Part I: Was ist der Mensch? Folge 2
Dann sind also Goethe, Schiller und die restlichen Chiller nur komplexierte Psychopathen, die ihre Minderwertigkeitskomplexe durch Schreiben von Gedankengesöff über Seelenschmerz und Herzscherz zu kompensieren versuchen.
Eine große Gefahr besteht darin, dass der Mensch reduziert wird auf dieses tierische Etwas in ihm. Im Reduktionismus, im Psychologismus und im Determinismus geschieht allerdings genau dies. Dem ist entgegenzuhalten: Nicht ein tierisches Etwas aus Trieben und Instinkten machen den Homo sapiens aus. Er ist nicht ein Tier, und damit basta.
Der Schwerpunkt der heutigen Zeit, wenn man sich mit der Frage nach dem Wesen des Menschen beschäftigt, ist die der Naturwissenschaft und der Psychologie. Dies sind nämlich Wissenschaften, die sich mit dem objektiv Erfassbaren und empirisch Messbaren beschäftigen, dem Leib und der Psyche.
Peinlich wird es, wenn man aus dem Messbaren (und nur aus dem Messbaren) eine Weltanschauung macht. Doch genau das geschieht im Falle des Reduktionismus: es werden philosophische Schlüsse fachfremder Weise in die Fachwissenschaft selbst eingebracht.
Konkret: Darwins Evolutionstheorie wird zum Darwinismus, Psychologie wird zum Psychologismus, Nihilismus wird Inspiration für spätere Verengungen, zum Beispiel der Psychoanalyse. Der erste Fehler liegt dabei darin, den Naturwissenschaften zuzugestehen, den Menschen als Ganzes zu erfassen – das bedeutet nicht nur, die philosophische Arbeit von mindestens 3000 Jahren arrogant zu negieren. Es stellt auch einen zweiten Irrweg dar, der auf dem ersten Fehler beruht: die Behauptung, die Naturwissenschaft könne im Gegensatz zur Philosophie die Frage des Menschen beantworten, ist bereits eine philosophische Aussage. Schach und Matt!
Möglich war dieser Denkfehler nur in einem materialistischen Weltbild, welches besagt, nur die Materie und äußere Erscheinungsform gäbe Einsicht auf ihr Wesen, also im Falle des Menschen nur Leib und Psyche. Alles stehe unter den Gesetzen der Natur und könne dadurch studiert werden. Aber wer beweist das hier wiederum naturwissenschaftlich- empirisch? Niemand? Schon wieder Game over!
Was also dann?
Das Leibliche, also Körper und Gehirn, sind naturwissenschaftlich die empirischen Möglichkeiten, um an den Homo Sapiens heranzukommen. Dieser Leib ähnelt dem Affen sehr, nur die Anzahl der Neuronen und somit die Intelligenz ist ein deutlicher Unterschied – so heißt es zumindest…
Positive Hormone werden bei Befriedigung ausgeschüttet, bei negativem Input sorgt das Nervensystem für Abwehr- oder Fluchtmanöver. (Deshalb sind zum Beispiel milde Beichtväter beliebt und Moralisten weniger.)
Die Triebe und Instinkte sind bei Affe und Mensch dieselben, nur etwas komplexer wird es beim Homo sapiens. Was ist also mit der Definition des Menschen als „nichts als“ Affe, „nichts als“ Triebe, „nichts als“ Machtinstinkt, „nichts als“ Selbsterhaltungstrieb, nur mehr (beziehungsweise mehr oder weniger) IQ?
Kleine Frage an alle, die dieser Definition bisher fatalistisch gefolgt sind:
Kann eine Hand beweisen, dass es sie selbst nicht gibt, nur weil sie sich selbst noch nie zu greifen bekommen hat?
Es ist also evident, dass der Reduktionismus schwach an Sinn ist (am Stammtisch würde man sagen „schwachsinnig“). Denn seine Behauptung, der Mensch sei „nichts als“ Trieb, nur weil er das Geistige nicht sehen und fassen kann, ist mit dem Beispiel von der Hand als fehlerhaft überführt.
