannes Hartl, wie ich ihn kenne, denn ich habe schon mehrere Vorträge von ihm mit großem Gewinn gehört. Hier spricht jemand, bei dem man merkt, dass er das, was er lehrt, auch selber lebt, realisiert, durchbetet. Um es ganz schnörkellos zu sagen: Hier spricht jemand, der Jesus liebt. Und das ist das Allerschönste! Und deshalb weiß ich mich mit ihm aufs innigste verbunden … Aber ich weiß nicht, wie ein Traditionalist tickt, der sich nicht von der Botschaft berühren lässt, die Hartl so glaubwürdig bezeugt. Ich mag nicht glauben, dass es Traditionalisten geben könnte, denen die lateinische Sprache in der Liturgie wichtiger ist als Jesus selbst.“
Die Zuschreibung „Traditionalist“ möchte ich zurückweisen. Ja, der Cathwalk bekennt sich zur Tradition, zum vollständigen traditionellen katholischen Glauben. Auch das Wort „Tradi“ verwendet der Cathwalk bejahend. Aber jedesmal geht es dabei um das Adjektiv „traditionell“, nicht um „traditionalistisch“. Traditionalismus agiert nämlich zu oft wie das Stiefkind des Modernismus, wie der Schatten der Aufklärung. Er lebt weniger aus sich selbst, mehr als Gegenpol, der all das magnetisch anzieht, was der Liberalismus konsequenterweise abstößt. Aber dadurch ist er nicht, was er sein will. Vielmehr ist er nur eine ausgleichende Kraft, die das braucht, was sie ablehnt, anstatt in sich selbst zu ruhen. Der Cathwalk will den katholischen Glauben in seiner vollständigen Schönheit zeigen und den Schwerpunkt nicht darauf legen, sich an falschen Entwicklungen abzuarbeiten oder sich archäologisch einzugraben. Es geht um Regina coeli, laetare alleluja, nicht um Dies irae!
Was die Vorträge von Johannes Hartl angeht, so wirkt die Attitüde des Auftritts für einige traditionelle Katholiken durchaus befremdlich. Das sagt natürlich nichts über den Inhalt aus. Wer durch die Vorträge tiefer zum Glauben findet, großartig. Da kann ich nur mit Papst Franziskus sagen: „Who am I to judge?“
Wenn die Kritik an mangelndem sozialen Engagement nicht für die MEHR gilt – das kann mich natürlich nur freuen. Es gibt daneben noch eine weitere Analyse, die das Herz des traditionellen katholischen Milieus trifft. Es ist eine Beobachtung, die auch ich öfter gemacht habe und die ein Defizit beschreibt, das angegangen werden muss:
„Möglicherweise ist es bei den Traditionalisten umgekehrt: Viele Proteine nahrhafter katholischer Glaubenskenntnisse, dafür aber etwas zu wenig an Vitaminen unbeschwerter Glaubensfreude oder persönlicher Gottesbeziehung.“
100 Punkte kann ich da nur sagen. Hier braucht es wirklich mehr. Es gibt sie nämlich, die traditionelle und hier muss ich wohl auch ergänzen, die traditionalistische Selbstgerechtigkeit, die neo-pharisäische Meinung, man sei was Besseres und müsse Gott dafür danken, nicht so elendig zu sein wie andere. Es gibt sogar solche, die sich rühmen, nicht die Bibel zu kennen und alles für Schwäche halten, was nicht ihren objektiven Maßstäben genügt.
Gottlob aber steht all das im Evangelium und gottlob sagt uns der Herr, wie wir wirklich sein sollen: „Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause hinab, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lukas 18, 11-14).
Traditionelle Katholiken können lernen, dass der Glaube nicht nur aus äußerlichen Geboten besteht, sondern darin Jesus mit ganzem Herzen nachzufolgen. Christus will keine Angestellten, er will Jünger. In der Liturgie wird das auf großartige Weise ausgedrückt. Wir werden aufgefordert, die Herzen zu Gott zu erheben: „Habemus ad Dominum“ antworten wir in der lateinischen Liturgie. Charismatische Katholiken und Christen im Allgemeinen können wiederum von der Tradition lernen, dass der Glaube nicht nur aus Gefühlen und Lobpreis besteht, sondern im Annehmen und Vertrauen von geoffenbarten Wahrheiten, die wahr sind, ob ich sie fühle oder nicht.
„Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“, sagt Jesus im Evangelium. Wenn wir gerettet werden, dann wegen seiner Barmherzigkeit. Und das ist wirklich eine frohe Botschaft. Ohne seine Barmherzigkeit wären wir alle verloren. Dafür können wir nicht dankbarer sein, als vor Gott zu knien. Mehr geht nicht, weniger passt nicht.
Wow! Danke lieber Josef für diese Offenheit. Du sprichst mir damit voll und ganz aus dem Herzen. Habe genau dies schon sehr oft verspürt. Tiefe Ehrfurcht in der Liturgie. Wenig Liebe und null Toleranz allen gegenüber die nicht in der „Tratition“ aufgewachsen sind. Es hat für mich manchesmal etwas von Sektentum.
Da es ja die Liebe ist, die uns eint, sollten wir vermehrt um diese Liebe beten.