Von Stefan Hartmann
Wenn, wie hier auf diesem Portal intendiert, durch Schönheit evangelisiert werden soll, dann bietet sich auch ein Seitenblick auf die Theologie an. Ist sie nicht allzu oft nur noch kritische Salzsäure, die jede Freude am Schönen durch endlose und um sich selbst kreisende Reflexionen verdirbt? Für den Umgang mit dem Neuen Testament sprach Klaus Berger (Heidelberg) von „Bibelfälschern“. Maßgebliche Theologieentwürfe nach Art der „Summa theologiae“ des Thomas von Aquin scheint es nicht mehr zu geben, nur noch ein „ungläubiges Staunen“, wie es Navid Kermani als moderner Muslim angesichts großer christlicher Kunst zum Ausdruck bringt.
Das Wahre, Gute und Schöne
Aber halt, es gibt ja – neben den unvergesslich-schönen Schriften eines Romano Guardini (1885-1968), der magistralen „Katholischen Dogmatik“ (1997-2003) von Leo Scheffczyk und Anton Ziegenaus oder der „Poetischen Dogmatik“ eines Alex Stock (1937-2016) – noch ein großes, einzigartiges und fast vergessenes Werk, das die Aporien der Moderne überragt: die mehrbändige Trilogie „Herrlichkeit“ – „Theodramatik“ – „Theologik“ (1961-1987) des vor 30 Jahren als designierter Kardinal verstorbenen Schweizers Hans Urs von Balthasar (1905-1988).
Er stellt der innerweltlichen Schönheit die göttliche Herrlichkeit gegenüber – in anderen Sprachen: gloire, gloria, glory; biblisch Kabod und Doxa. Die erste Wahrnehmung innerer Sinne ist das Schöne in seiner ausstrahlenden Gestalt, neben der Natur einzigartig aufleuchtend in Jesus Christus. Balthasar behandelt in der Trilogie ganz klassisch „das Wahre, Gute und Schöne“, die Merkmale allen Seins, stellt aber die theologische Ästhetik bewusst an den Anfang.
Das Schöne als „Glanz der Wahrheit“
Balthasar verbeugt sich vor der Geschichte weltlichen Geistes, besonders vor der Johann Wolfgang von Goethes und Friedrich Hölderlins, aber auch vor der des großen Russen Fjodor Dostojewski, der die Welt durch das Schöne erlöst sein lässt. Dennoch ist Balthasar kein schöngeistiger Ästhet, sondern schildert in großer Gelehrsamkeit das ganze Kampfdrama menschlicher und göttlicher Freiheiten bis hin zu Tod, Kreuz und Hölle des Gottessohnes. Er meidet nicht das Schreckliche und Hässliche menschlicher Geschichte, sondern sieht darin einen umso lauteren Schrei nach dem Schönen, Wahren und Guten.
Das Schöne ist dabei der „Glanz der Wahrheit“ (Veritatis splendor), der von der Person und Lehre Jesu Christi ausgeht. Augustinus, Anselm, Bonaventura, Johannes vom Kreuz, Pascal, Gerard Manley Hopkins und Charles Péguy gelten Balthasar als „Stilisten“ dieses herrlich-schönen Aspekts der Offenbarung. Wahre Schönheit ist interesselos, will nicht überwältigen oder etwas erzwingen – trotzdem kann man sich ihrem Bann so wenig entziehen wie den Bildern einer britischen Märchenhochzeit. Hans Urs von Balthasar war und ist dafür im geistlichen Bereich ein Wegweiser, er hat Schönheit als „Herrlichkeit“ endgültig und systematisch im christlich-theologischen Bereich rehabilitiert und auch mit der wahren Schönheit der Kirche, ihrer Heiligen und ihrer Liturgie verknüpft.
„Er ahnte nicht die die heraufkommende Inflation des Bösen, den gestaltgewordenen Nihilismus in Form von Stadtarchitektur, Straßenmöbel, Betonkirchen …“
Mir persönlich ist eine moderne Beton-Kirche tausendmal lieber als eine (bayrische) Barockkirche mit x Seiten-Altären.
Das Schöne ist letztlich das Wahre und Gute.
Das Schöne ist die göttliche, ursprüngliche Idee.
Die Hölle ist nicht bloß eine religiös-ethische, sie ist auch eine ästhetische. Wir stehen inmitten des Bösen und des Übels, aber auch inmitten des Häßlichen. Die Schrecken der Unform und der Mißform, der Gemeinheit und der Scheußlichkeit umringen uns in zahlreichen Gestalten.
Der Hegelianer Karl Rosenkranz in seiner ‚Ästhetik des Häßlichen‘ (1853) –
Er ahnte nicht die die heraufkommende Inflation des Bösen, den gestaltgewordenen Nihilismus in Form von Stadtarchitektur, Straßenmöbel, Betonkirchen, Retortensiedlungen, Wohnmaschinen, Inneneinrichtungen, moderner Kunst, Regietheater …. – Alltagsdämonen, die uns umgeben und einschließen.