Fasten ist nicht gleich Fasten. Bei einem geistlichen Fasten geht es darum, Gott näher zu kommen, hat der Psychotherapeut Jörg Müller erklärt. Mit einem Nein zu Kaffee und Co. erreiche man das nicht. Der Theologe gibt Tipps für einen nachhaltigen Verzicht, der über die Fastenzeit hinaus wirken kann.
Entbehren vom Aschermittwoch bis Ostern: „Fastenzeit heißt weniger sündigen“, sagte der Autor und Psychotherapeut Jörg Müller. Allein auf Süßigkeiten oder Kaffee zu verzichten, „hat keinen spirituellen Wert“, erklärte der Leiter der christlichen Therapieeinrichtung „Heilende Gemeinschaft“ in Freising. Der katholische Theologe empfiehlt viel mehr ein Fasten, das nicht nur auf Äußerlichkeiten zielt. „Fasten ist ein Überwinden des inneren Schweinehundes, um Gott näher zu kommen“, andernfalls sei es nur ein körperliches Fasten.
Eine Weise zu fasten, sei etwa das Vorhaben, in den Wochen der Passionszeit seinen Mitmenschen zuzuhören, dem anderen nicht ins Wort zu fallen, oder nicht zu schimpfen und zu tadeln. Stattdessen solle man den anderen nur loben und ihm gut zusprechen. Müller spricht sich in einem Podiumsgespräch während der Kirchenmesse Gloria in Augsburg für ein intensiveres Gebet im Rahmen der Fastenzeit aus, um Schritte auf Gott zuzugehen. Um Gott wirklich dauerhaft näher zu kommen, brauche es aber mehr als fünf Wochen Zeit. Für eine Gotteserfahrung müsse man zur Ruhe kommen.
„Jugend erlebt nicht das Leben, sie postet es“
Abzuschalten und zur Ruhe zu kommen sei „eine Sache der Überwindung“. Als Beispiel führte der Katholik Jugendliche an: „Die Jugend heute ist vielfach Sklave der modernen Technik geworden.“ Viele Jungen und Mädchen seien ständig online und verspürten den Drang, immer wieder Inhalte zu posten. Hier gelte es aber zu hinterfragen, ob meine Freunde, mit denen ich online verbunden bin, wirklich Freunde sind. Mitunter befriedigten Jugendlichen mit den Veröffentlichungen und den Rückmeldungen den eigenen Narzissmus. Müller zeigt sich besorgt: „Die Jugend heute erlebt nicht das Leben, sie postet es.“
Komme eine Person nur schwer zur Ruhe, könne dies an Erlebnissen und Gedanken liegen, die in einem schwelen. Es gilt die Frage zu beantworten: Bin ich mit mir versöhnt? Viele Menschen seien dies nicht, erläuterte der Psychotherapeut. Die Mehrheit von Müllers Patienten sei innerlich verletzt. Die Basis für ein Versöhnt-Sein sei, sich selbst zu vergeben.
„Was denkt Gott von mir?“
Sich abends zu fragen, ob ich versöhnt ins Bett gehe, sei ein Weg, gegen die negativen Gedanken vorzugehen. Wenn dies nicht der Fall ist, könne der Betroffene der Person, mit der er nicht versöhnt ist, einen Brief schreiben oder sie anrufen. Dazu ermutigt Müller auch seine Patienten und hilft ihnen mitunter beim Formulieren des Briefs, wenn sie es selbst nicht schaffen. Immer wieder falle es Menschen schwer, den ersten Schritt in Richtung Versöhnung zu machen. „Wir sind zu verbissen geworden, wir sollten Sachen mit Humor sehen“, ermutigte der Theologe. Müller bete für Menschen, die ihn schlecht behandelt oder „sich an ihm versündigt“ haben. Er selbst schreibe immer wieder Menschen, um sich zu versöhnen. Dies sei oft der erste Schritt, der eine Annäherung voranbringe.
In Müllers Beratung und Behandlung kommen etwa Menschen mit Burnout. Perfektionismus sei ein Faktor, der dazu führen kann, dass man sich ausgebrannt fühlt. Auch wiederkehrende Gedanken wie „Was denken denn die Leute?“ können psychische Probleme hervorrufen. Die Angst vor einem Sympathieverlust komme aus einem falschen Selbstbild. Man „muss es nicht allen recht machen“, sagte Müller. Und rief das Gloria-Publikum auf, wegzutreten von dem Druck, alles richtig zu machen. Stattdessen sprach er sich für Gelassenheit und Freiheit für Fehler aus. Müller forderte seine Zuhörer heraus, den Fokus zu ändern: „Wichtig ist nicht die Frage danach, was die Leute von mir denken, sondern die Frage: Was denkt Gott von mir?“
Lieber Buch lesen als Fernseher schauen
Für die Fastenzeit empfahl Müller, aufzuräumen oder auszumisten, etwa den Schreibtisch, ein Zimmer oder die ganze Wohnung. Heutzutage seien wir „zu vollgestopft“. Sprüchen wie „Man weiß nie, ob man das noch gebrauchen kann“ sollte man sich konsequent entgegenstellen. Wenn sich Müller ein neues Buch ins Regal stellt, komme ein altes Buch heraus. Er vertrat die These: Die häusliche Unordnung sei ein Spiegelbild der Seele. Bei Patienten, die er zu Hause besucht, habe er dies immer wieder erlebt. Vom „äußerlichen Entrümpeln kann man zum innerlichen Entrümpeln kommen“, sagte Autor zahlreicher Bücher.
Wenn es einem Betroffenen nicht gut gehe, solle er sich fragen und in sich hineinhorchen, warum das so ist. Das funktioniere besonders, wenn derjenige sich Zeit nimmt, um in die Stille zu gehen. Dies hätten viele Menschen verlernt. Stattdessen „stopften sie sich voll mit Essen“ oder kommen nach Hause und schalten direkt den Fernseher an. Müller gab den Tipp, sich stattdessen beispielsweise eine ruhige Ecke zu suchen, sich eine halbe Stunde zu nehmen und ein gutes Buch zu lesen. Um sich dies als Gewohnheit anzueignen, brauche man in der Regel zwei bis drei Wochen. Dieses Vorgehen und sich mehrmals in der Woche zu fragen, ob es einem selbst gut geht, nennt Müller Psychohygiene. Die Fastenzeit biete eine gute Möglichkeit, um das eigene Leben zu entschleunigen und zu vereinfachen – und sich Zeit zu nehmen für ein Buch oder Spaziergänge.