Samstag, 23. November 2024

„Jeder intelligente Katholik ist im Innern auch immer ein Protestant“ – oder nicht?

Zu den kritischen Vorzeige-Katholiken der jüngeren Vergangenheit gehörte Heiner Geißler, der 2017 verstorbene ehemalige Generalsekretär der CDU, spätestens, seitdem er 2004 ein erfolgreiches Buch unter dem Titel „Was Jesus heute tun würde“ publiziert hatte. Der Sinnspruch oben entstammt der 2015 veröffentlichten Publikation: „Was müsste Luther heute sagen?“ Ich kenne die erste der 95 Thesen: „Wenn unser Herr und Heiland Jesus Christus spricht: ‚Tut Buße!‘, dann will er, dass unser ganzes Leben eine Buße sei.“ Das ganze Leben sind wir Bettler vor Gott, zur Buße gerufen, und das ganze Leben ist eine Bekehrung, richtig, zu Jesus Christus und zu Seiner Kirche.

Die Kirche des Herrn ist auch nicht ein allgemeiner kulturchristlicher Ortskirchenverein, sondern die Kirche, zu der wir uns im Credo bekennen: „Credo … Et in Spiritum Sanctum, Dominum et vivificantem, qui ex Patre Filioque procedit. Qui cum Patre et Filio simul adoratur et conglorificatur: qui locutus est per prophetas. Et unam sanctam catholicam et apostolicam Ecclesiam.“ Das heißt: „Ich glaube … an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der vom Vater und vom Sohne ausgeht: Er wird mit dem Vater und dem Sohn zugleich angebetet und verherrlicht, er hat gesprochen durch die Propheten. Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.“

Also dort steht nicht: „Jeder intelligente Katholik ist im Innern auch immer ein Protestant.“ – Was mich betrifft, so muss ich ein einfacher, einfältiger und auch törichter, ja schlicht dummer Katholik sein – denn mir mangelt es an Erfahrung: Ich habe zwar nichts gegen Protestanten, aber ich denke nicht wie ein Protestant, ich fühle nicht wie ein Protestant, und ich bin auch, weder innen noch außen, ein Protestant. Ich weiß auch nicht, was Martin Luther heute sagen würde, und ich muss das auch nicht wissen. Müssen wir nicht heute alle protestieren?

Ich glaube nicht. Warum? Ich bin kein neukatholischer Protestant und ebenso wenig ein protestlerisch gesinnter Deutschkatholik. Mit der Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte fremdele ich überhaupt nicht, aber mit den Versuchen einer geschmeidigen Anpassung der Lehre an den Zeitgeist. Immer wieder höre ich marktgängige Wendungen wie „Wir können Aufbruch!“ – und immer wieder erinnert mich das an die traditionell kritischen Deklarationen aus dem allgemein-kulturchristlichen Gemischtwarenladen. Oder ich höre: „Haben wir nicht alle unsere Glaubenszweifel?“ Muss ich heute sagen: Ich glaube, dass Zweifel normal sind. Ich glaube, dass ich Zweifel haben darf. Ich bin überzeugt, dass ich Zweifel haben muss, weil ich sonst nicht normal sein kann, denn alle normalen Menschen haben doch Zweifel an Gott und an Seiner Kirche? An mir selbst zweifle ich schon – und ohne den Glauben an Gott und Seine Kirche würde ich verzweifeln.

Den lieben, netten Kuschel-Jesus hat es nie gegeben

Manchmal höre ich auch, dass einiges, was im Neuen Testament steht, ganz anders gemeint war, als es dort geschrieben steht. Die Evangelisten waren im Grunde dann Poeten oder Philosophen. Etwa wenn sie behaupteten, dass Jesus Christus von den Toten auferstanden sei. Wichtig sei doch, dass die „Sache Jesu“ weitergehen müsse, also Ethik und Moral. Natürlich nicht die Ehemoral, die wird spätestens in der Postmoderne ausgegliedert. Moral in der Ehe, na gut, aber höchstens eine Form von: Habt euch bitte lieb, seid nett zueinander, und macht, was ihr wollt.

Und ob der Herr, als er der Ehebrecherin vergeben und zu ihr gesagt hatte: „Geh hin und sündige nicht mehr!“, eigentlich sagen etwas ganz anderes sagen wollte? „Bleibt cool, leb dein Leben. Mach, was du willst – und es ist alles schon irgendwie okay so, Mädchen. Ich wünsche dir Liebe ohne Leiden. Also mach dir keinen Stress, leb weiter, so wie alle anderen auch, mal so, mal anders, so wie es dir gefällt. Stress ist nicht gut für die Seele. Lass dir das mit dem Ehebruch mal nicht zur Gewohnheit werden, ist nicht so schön, strengt auch an – und wenn doch: Es ist alles okay, irgendwie ist ja immer alles okay. Aber mach dir keine Sorgen. Selbst wenn es nicht ganz okay ist – dann wird es schon wieder okay. Läuft schon, passt schon. Alles gut? Geh hin in Frieden und hab noch einen schönen Tag!“ Fühlt doch sich gut an, am Ende. Oder nicht? Die Ehebrecherin wusste um ihre Sünde. Sie wusste auch, was aufrichtige Reue ist. Unter Ehebruch verstehen wir heute offene Formen der Partnerschaft. Und wenn wir mal ganz anders fühlen, dann fühlen und lieben wir uns einfach vom Ehepartner weg. Wir arrangieren uns. Es bleibt alles okay, nett, spaßig, auch manchmal ein bisschen traurig.

Im Ernst: Die spätliberale Wohlfühlgesellschaft ist nicht nur dekadent und postmoralisch, sie nervt zuweilen auch ungemein – zumindest ganz normale Katholiken. Den lieben, netten Kuschel-Jesus, dem manche zu huldigen scheinen, hat es nie gegeben. Er ist eine Fantasie, ein Hirngespinst, eine Schöpfung des vermeintlich aufgeklärten Verstandes. Der Kuschel-Jesus tut niemandem weh, den braucht aber auch niemand.

Nun, mir gelingt vielleicht nicht der Aufbruch in eine neukatholische Kirche des konsequent praktizierten Egal. Mir fehlt auch jedes Verständnis für Kirchenstreikbewegungen. Ich glaube auch nach wie vor nicht, dass die Gottesmutter bei der Hochzeit zu Kana mit den Worten „Was er euch sagt, das tut.“ etwas anderes gemeint haben könnte, als sie sagte. Hätte sie etwas anderes gemeint, so hätte sie etwas anderes gesagt. Warum hätte sie nicht sagen sollen, was sie sagen wollte? Weil sie eigentlich eine störrische Protestantin war? 

Wenn die Spruchweisheit „Jeder intelligente Katholik ist im Innern auch immer ein Protestant.“ zutreffend sein sollte, so bin ich dankbar für meine Einfalt. Ich bin jedenfalls über das Credo der Kirche noch nicht hinausgekommen – und ich werde auch nicht anfangen zu beten: „Gegrüßet seist du, Maria 2.0 …“ Und Sie vermutlich auch nicht. Vertrauen Sie am besten auf das Wirken des Heiligen Geist – und wenn Sie mögen: Hören Sie sich doch noch eine schöne Pfingstpredigt von Pater Engelbert Recktenwald an.

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1 Kommentar

  1. Ihre Idee davon, was ein evangelischer Christ ist, scheint ziemlich abwegig. Ein ev. Christ ist nicht per se ‚liberal‘, ‚politisch‘ o.ä., sondern das, was Sie im Beitrag tun, ist ev. Im eigentlichen Sinne: in die Bibel schauen.

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