Welch verheerenden Konsequenzen nun aber dieses Reduzieren des Menschen auf das rein Tierische hat, werden wir kurz und knackig hier verdeutlichen:
Moral, Liebe und Treue wären nichts als von einer trieb-feindlichen Gesellschaft aufgezwungene Werte zur Hemmung der Lust, Werte wie Wahrheitssuche und Freiheit nichts als unterdrückte Triebe, die verdrängt wurden und zu kreativen Neuronen verändert, „sub-limiert“, wieder auftauchen:
„Da Mitleid nur noch das Verdrängen eines Minderwertigkeitsgefühls ist, kümmert man sich so also deshalb um den Leidenden, aus reinem Machtinstinkt heraus, endlich in diesem scheinbaren Altruismus über einen anderen herrschen zu können?“
Bin ich nur nett zu Freunden, weil ich in einer Gruppe höhere Lebenserhaltungschancen habe? Gibt es nur noch Triebe statt Liebe? Dann ist mein Partner nur noch ein Objekt zur Selbstbefriedigung.
So mag einer sagen: „Zwei andere Partner nebenbei haben geht dann doch auch, zur Verbreitung meiner Gene ist das doch eine Investition wert!“
Oder ein anderer: „Ich bin nun einmal so genetisch kodiert, ich kann mich nicht kontrollieren, wenn jemand schöner als mein Partner ist, kann ich doch gar nichts anders, als mit dieser Person ins Bett zu steigen!?!“
Der Akademiker denke sich vielleicht: „Wenn nach der Theorie Darwins die einzig wesentliche Unterscheidung zwischen Mensch und Tier der IQ ist, darf ich dann dumme Menschen wie Tiere behandeln?“
Der intellektuelle Student ist von seinem eigenen Scharfsinn beeindruckt und redet sich nach der dritten Kanne gaumenschmeichelnden Bieres in Rage: „Wenn die ‚Seele‘, so wie Religionen sie sehen, als geistliche Entität und nicht ‚fassbar‘ gilt, aber es das Geistliche gar nicht gibt, da es nicht fassbar ist, dann gibt es doch eigentlich gar keine Seele, nicht wahr? Und die Säle für die Seele, nämlich erbauende Kathedralen für einen entrückten, transzendenten Ritus (= Kirchen), die sind wohl nichts als Zeit- und Geldverschwendung.“
Der Justizvollzugsbeamte zweifelt plötzlich an seinem Job: „Wenn wir alle nur Opfer unseres Einflusses und unserer Umwelt sind, dann kann doch eigentlich kein Mörder für schuldig erklärt werden nicht, es ist doch alles nur die Schuld eines Minderwertigkeitskomplexes, oder?“
Der geschockte Literatur-Liebhaber ext vor Schreck seinen Merlot aus dem 1,5l-Tetra Pak: „Dann sind also Goethe, Schiller und die restlichen Chiller nur komplexierte Psychopathen, die ihre Minderwertigkeitskomplexe durch Schreiben von Gedankengesöff über Seelenschmerz und Herzscherz zu kompensieren versuchen. Eigentlich hatten sie nur Probleme der unanständigen Art!“
Ergo:
Sublimierung von Trieben, die Frage nach Sinn und Wahrheit ist an sich schon ein Zeichen von „unbefriedigter Libido“, wie Sigmund Freud es nennt.
True? Mal schauen…
To be continued.
Zum Autor: Theresa Laetitia lebt und studiert in München. Im vergangenen Jahr hat sie besondere Erfahrungen zum Thema Liebe, Gott und Menschsein gemacht. Ihre Erkenntnisse daraus teilt sie der Welt exklusiv auf dem Cathwalk in ihrem „MenschseinManifest“ mit.
Josef Jung, worauf wollen Sie hinaus?
Aber der Reihe nach:
>>Richard Dawkins sagt gerne: „Believing and hoping something is true or going to be true does not make it true“.
Da hat er auch ganz Recht, und das wäre auch mein Einwand unter dem Artikel gewesen: Das mag ja alles wie etwas ganz Grausenvolles klingen, aber damit ist noch nicht gesagt, daß es nicht *tatsächlich* so ist, daß es nicht *tatsächlich* legitim (ich wechsele vorsichtshaber in die indirekte Rede:) sei, den Gatten mit einem besser Aussehenden zu betrügen, daß Schiller *tatsächlich* nur ein komplexierter Psychopath sei usw. Aber das ist ja eine Artikelserie anscheinend.
(Ich persönlich mag ja Cliffhanger nur in der Unterhaltungsliteratur.)
>>„The universe we observe has precisely the properties we should expect if there is, at bottom, no design, no purpose, no evil and no good, nothing but blind pitiless indifference.“ etc.
