Mittwoch, 4. Dezember 2024

Durs Grünbein und Uwe Tellkamp: Sie konnten nicht zusammenkommen

Die in Dresden geborenen Schriftsteller Durs Grünbein und Uwe Tellkamp haben im Kulturpalast der Stadt über Meinungsfreiheit diskutiert. Die Atmosphäre war hitzig, das Interesse gewaltig. Was bleibt?

Auch nach dem Streitgespräch über Meinungsfreiheit bilden sich am 8. März im Dresdener Kulturpalast Trauben von Neugierigen mit Gesprächsbedarf vor der Bühne bei den Schriftstellern Uwe Tellkamp und Durs Grünbein. Zeitweise hitzig haben beide zuvor auch über die Migrationspolitik diskutiert. Foto: Michael Kunze

DRESDEN. Die Organisatoren haben nichts dem Zufall überlassen wollen. Sogar Handzettel mit Verhaltensregeln, erstellt vom Kulturhauptstadtbüro der Stadtverwaltung als Veranstalter, werden vor der Diskussion ausgereicht, die sich dem Thema „Streitbar! Wie frei sind wir mit unseren Meinungen?“ widmet. Dann erst – und nicht vor erwarteten 350 Zuhörern im Foyer, sondern mit um die 850 im Konzertsaal – besteigen zwei schriftstellerische Schwergewichte die Bühne: Durs Grünbein („Die Jahre im Zoo“) und Uwe Tellkamp („Der Turm“). Die Sehnsucht nach Auseinandersetzung, nach Verhandlung der Probleme, die das Land bewegen – jenseits von Talkshow-Formaten und Twitter-Blasen – ist groß. Die Schriftsteller stehen für Lager, die, nur nach Links und Rechts unterschieden, unzureichend beschrieben wären.

Tellkamp ist einer der Erstunterzeichner der nach der Frankfurter Buchmesse im Herbst von der Dresdener Buchhändlerin Susanne Dagen initiierten „Charta 2017“ – die schon dem Namen nach an die „Charta 77“ von tschechischen Intellektuellen angelehnt ist. Diese protestierten seinerzeit gegen Menschenrechtsverletzungen – dass die Situation damals dort mit der heutigen hierzulande wenig gemein hat, liegt auf der Hand. Der 49 Jahre alte Tellkamp unterstützt den 2017er Aufruf, in dem eine Meinungsfreiheit kritisiert wird, die auf einen in der veröffentlichten Meinung legitimierten „Gesinnungskorridor“ verengt werde. Wenn ein Veranstalter, wie der der Buchmesse im vergangenen Jahr, zu „aktiver Auseinandersetzung“ mit rechten Verlagen aufrufe – es kam dann zu Gewalt gegen einige Stände –, sei man nicht weit entfernt von einer „Gesinnungsdiktatur“, heißt es darin. Wo indes bleibe eine vergleichbare Auseinandersetzung mit der radikalen Linken, fragt er im Kulturpalast.

Suhrkamp distanziert sich von Tellkamp

Vieles, was einander vorgehalten wird, ist längst gesagt. Von anderen. Andersorts. Aber damit offensichtlich nicht erledigt. Buh- und Zwischenrufe reißen wie Applaus zu Bekundungen beider Protagonisten den Abend über nicht ab. Tellkamp spricht emotional, beklagt einen einseitigen Umgang mit gesellschaftlichen Reizthemen, der sich auch an dominierenden Begriffen ablesen lasse: Wenn undifferenziert von „Flüchtlingen“ (auch: „Schutzsuchenden“) die Rede sei mit Blick auf mehr als eine Million Migranten, die seit 2015 ins Land kamen, sagt er, sei dies angesichts der Rechtslage, der zufolge nur ein kleiner Prozentsatz Schutzstatus erhält, ein sprechendes Beispiel von vielen. Zudem wollten die meisten Migranten nur in die Sozialsysteme einwandern (sein Verlag Suhrkamp, in dem auch Grünbeins Werke erscheinen, distanzierte sich in einem ziemlich beispiellosen Vorgang auf Twitter am Tag nach der Veranstaltung von Tellkamps Äußerungen). Wer das öffentlich kritisiert, gelte als rechts, rechtspopulistisch, rechtsextrem. Dass da Wut aufkomme, billige Tellkamp nicht. „Aber man muss sich nicht wundern“, sagt er.

