Der Mensch fühlt sich schuldig und sucht irgendwie das Heile, Heilige und Erlösende. Halt nur nicht mehr in den traditionellen Formen. Der Theismus ist weitgehend einem Naturalismus oder einer pantheistischen Verklärung gewichen. Statt bei Gott sucht man woanders sein Heil. Handfester soll es sein und das Gewissen beruhigen. Die Antwort im 21. Jahrhundert heißt: Bio, Vegan, Veggie Day!
Wer das Heil nicht im Veggiekult sucht, wird von der „Natur“ wahlweise mit Krebs, Herzinfarkt oder dem Weltuntergang betraft. Der moderne Ablasshandel ist teuer und totalitär: Das ganze Leben muss veggie werden. – „Wo veggie steht, der Weltuntergang vorübergeht“. Natürlich muss man in den Urlaub fliegen und zum Shopping nach London, aber im Supermarkt soll es dann bio und veggie sein.
Der Veggiekult als neue Form des Bußsakraments
Der Veggiekult ist eine neue Weise, mit Schulderfahrungen und Heilssehnsüchten umzugehen. Tiere sollen von der Schuld erlösen. Oder besser gesagt: Der Verzicht auf Tiere, die mitunter auch als ewig beseelt und damit menschennah betrachtet werden, soll dazu beitragen, sich weniger schuldig zu fühlen. Der Fleischverzicht oder das Essen rein pflanzlicher Produkte dienen als Akt der Buße. Der Vegetarier gilt als moderne Büßer, der seine Absolution durch Pflanzenkost erhalten will. Vegetarismus ist der zeitgemäße Büßerstand. Wer es noch eine Nummer härter will, kann direkt zum Veganismus übergehen. Wenn Tofu auf dem Teller liegt, das Gute siegt.
Man weiß sich eine Stufe über dem Bösen, dem Fleischesser. Man rettet die Welt und zumindest auch seinen Körper vor dem giftigen Fleischkonsum. Denn allgemein wird propagiert, dass Pflanzen, und alles, was irgendwie Bio- und Ökosiegel hat, besser ist; man somit was für eine Gesundheit, sein körperliches Heil tut. Der Wettlauf um das Körperheil kennt keine Grenzen und keine Pausen. Man kann dafür nicht genug Kräuter, Körner und Salate essen. Gesundheit als Eigenverantwortung. Selbst schuld, wer da nicht mitmacht. Wie kann man sich noch beklagen, wenn man als „Falschesser“ mit Krankheit bestraft wird? Weiß man als aufgeklärter Mensch doch, dass man ist, was man isst.
Eines fehlt in der modernen Buße
„Ego te absolvo“ – Ich spreche dich los – so lautet der Satz in der Beichte, durch den der Priester in der Person Christi Sünden vergibt. Eine Lossprechung gibt es beim Veggiekult nicht. Klar, vegane Gesundesser versuchen sich die Absolution anzuessen, aber es klappt nicht. Es gibt keine Barmherzigkeit im Öko- und Pflantenkult, nur den stetigen Antrieb des schlechten Gewissens, das permanente Zurückbleiben hinter dem eigenen Anspruch, hat man doch trotz aller Mühe zu viel CO2 ausgestoßen oder versehentlich ein Medikament gekauft, für das Tiere leiden mussten. Krankheit und Klimawandel mögen nun als Strafen des Universums auf einen herabkommen.
Wer kann da noch sagen, das Christentum habe in der Vergangenheit zu sehr einen strafenden und unbarmherzigen Gott verkündet?
Ich bin weder vegan noch vegetarisch lebend, versuche aber, möglichst wenig Fleisch zu essen. Ich finde diesen Artikel sehr einseitig und schon sehr polemisch. Natürlich kann man aus allem, also auch aus „Veggie-Leben“ eine Religion machen und dies passiert teilweise sicherlich auch. Größtenteils möchten Menschen aber auf den Genuss von Tierprodukten verzichten, weil sie nicht damit einverstanden sind, wie Tiere gehalten und in der Fleischindustrie/Eierproduktion… mit ihnen umgegangen wird. Das finde ich sehr nachvollziehbar. Gelebtes Christentum verpflichtet auch zu einer Änderung des Lebensstils (Papst Franziskus hat dies in Laudato si sehr klar dargelegt, es empfiehlt sich insbesondere Kapitel 6 in dieser Hinsicht mit sehr praktischen und konkreten Anregungen). Wenn Menschen, ob christlich oder nicht, sich entscheiden, dass ihr Lebensstil den Verzicht auf Tierprodukte enthalten soll, ist dies durchaus im Einklang damit und nichts Verwerfliches. Ich verstehe auch nicht, warum Artikel auf einer katholischen Plattform in einem Stil abgehalten sein müssen, der andere und ihre Meinung bzw. ihren Lebensstil heruntermacht, wenn nicht gar anprangert. Für mich bedeutet Christsein und Katholischsein, das Gute im anderen entdecken zu wollen, die Meinung des anderen vielmehr zu retten als zu verurteilen und im Dialog bereit zu sein, voneinander zu lernen. Warum also dieses Heruntermachen, das mir so absolut un-notwendig erscheint? Werden Veganer, die dies lesen, jetzt denken „Oh, wie wahr, ich gehe jetzt lieber zur Beichte als auf mein Frühstücksei zu verzichten“? Oder werden sich einfach nur ein paar Menschen in ihrer eigenen Meinung bestätigt fühlen ohne dass dies irgendeine positive Konsequenz für irgendjemanden hätte? Und ohne Zweifel gibt es eine Menge Vegetarier und Veganer, die wirklich Christen sind und dies aus entsprechendem Antrieb tun. ich kenne beispielsweise eine Frau, die nur aus Liebe zur Schöpfung so lebt.