Ich weiß nicht, worauf Sie mit diesem Zitat hinauswollen, ich weiß es nicht, aber jedenfalls ist das eine sachliche Behauptung von Dawkins, die (selbstverständlich) sachlich widerlegt werden kann. In diesem Fall formell schon damit, daß man sagt: ohne „design at bottom“ wär ja gar kein Universum *da*, und unseres sieht ja offenkundig ganz anders aus als eines, das nicht da ist. (Wohlgemerkt: Wir reden hier nicht über die Frage, ob jedenfalls sehr unwahrscheinliche Zufälle immerhin als theoretisch möglich bezeichnet werden können, sondern Dawkins sagt „as we would expect it to“: das ist etwas anderes.) Sicher auch davon abgesehen in weiterem.
Beim weiteren ist mir gar nicht klar, wie Sie das auf den Artikel beziehen. – Übrigens möchte ich nicht bestreiten, daß eine philosophisch zwingende Begründung für Menschenliebe finden *kann* und man insofern für Menschenliebe keinen „Gott braucht“ soll heißen keine geoffenbarte Religion mit einer Moral – was dann aber in etwa der gleichen Weise zutrifft, wie, daß man für Spaß keinen Alkohol braucht (was stimmt, woran aber durchaus ebenfalls zu Recht gern ergänzt wird „aber schaden kann er jedenfalls nicht“, „aber wir wollen kein Risiko eingehen“ usw.) Camus allerdings tut dem Vernehmen nach das nicht, sondern postuliert einfach das Mitgefühl so hin, weil er es offensichtlich hat. Würde man ihn fragen „warum Mitgefühl“, dann würde er einem wahrscheinlich eine watschen oder ein gewaltloses Äquivalent: das dürfte dann doch unter „Geruch der leeren Flasche, in der einmal der christliche Glaube drin war“ fallen.
Richard Dawkins sagt gerne: „Believing and hoping something is true or going to be true does not make it true“. Und da beginnt die Frage, die schon Pilatus stellte: „Was ist Wahrheit“ und vor allem heute sehr wichtig: wie erkenne ich Wahrheit? Naturalismus (was ich als Überbegriff der -ismen des Artikels verstehe) gibt es auch poetisch:
„The universe we observe has precisely the properties we should expect if there is, at bottom, no design, no purpose, no evil and no good, nothing but blind pitiless indifference. As unhappy poet A.E. Housman put it:
For Nature, heartles witless Nature
Will neither care nor know.
DNA neither cares nor knows. DNA just is and we dance to its music.“ (Dawkins, River Out Of Eden).
Camus zeigt, dass es für Menschenliebe keinen Gott braucht, er geht als Atheist rein über das Mitgefühl: „„Nach einem Schweigen richtete sich der Arzt etwas auf und fragte, ob Tarrou eine Vorstellung von dem Weg habe, den man einschlagen müsse, um zum Frieden zu kommen. ‚Ja, Mitgefühl.'“ (Camus, Die Pest).
Absurd bleibt es dennoch. Der einzige Ausweg, den es gibt, führt über die Auferstehung, wie Benedikt XVI. schreibt: „Niemand und nichts antwortet auf das Leiden der Jahrhunderte. Niemand und nichts bürgt dafür, daß nicht weiter der Zynismus der Macht, unter welchen ideologischen Verbrämungen auch immer, die Welt beherrscht. So haben die großen Denker der Frankfurter Schule, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno Atheismus und Theismus gleichermaßen kritisiert. Horkheimer hat radikal bestritten, daß irgendein immanenter Ersatz für Gott gefunden werden könne, zugleich freilich auch das Bild des guten und gerechten Gottes abgelehnt. In einer äußersten Radikalisierung des alttestamentlichen Bilderverbotes spricht er von der „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“, das unnahbar bleibt – ein Schrei des Verlangens in die Weltgeschichte hinein. Auch Adorno hat entschieden an dieser Bildlosigkeit festgehalten, die eben auch das „Bild“ des liebenden Gottes ausschließt. Aber er hat auch und immer wieder diese „negative“ Dialektik betont und gesagt, daß Gerechtigkeit, wirkliche Gerechtigkeit, eine Welt verlangen würde, „in der nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich Vergangene widerrufen wäre“.[30] Das aber würde – in positiven und darum für ihn unangemessenen Symbolen ausgedrückt – heißen, daß Gerechtigkeit nicht sein kann ohne Auferweckung der Toten. Eine solche Aussicht bedingte jedoch „die Auferstehung des Fleisches; dem Idealismus, dem Reich des absoluten Geistes, ist sie ganz fremd“.[31]“ (Spe salvi).
Die größte Herausforderung für Glaubende heute besteht darin, zu zeigen, dass diese Hoffnung nicht leer, nicht falsch, sondern wahr ist.