Durs Grünbein hat die Charta nicht unterzeichnet, sondern einen „Aufruf“ des Dresdner Literaturhauses „Villa Augustin“, der deren „verbale Entgleisungen“ kritisiert. Der 55-Jährige ruft Artikel 19 der Charta der Menschenrechte in Erinnerung. „Jeder hat das Recht auf Mei­n­ungs­frei­heit und freie Mei­n­ungsäußerung“, steht darin. Und: Dieses „Recht schließt die Frei­heit ein, Mei­n­un­gen unge­hin­dert anzuhän­gen sowie über Medi­en jed­er Art und ohne Rück­sicht auf Gren­zen Infor­ma­tio­nen und Gedankengut zu suchen, zu emp­fan­gen und zu ver­bre­it­en.“ Das decke es selbst, Bücher wie Hitlers „Mein Kampf“ wieder zu drucken, sagt er. Die Bürger seien mündig genug, so etwas einzuordnen. Nur: Es brauche Aufklärung statt Angstpropaganda. Man dürfe die Verhältnisse nicht umkehren, sei doch die Anzahl rechtsextremistischer Gewalttaten höher als jene von links. Demokratie versteht Grünbein, der anfangs allzu abgeklärt auftritt, „als permanente Selbstkritik ihrer Vertreter“. Er will weg vom Beleidigtsein, befindet zudem, dass zu prüfen sei, inwiefern bei der Grenzöffnung 2015 die Politik gegen geltendes Recht verstoßen habe – etwa in einem Untersuchungsausschuss. Zensur sieht er in der Medienlandschaft nicht. Tellkamp hatte zuvor ein Repräsentationsdefizit bei abweichenden Meinungen beklagt. Grünbein moniert Probleme in der Meinungsvielfalt beim Fernsehen, ohne das näher auszuführen. Man hätte sich hier Nachfragen gewünscht.

Was hat der Abend gebracht? Zusammenkommen konnten Grünbein und Tellkamp nicht – wie die Königskinder in der antiken Ballade. Wollten sie auch nicht. Mussten sie nicht. Grünbeins Eintreten gegen weitere Polarisierung fand Tellkamp wohlfeil angesichts dessen von der veröffentlichten Mehrheitsmeinung, wie er sagte, weithin getragener Position. Tellkamp indes wolle sich nicht bloß „geduldet“ wissen, sondern „ohne Furcht“ äußern. Schließlich brennen Autos, sagte er, und verwies auf das eines konservativen Politologen in Dresden, nicht aber jenes eines Linksparteipolitikers, das im benachbarten Freital in Flammen aufgegangen war.

Kubitschek will den Riss in der Gesellschaft – jedoch größer, tiefer

Als die mehr oder weniger eloquente bürgerliche Mitte im Publikum schließlich Fragen und Antworten mit dem Podium austauscht, sind entweder Leute wie der ehemalige sächsische Grünen-Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi schon aus dem Saal verschwunden und bald bei Twitter aktiv – nicht ohne zuvor Schimpftiraden vom Rang hinab auf Tellkamp entboten zu haben, während auf dem Podium über die Gefahren debattiert wird, die eine Abwägung der Not von Einheimischen gegen die von Zuwanderern birgt. Legida-Redner und Verleger Götz Kubitschek (Antaios/„Sezession“) wiederum wünscht sich den Riss in der Gesellschaft viel größer, als er längst ist. Dazu spricht er und spricht, als gäbe es die Handzettelchen nicht, laut denen die Redezeit auf „1 Minute“ begrenzt sein soll. An dieser Republik scheint ihm wenig zu liegen. Die Mitte im Saal schaut zu. Danach Klatschen, Buhrufe. Wie gehabt.

Nach dem Abend weiß man nicht recht, ob das ein Anfang ist: dieses einander „aushalten“ Lernen, einander anzuhören. Oder ob der Punkt schon überschritten ist für eine Verständigung. Ob die Ränder nicht weiter Fakten schaffen – in die eine oder in die andere Richtung. Beim einander Zuhören wird es nicht bleiben können.

Dr. Michael Kunze (*1982) ist Journalist, Autor, Blogger, Zeitzeuge. Beiträge für Hörfunk und Zeitung (u.a. FAZ, FAS sowie Die Tagespost) zu Politik, Kultur/Feuilleton, Wirtschafts- und Wissenschaftsthemen, Lokalem. Interesse an Kunst, Literatur und Mode, klassischer Gitarrenmusik von Hans Neusidler bis John Dowland, Politik, Sakralarchitektur und (katholischer) Theologie. Zuletzt erschien: "Sigmund Neumann – Demokratielehrer im Zeitalter des internationalen Bürgerkriegs", Berlin 2015. Homepage: www.michael-kunze.net

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