Von Georg Dietlein
Natürlich gibt es neben der Welt des Geistes auch noch die Gefühlswelt! Menschen verlieben sich ineinander. Sie fühlen sich sympathisch, anziehend, attraktiv. Selbstverständlich spielen hier auch Schönheit, Charakter, Charme, Intelligenz und viele andere Eigenschaften eine Rolle. Am Ende zählt aber das Gesamtbild. Vermutlich könnte kein Ehepartner nach einigen Jahren Ehe sagen: „Ich liebe meinen Mann / meine Frau wegen … seiner / ihrer schönen Nase … weil er / sie so gut malen kann …“.
Eine solche Liebe wäre immer nur bedingt und begrenzt. Ich kann eine Person nicht wegen einzelner Vorzüge und Eigenschaften lieben. Ich muss sie als ganze, um ihrer selbst willen lieben! Natürlich darf dabei die Liebe wachsen. Verlieben werde ich mich immer in Personen, die mir innerlich sympathisch sind und mich äußerlich ansprechen. Dieses Verliebt-Sein muss allerdings wachsen, um zur wahren Liebe zu werden – Hingabe an eine Person um ihrer selbst willen.
Liebe und verliebt sein
Verliebt zu sein ist etwas anderes als „Liebe auf den ersten Blick“. Lieben „auf den ersten Blick“ kann man nämlich eigentlich gar nicht. Liebe muss wachsen. Auf den ersten Blick kann ich eine Person nur äußerlich attraktiv finden und mich rein äußerlich in sie verlieben. Lieben kann ich eine Person aber erst dann, wenn ich sie auch wirklich kenne. Dann wandelt sich das Verliebt-Sein in echte Liebe: Ich will in erster Linie nicht mehr mein eigenes Wohl, das beim Verliebten darin besteht, möglichst häufig in der Nähe der geliebten Person zu sein. Vielmehr möchte ich nun in erster Linie das Wohl des anderen. Ich schaue nicht mehr auf mich, sondern auf mein Gegenüber.
Sicherlich: In der Realität läuft es oft ein wenig anders. Männer sprechen den Satz mit den drei Worten – „Ich liebe Dich“ – gerne relativ früh aus. Sie wollen die Dame, in die sie sich verliebt haben, für sich gewinnen und immer mit ihr zusammen sein. Möglicherweise wissen sie dabei noch gar nicht, worauf sie sich hier einlassen. Wesentliche Fragen, von denen der Fortbestand der Beziehung abhängt, sind nämlich noch gar nicht geklärt: Wie wollen wir unsere Beziehung gestalten? Welche Rolle spiele ich, welche Rolle spielst Du? Wie verbindlich ist unsere Beziehung? Gerade deshalb empfiehlt es sich, nichts zu übereilen. Spreche ich den Satz „Ich liebe Dich“ zu früh aus und entscheide mich später dann doch dagegen, bleiben oft tiefe Verletzungen. Kaum etwas im Leben ist so frustrierend wie das Wort „Schluss machen“: Ich beende unsere Beziehung. Du bist mir doch nicht so wichtig, wie Du vielleicht gedacht hast. Oder: Vielleicht hätten wir doch ein wenig länger warten sollen, bis wir „in einer Beziehung“ sind.
Liebe und Sex
Gerade um diese wahre, treue und ehrliche Liebe wachsen und reifen zu lassen, wäre die Intimität des Sexualaktes in einer jungen Beziehung noch verfrüht. Für viele Zeitgenossen ist das heute völlig unverständlich: „In einer Beziehung“ ist man doch erst, wenn man auch miteinander geschlafen hat! – Ja und nein. In der Tat: Die sexuelle Begegnung von Mann und Frau ist wesentlich für die Ehe. Sie ist Ausdruck jener verbindlichen, unbedingten und intimen Liebe, die bis zum Äußersten, die bis ans Ende geht. Die Kirche geht sogar so weit, dass für sie eine Ehe erst dann wirklich verbindlich und unanfechtbar ist, wenn sie auch „vollzogen“ wurde, wenn die Ehegatten also miteinander geschlechtlich verkehrt haben.
