In Straßenbahnen etwa partizipierte früher ein Mensch, der gut hören konnte, an der Mitteilungsfreude seiner Mitreisenden. Ich erinnere mich noch daran, wie ich morgens im Studium, auf dem Weg zur Universität, alles Mögliche anhören durfte. Konnte. Musste. Scheue Zurückhaltung wäre so schön gewesen. Im Zeitalter der Digitalisierung hat sich das geändert. Neue Formen der Stille treten auf, nicht weil der Rosenkranz gebetet würde, sondern weil die faszinierende Zauberwelt des Smartphones für Abhilfe sorgt: Die Kommunikationsformen wandeln sich. Aber noch heute gewinnen wir Anteil an engagiert vorgebrachten weltpolitischen Betrachtungen. Sie alle kennen den Ausspruch: „Das wird man ja noch mal sagen dürfen!“ Einige nicken verständig, viele aber – so auch ich – denken eher: Ich möchte das alles nicht mehr anhören müssen.
Dasselbe gilt für Details aus Ehekrisen fremder Paare oder auch für weitläufige Betrachtungen unterwegs – selbst Katholiken neigen dazu –, welcher Priester einst Frömmigkeitsrekorde aufgestellt hätte, während ein anderer offensichtlich kaum imstande sei, die Hände anständig zum Gebet zu falten. Hat nicht Pater Asceticus die Hostie bei der Elevation höher als jeder andere erhoben? Kniete Prälat Gnadenquell nicht so würdig wie niemand sonst nieder? Und war der milde, gütige Pfarrer Immerfroh nicht ein wirklich spiritueller Begleiter, der für alle Bedürftigen, Mühseligen und Beladenen jederzeit ein gutes Wort übrighatte? Und heute ist alles so trostlos geworden. An viral sich ausbreitendem Klatsch und Tratsch mangelt es nicht. Wir können uns nur nicht dagegen impfen lassen. Stimmen und Stimmungen begleiten uns, manchmal bis in die Kirchbank hinein. Wir selbst vermehren zuweilen auch eher die lässlichen wie lästigen Diskurse als den Glauben. Gelegenheiten zu anthropologischen Beobachtungen finden sich allerorten.
Eine Einübung ins Schweigen ist immer eine gute Idee, auch in die Diskretion. Mehr Scheu, weniger Geschwätz. Sie kennen auch die Bemerkung: „Wie der heilige Augustinus gesagt hat: Wer singt, betet doppelt.“ Was dem heiligen Augustinus oft zugeschrieben wird – ohne Beleg der Quelle –, das hat er nie gesagt oder geschrieben. Warum auch? Wer singt, betet nicht doppelt, und wer falsch singt, betet auch nicht falsch. Im Übrigen: Martin Luther (Sie erinnern sich?) soll die Formulierung mit Begeisterung aufgenommen haben. Oder: „Eine Schola muss aus Männern bestehen! Das will die Kirche so!“ Männer beten dann mannhaft singend doppelt? Ach ja, Männer: die Schola sollte früher aus Knaben bestehen. Heute wird schon der Begriff Knabe nicht mehr oft erwähnt. Sicher, Knabenchöre gibt’s noch, hier und dort. Dürfen im Gottesdienst etwa nur Männer und Knaben singen? Beten und singen sie anders, mehr, ergreifender, tiefsinniger, kraftvoller, frommer?
Wenn solche Betrachtungen geäußert werden, kann es sachgerecht und hilfreich sein, auf die Enzyklika „Musica sacrae disciplinae“ vom 25. Dezember 1955 zu verweisen. Das Wort von Pius XII. sollte noch gelten. Es sei gestattet, dass „ein Chor von Männern und Frauen oder Mädchen an einem nur für ihn bestimmten Platz außerhalb des Altarraumes im feierlichen Hochamt die liturgischen Texte singen könne, vorausgesetzt, dass die Männer von den Frauen und Mädchen ganz getrennt sind, unter Vermeidung alles Unpassenden“. Sogar gemischte Chöre sind erlaubt. Verbietet Pius XII. hier, wenn er von Chören spricht, eine Schola aus Frauen und Mädchen? Darüber könnte man nun streiten. Man kann über alles Mögliche streiten. Man kann’s aber auch einfach lassen und nur dankbar sein, wenn eine Schola zur Ehre Gottes singt. Die „Vermeidung alles Unpassenden“ ist auch ein wichtiger Hinweis, der weit über die Kirchenmusik hinausreicht: Was ist unpassend?
Der Herr schenke uns ein weites Herz, aber er bewahre uns auch vor entbehrlichen Bemerkungen, in der Kirche und außerhalb von ihr. Wir können in der Scheu vor dem Heiligen und in der Kirche immer noch wachsen – und in allem gelassen bleiben. Der Herr hat ohnehin über alle und in allem das letzte Wort.