Sind Sie schon einmal einem Heiligen begegnet? An Eingebungen und Privatoffenbarungen jeglicher Art denke ich nicht. Auch nicht an Begegnungen mit außerordentlich begabten Lehrern, Professoren und Predigern. Sicherlich haben genug modernistische Moralisten Ihre Wege gekreuzt. Sie wussten vielleicht über vieles vollständig Bescheid und kannten zu jedem Problem dieser Zeit die absolut zeitgemäße Lösung.
Begabte Menschen können Klassiker zitieren, aus allen Schulen und Denkrichtungen dieser Welt, von Platon über Augustinus, Luther und Goethe bis hin zu Hans Küng und Eugen Drewermann, Philosophen, Kirchenlehrer, Abtrünnige, alle sind dabei. Wer viel weiß, kennt sich aus. Genügt das? Weiß er auch das Wesentliche? „Das Kreuz ist mein Buch“, sagte der heilige Bruder Konrad.
Wem sind Sie noch begegnet? Vielleicht haben auch stolze Ritter von der eigenen Meinung und liberale Puristen der einzig wahren Fortschrittsgläubigkeit ihre Wege gekreuzt. Vielleicht kennen Sie beherzte Traditionalisten, die die Wahrung der Tradition an sich schon mit dem Glauben an Gott identifizieren. Oder Sie kennen konsequente Kirchenkritiker. Sie haben alle vielleicht die allerbesten Absichten. Manche Menschen sind auch bereit, jeden ungefragt zu korrigieren, der nicht ihre Meinung teilt oder einfach nur eine Frage hat. Oder nicht mal das, manchmal nur ein ratloses Gesicht.
Vielleicht wird in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren manchem, der nach Gott fragt, nicht versehentlich, sondern leise, tastend und vorsichtig, sogleich der epochale Wandel verheißen. Kardinal Marx sprach neulich davon. „Wir können Aufbruch!“ Das hatte der Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer in seinem ersten Hirtenwort den Gläubigen zugerufen, in ermutigender Absicht. Doch einige von uns mögen sich fragen: Wohin geht denn eigentlich die Reise?
Der heilige Papst Johannes Paul II. publizierte auf dem Weg zum Heiligen Jahr 2000 ein Buch mit dem Titel: „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“. Heute werden uns niedrigschwellige Angebote gemacht. Aber glauben Sie, dass wir auf dem Weg der Heiligkeit, zu dem wir, ob Kleriker oder Weltchrist, berufen sind, einfach so geschmeidig durchs Leben gleiten? Die Taufe ist kein Wohlfühlbad mit parfümiertem Badeschaum, und die Lehre der Kirche besteht nicht aus den absolut gültigen Leitsätzen „Anything goes“, „Jeder so wie er mag“ und „Wir bleiben im Gespräch“. Wer auf einen Kompass schaut, der in alle beliebigen Richtungen zeigt, wird ganz sicher die Orientierung verlieren. Sie dürfen sicher auch niemandem, der nach dem Weg fragt, sagen: „Probieren Sie es doch aus und gehen Sie in alle Richtungen, denn alle Wege sind heute irgendwie richtig und führen an irgendein richtiges Ziel.“
Was würden die Heiligen uns raten? In himmlischer Einfachheit – Glaube, Hoffnung, Liebe. Ich denke gern an die heilige Theresia vom Kinde Jesus. Hellsichtig schreibt Ida Friederike Görres über sie:
Die christliche Hoffnung, welche alle Versprechen Gottes ernst nimmt, leidenschaftlich ernst, das ganze Leben daran wagt und aus dieser Vorfreude frohlockend lebt, ist Theresens eigentliches Lebenselement. Ihre Frömmigkeit, gründend im Glauben, bewährt durch die Liebe, nährt sich von dieser Hoffnung: die Erwartung des Himmels ist ihr Stab durch die Wüste. Je mehr die innere Öde und Dürre sie bedrückt, desto stärker spannt sich alles in ihr dem beseligenden Tag entgegen, an dem auch für sie der Herr erwachen und Sein Antlitz ihr wieder leuchten wird. Aber sie weiß in jedem Augenblick, daß die Seligkeit, der sie entgegenharrt wie ein Kind dem Weihnachtsabend, wie ein Verbannter aus dem Vaterhaus, wie eine Braut der Hochzeit, daß sie »der Gnaden Überlast« ist und nicht das »Resultat« ihrer eigenen Leistung.“ (Ida Friederike Görres: Das verborgene Antlitz, Wien 1948, 342)
Die Heiligen sind, wie die heilige Theresia, auch keine frommen Leistungsethiker. Sie wollen nicht den ersten Platz erobern. Sie streiten nicht um weltliche Vorrechte. Sie brauchen kein Amt, keinen Posten und keinen Sitz in den wichtigsten Gremien dieser Welt. Ihre Sehnsucht gilt keiner zeitgeistlichen Kirchenreform, sondern dem lebendigen Gott. Sie müssen nichts erreichen, nichts werden, sie sind nämlich schon geliebtes Kind Gottes, armer Sünder und Bettler vor Gott. Die Heiligen sträuben sich trotzdem manchmal auch gegen das, was ihnen widerfährt, sehr sogar – und auch das ist einfach nur normal.
Der Prager Kardinal František Tomášek wird gelegentlich mit den Worten zitiert: „Arbeiten ist viel, Beten ist mehr, Leiden ist alles!“ Woran leiden Sie? An Einsamkeit, Verlassenheit, Krankheit? An der Kirche? Jeder von uns mag seine persönliche Antwort darauf haben.Der Kreuzweg des Lebens hat viele Stationen, ganz eigener Art. Die heilige Theresia sagte am letzten Tag ihres Lebens: „Ja, mein Gott, so viel du willst … Ich kann nicht mehr … Ich kann nicht mehr! Und doch muss ich durchhalten …“ Ihr Todeskampf dauerte so viel länger als erwartet. Die heilige Theresia bekannte: „Gut! Weiter! Weiter! Oh! Ich möchte nicht weniger leiden! … Oh! Ich liebe ihn … Mein Gott … ich … liebe dich!“