Das Wort „Vollzug“ ist ein schöner Ausdruck dafür, dass die geschlechtliche Vereinigung nicht die Grundlage der Ehe ist, sondern vielmehr ihr Höhepunkt, ihre Vollendung und ihre Bestätigung. Sooft die beiden Ehegatten miteinander schlafen, stellen sie einander die Liebe, Treue und Hingabe Christi dar. Indem sie sich aneinander verschenken, erneuern sie ihr Eheversprechen und ihre Liebe. Die eheliche Liebe zwischen Mann und Frau kommt also nicht ohne Sexualität aus. Liebe und Sexualität gehören hier zusammen: Liebe in Sexualität und Sexualität in Liebe. Und eben deshalb darf Sex niemals etwas mit Egoismus, mit Triebbefriedigung und Konsum zu tun haben, sondern immer nur mit Liebe. Geschlechtliche Vereinigung bedeutet nicht Vergnügung und Zerstreuung, sondern geschlechtliche Hingabe aneinander.
Das ist die eine Seite von Liebe und Sexualität: Sexualität gehört zur ehelichen Liebe von Mann und Frau dazu. Aber – und das ist die andere Seite der Medaille – sie gehört eben gerade in die Ehe. Liebe braucht Verbindlichkeit, Ganzheitlichkeit und Endgültigkeit. Und das gilt in gleicher Weise für die geschlechtliche Liebe und Hingabe von Mann und Frau. Sexualität ist das Intimste und Persönlichste, was wir als Menschen miteinander erfahren können. Sexualität bringt Leben hervor. Sie ist der höchste Ausdruck unserer menschlichen Leiblichkeit. Sex hat viel mit Gefühl und Empfindung zu tun. Wir sind nackt, schutzlos und verwundbar.
Wir verschenken uns ganz an einen anderen Menschen, geben uns ihm ganz hin, geben das Intimste, was wir haben, einer anderen Person preis. Eben deshalb kann unverbindlicher Sex ohne Liebe auch so tiefe seelische Wunden hinterlassen. Bleiben wir hier nicht unter der Würde unseres eigenen Leibes! Sexualität braucht Verbindlichkeit und Endgültigkeit, wenn sie ehrlich und ernst gemeint ist. Eben deshalb bleibt außerehelicher Geschlechtsverkehr hinter der Würde der Liebe und des menschlichen Leibes zurück.
Besonders deutlich wird dies etwa bei einem „One Night Stand“, der in besonderer Weise die Würde des menschlichen Leibes verletzt: Sex in jener Unverbindlichkeit, dass diese bereits mit Niveau- und Gedankenlosigkeit verwechselt werden könnte. Bei Personen, die davon ausgehen, dass dieser „One Night Stand“ etwas „Ernstes“ sei, wird diese Erfahrung tiefe Wunden hinterlassen. Mann und Frau verbringen gemeinsam eine Nacht – und am nächsten Morgen soll dann wieder nichts gewesen sein. Jeder, der diese Liebeslüge einmal mitgemacht hat, wird am nächsten Morgen den „seelischen Kater“ seines Lebens erleben. Sex ohne Verbindlichkeit widerspricht der Liebe und verletzt die Würde des Menschen.
Das Abenteuer Leben
Und außerdem wissen wir: Jeder geschlechtliche Akt kann zu neuem Leben führen – auch unter Zuhilfenahme von künstlichen Verhütungsmitteln. Sex ist niemals zu 100 % „save“1 – und das ist auch gut so, denn neues Leben ist ein Geschenk. Bei jedem Geschlechtsverkehr bleibt das „Restrisiko“ – ein Wort, das uns viel über die Verbindlichkeit dieser Liebe offenbart – eines Kindes. Dies bedacht sollten sich die Sexualpartner in Ruhe die Frage stellen: Können wir unser Verhalten mit Blick auf das „Restrisiko Leben“ überhaupt verantworten? Was tun wir, wenn aus unserer Zusammenkunft neues Leben hervorgeht? Sind wir bereit, dieses Leben gemeinsam zu verantworten und zu lieben? Sind wir auch bereit, diesem neuen Leben eine verbindliche und abgesicherte Heimat zu geben – in Ehe und Familie? Alle Menschen, die sich lieben und die ihre Liebe auch geschlechtlich zum Ausdruck bringen wollen, lade ich herzlich dazu ein, sich einmal folgende Frage zu stellen: Warum heiraten wir dann nicht einfach und heben unsere Liebe dadurch auf eine Ebene der Verbindlichkeit und der Endgültigkeit? Natürlich sollte das Verlangen nach sexueller Erfüllung der Liebe nicht der einzige Grund sein, die Ehe einzugehen. Aber auch dies kann in die Entscheidung hineinspielen, früh zu heiraten und früh Kinder zur Welt zu bringen.