Es wäre schön, wenn zukünftige Artikel nicht „die Welt“ schlecht machten, sondern im Bewusstsein, dass Gott ganz Ja zu DIESER Welt sagt, das Positive und Gute aufzeigen und dies als erstrebenswerten Lebensstil bezeugen.
Sagen wir einmal: Sie hätten an und für sich Recht mit der Behauptung, daß es theoretisch natürlich möglich und vielleicht sogar löblich ist, als katholischer Christ Vegetarier zu sein.
Das heißt *nicht*, daß es verboten ist, sich des Schreibstils etwas zugespitzter Polemiken zu bedienen (unabhängig davon, ob das im konkreten Fall gelungen ist).
(Wen’s interessiert: in alter moraltheologischer Literatur heißt Vegetarier „Carthusianus“, – das kommt im Zusammenhang mit Fragen vor, ob er in der und der Situation auf Fleisch verzichten darf, wenn es zur Verfügung stünde und mehr oder weniger nötig wäre. Karthäuser essen kein Fleisch.)
In einigen Redewendungen und Tonfallausprägungen verraten Sie jedoch, daß wenn Sie in der Tat „weder vegetarisch noch vegan lebend“ sind, wie sie schreiben, dann das eigentlich lieber wären und wegen Ihres Fleischkonsums ein schlechtes Gewissen haben.
In diesem Fall ist Weiterreden leider nur unter sinnvoll, wenn man wechselseitig über die Prämissen des jeweils anderen Bescheid weiß. Daher die Frage:
Ist es Ihrer Ansicht nach legitim, ein Tier des Genusses wegen (z. B. zum Unterstreichen einer Festlichkeit) zu töten? Kann der Metzger ebenso wie sagen wir ein Maurer auf eine Mauer oder ein Schreiner auf seinen Tisch mit christlichem Stolz auf sein Tagewerk schauen, wenn es ihm gelungen ist, oder hätte er Ihrer Ansicht nach eigentlich ein schlechtes Gewissen zu haben?
Die katholische Antwort darauf ist ja und ja, das ist einfach einmal so.
Erst wenn das klar ist, kann gesagt werden, daß natürlich Fasten und Abstinenz verdienstvolle Werke sind und deshalb natürlich eigentlich auch ein Katholik vegetarisch leben könnte.
(Übrigens scheint einfach faktisch von denen, die auf die oben genannten Fragen die richtigen, katholischen Antworten geben, fast niemand Vegetarier zu *sein* – außer den Karthäusern, und eine Familie, die ich nicht kenne, von der mir aber berichtet wurde, die nur Wildbret ißt.
Insofern hat der Witz der italienischen Austauschschülerin, die auf das „wir sind hier Vegetarier, und wir hoffen doch sehr, daß du, wenn du wieder heimfährst auch eine bist“ ihrer Gastfamilie tapfer mit „ich bin und bleibe katholisch!“ geantwortet hat, vielleicht schon seine Berechtigung.)
Nein, ich wäre nicht lieber vegetarisch oder vegan lebend. Ich würde vermutlich sogar etwas mehr Fleisch essen, wenn ich wüsste, dass die Tiere, die ich esse, artgerecht gehalten und ohne zu leiden getötet würden. Wie gesagt: Laudato si, Kapitel 6 ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich, wie konkretes Christentum im Hinblick auf die schöpfung aussehen kann. 🙂
Gut, dann glaube ich es Ihnen mal.
Auch wenn das noch keine *direkte* Ja-Nein-Antwort auf die Frage „Glauben Sie, daß der Mensch prinzipiell das Recht hat, zu seinem Wohl ein Tier zu töten, auch wenn das auch für ihn nicht lebensnotwendig, sondern nur zu seinem Vergnügen ist?“ war.
Ich hatte zeitweilig eine Mitarbeiterin, die es partout nicht lassen konnte, ab und an mit geradezu missionarischem Eifer die angebliche moralische Überlegenheit der Vegetarier gegenüber der fleischverzehrenden Bevölkerung zu propagieren.
Ein regelmäßiger Hinweis meinerseits auf den überzeugten Vegetarier Adolf Hitler holte sie dann wieder runter, und es war dann zumindest für einige Zeit „Ruhe im Karton“.
„Wer Fleisch isst, verachte den nicht, der es nicht isst; wer aber kein Fleisch isst, richte den nicht, der es isst. Denn Gott hat Ihn angenommen.“ Röm 14,3
Könnten wir bitte auf den Schriftzusammenhang achten? Die Debatte seinerzeit hatte mit der heutigen gar nichts zu tun.
Es gab damals zum Beispiel schonmal keine christliche Metzgerinnung, sondern Tiere wurden mit Masse in den heidnischen (koschere, solange es ihn gab, auch im jüdischen) Tempel geschlachtet und hernach das Fleisch der Opfertiere verkauft, bzw. man brachte seine eigenen Tiere mit, opferte sie und aß dann natürlich auch die Opferspeise. Für die jüdische Praxis siehe Exodus und Levitikus; es lohnt sich, nicht nach den Zehn Geboten die Bibel zuzuklappen. Da ist ausdrücklich geregelt, welches Opferfleisch *wie* heilig ist, die heiligsten dürfen nur von den Priestern und ihren Familien gegessen werden usw.
Das Problem war, daß auch die Heiden opferten und das Fleisch aßen und auch auf dem Markt verkauften. Die Frage, die sich nun den Kasuisten der damaligen Zeit stellte, war die zwischen den beiden Positionen:
1. Ich kann doch nichts dafür, daß die anderen das Tier einem Götzen geopfert haben; auch das arme Viecherl kann nichts dafür; und der Götze ist doch ein Nichts, sagt der Psalmist, da kann er einem auch gar nichts tun.
2. Das ist heidnischer Kult, damit darf ich nichts zu tun haben.
Paulus löst das ganze dann so auf, daß *im Prinzip* die Nr. *1* Recht hat, deswegen ist der Vorsichtige, der die Nr. 2 vertritt, „schwach“; aber beide Positionen einander nicht auf die Nerven gehen sollen – was im Endeffekt darauf hinausläuft, zumindest in Gegenwart von Nr.-2-Vertretern sowie auch von gewissenhaften Heiden, die das Christentum respektieren und daher den Christen darauf aufmerksam machen „das ist Opferfleisch“, sich so zu verhalten, als stimmte Nr. *2*.
Das Apostelkonzil würde in dem Zusammenhang übrigens (später?) die Bestimmung erlassen, daß solches (!) Fleisch verboten ist, nicht von Natur aus, sondern weil die Kirche es so vorschreibt; wohl aus ähnlichen Gründen.
So, das soll diese Bibelstelle hier bedeuten, und wieviel genau ist davon relevant für unsere Fragestellung? Kaum etwas.
Und jetzt kann man ja mal „Fleischessen“ mit „Sklaven halten“ ersetzen. Die Logik des Textes bleibt bestehen.
„Der Veggiekult ist eine neue Weise mit Schulderfahrungen umzugehen“ wird dann zu „Die Befreiung der Sklaven ist eine neue Weise..“ usw.
Guter Artikel um mal darüber nachzudenken, wieso man eigentlich moralisch/gewissenhaft i.A. handeln sollte. Das trifft ja nicht nur auf Veganismus zu. Eben auch aufs Sklaven halten, Leute töten wenns keiner mitbekommt, sich an anderen bereichern. Sowas
Das ist ja gerade der Knackpunkt in der Frage (womit ich nicht sagen will, daß ich den Artikel gut finde, aber in der Sache hat er halt Recht).
Es ist moralisch hundertprozentig *legitim*, ein Tier zu töten, um sich an dessen Geschmack zu erfreuen –
und einen Sklaven zu halten ist das *nicht*.
Es gibt letztlich kein Ausweichen vor der Wahrheitsfrage, sage ich immer; ist etwas nun erlaubt oder ist es das nicht. Wenn aber das Schlachten und Essen von Tieren erlaubt ist, dann ist es auch erlaubt.
@Jane Doe, ich erwarte ja von Veganern nicht viel, aber daß wir Tiere nicht aus einem *Mangel* an Moral, sondern auf Grund einer *anderen Meinung* in dieser Moralfrage essen, sollte doch wenigstens zur Kenntnis genommen werden. „Moralisch“ heißt nicht „das, was Veganer für moralisch halten“.
Wenn überhaupt heißt es „das, was die Kirche für moralisch hält“ – und wie viele traditionelle Katholiken, die die Kirchengebote erfüllen, kennen Sie denn, die Veganer sind? Das kollektive Urteil des gläubigen Gottesvolkes hat auch eine gewisse Bedeutung.