Kein Sex vor der Ehe
Dieser Anspruch der Kirche ist eine Herausforderung, für manche auch eine Zumutung. Ich habe viele katholische Freunde, für die dieser Anspruch lange Zeit eine Selbstverständlichkeit war … bis dann die erste Freundin kam. Seitdem haben sie den Anspruch abgelegt und sich mit dem einfacheren, nicht zwingend aber besseren Weg begnügt. Denn wenn Sex gleich von Anfang an zur Beziehung dazugehört, kann sich die Liebe gar nicht richtig entfalten. Die beiden Partner gehen eine Verbindlichkeit ein, die sich vielleicht gar nicht möchten. So kann es dann nach einiger Zeit sehr schwer sein, die Beziehung wieder zu beenden, wenn sie sich doch nicht als Bund für das ganze Leben erweist. Die geschlechtliche Vereinigung hatte tiefe Intimität und tiefes Vertrauen begründet, dessen Auflösung nun tiefe Wunden hinterlassen wird.
Sex gehört in die Ehe! – Ein hoher und gleichwohl realistischer Anspruch, der bestimmte Regeln erforderlich macht, die Partner vor voreiligen Aktionen und sonstigen Verführungen bewahren. Eine Regel etwa könnte lauten: Rechtzeitig aufhören! Küsse, Zärtlichkeiten und Streicheleinheiten sind wichtig und gehören dazu, doch sollten sie kein erster Schritt hin zum Vorspiel sein. Wenn es ans Ausziehen geht, sollten alle Alarmglocken läuten. Zwei Verliebte, die sich nackt begegnen, können kaum abschätzen, wie sich das Geschehen weiterentwickelt und verlieren die Kontrolle über sich selbst.
Eben deshalb ist es wichtig, dass Partner solche Situationen und Versuchungen antizipieren und darüber gemeinsam nachdenken. Wie schaffen wir es, in solchen Situationen auf die Bremse zu drücken und nicht ganz unserer Triebhaftigkeit zu erliegen? Wo ziehen wir die Grenze? Wie halte ich meine Begierde, meinen Blick und meine Hände im Griff? Ratsam kann hier etwa folgende Vereinbarung der Partner sein: Wenn ich einmal nach vorne presche, drückst Du auf die Bremse. Wenn Du nach vorne preschst, drücke ich auf die Bremse.
Übrigens kann es sinnvoll sein, auch einmal mit einem Priester über das Thema Liebe zu sprechen – entweder alleine oder sogar mit dem Partner bzw. der Partnerin. Auch das Sakrament der Versöhnung kann die Chance für einen Neuanfang bieten. Niemand kann sich alleine helfen. Im Gespräch mit einem Priester ließen sich etwa folgende Fragen klären: Ist unsere Liebe wirklich echt? Was trägt in unserer Beziehung? Wie stehen wir zu unserer eigenen Leiblichkeit? Wie halten wir es mit der Sexualität? Wie halten wir unsere Liebe rein und frisch?
1 Der Pearl-Index gibt an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine sexuell aktive Frau trotz der Nutzung einer bestimmten künstlichen Verhütungsmethode innerhalb eines Jahres schwanger wird. Beim Kondom beträgt der Pearl-Index immerhin 2 – 15 %. Das „Risiko“ einer (ungewollten) Schwangerschaft ist also auch bei „geschütztem“ Geschlechtsverkehr nicht unerheblich. Und bei Einnahme der „Pille danach“, die übrigens auch nicht immer wirkt, kommt die Gefahr der Frühabtreibung einer bereits befruchteten Eizelle hinzu.
Hier geht es zu Teil 1:
Georg Dietlein (* 1992) ist katholischer Journalist und Publizist. Er begann sein Studium der katholischen Theologie an den Universitäten Bonn und Köln bereits als Schüler im Alter von 13 Jahren. Mit 15 Jahren veröffentlichte er sein erstes Buch. 2013 schloss er sein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln mit einer Arbeit zum kirchlichen Management ab. Zur Zeit beendet er sein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln.