Donnerstag, 21. November 2024

Interview mit einer Heiligen: Teresa von Avila in ihren eigenen Worten

Von Monsignore Florian Kolfhaus

Heilige Teresa, im vergangenen Jahr hast Du Deinen 500. Geburtstag gefeiert. Wie würdest Du Dein Leben kurz und prägnant zusammenfassen?

„Die Überschrift meines Lebens sollte lauten: Die Erbarmung Gottes.“

Was ist Deine Botschaft heute, für uns Menschen des 21. Jahrhunderts?

„Ich wollte, ich stände auf einem hohen Berge, von wo aus ich auf der ganzen Welt gehört werden könnte. Ich würde rufen mit solcher Stimme, dass alle es hörten: O ihr Menschenkinder, betet, betet, betet!“

„Beten“ – Was heißt das?

„Das Gebet ist meiner Ansicht nach nichts anderes als ein Gespräch mit einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil er uns liebt.“

Du warst eine Ordensfrau. Stimmt es, dass Du der Überzeugung bist, jeder (also auch ein „normaler“ Christ) könne – dank des Gebets – ein großer Heiliger werden?

„Wenige begreifen es, was Gott in ihren Seelen wirken würde, wenn sie sich ihm ganz übergäben und seine Gnade in sich wirken ließen. Ein roher Klotz würde es, auch wenn er denken könnte, nie glauben, dass aus ihm eine wundervolle Statue werden könne, noch auch würde er sich dazu den Händen des Künstlers überliefern wollen. Ebenso kommt es manchen Menschen, die kaum ein christliches Leben führen, gar nicht in den Sinn, dass sie große Heilige würden, wenn sie sich der Gnade Gottes gänzlich gefügig zeigten
und seinem wohltätigen Einfluss nicht widerständen.“

Es kommt also bei jedem – ob Ordensfrau, Priester oder Laie – vor allem auf Demut und Liebe an?

„Es ist besser, mit Gottes Willen einen Strohhalm von der Erde aufzuheben, als ohne Gottes Willen die Welt zu bekehren. Der Herr sieht nicht so sehr auf die Größe der Werke als auf die Liebe, mit der sie getan werden.“

Wie hast Du gut zu beten gelernt? Wer war dein Lehrmeister im geistlichen Leben?

„Diejenigen, welche bereits zu beten begonnen haben, haben verstanden, wie wichtig es für sie ist, nicht auf den ersten Stufen stehen zu bleiben. Es ist sehr nützlich, dass jeder entsprechend seiner Situation versucht, sich der Dinge und der Geschäfte zu entledigen, die nicht nötig sind. Das ist von so großer Wichtigkeit, dass ich es für unmöglich halte, jemals die wesentlichen Stufen zu betreten, ohne damit zu beginnen.“

„Wer einen Führer auf dem Weg zum inneren Gebet und innerlichen Leben braucht, soll den heiligen Josef als Führer nehmen, und er wird in ganz kurzer Zeit zum Ziel kommen.“

Wie beginnt man, ein Leben des Gebets zu führen?

„Wer sich dem Gebet zu widmen beginnt – vergesst das nie, denn es ist sehr wichtig –, der muss allein danach streben, sich mit allem Fleiß und Eifer, mit aller Entschlossenheit, deren er fähig ist, darauf einzustellen, dass sein eigener Wille mit dem Willen Gottes übereinstimme.“

Wie kann ich erkennen, dass ich im geistlichen Leben Fortschritte mache und Gott verbunden lebe?

„Ob wir Gott lieben, lässt sich nicht sicher wissen, wenn es auch wichtige Merkmale dafür gibt. Die Liebe zum Nächsten aber, die können wir wissen. Je mehr wir darin fortschreiten, umso größer wird auch die Gottesliebe.“

Und warum fallen wir so oft in alte Sünden und Fehler zurück?

„Gar oft erlaubt der Herr, dass wir fallen, damit die Seele demütig wird. Wahre Demut beunruhigt, verwirrt und stört die Seele nicht,
sondern bringt ihr Frieden, Trost und Ruhe. Gott führt nicht alle denselben Weg. Und vielleicht steht gerade derjenige, der meint, er wandle ganz in der Tiefe, sehr hoch in den Augen Gottes.“

Hattest Du ein Lieblingsgebet?

(Lachend und schmunzelnd) „Vor törichter Andacht und sauertöpfischen Heiligen bewahre uns, o Herr!“ (mit ernsterer Miene) „Mein Gott, habe Erbarmen mit jenen, die kein Erbarmen mit sich selbst haben.“ Und: „Gepriesen sei der Herr, der mich von mir selbst erlöst hat!“

Du hast den Orden der Karmeliten reformiert, zu seiner alten und strengeren Ordnung zurückgeführt, obwohl Du gegen gewaltige Widerstände innerhalb und außerhalb der Kirche zu kämpfen hattest. Wieso hast Du angesichts so vieler Gegner nicht aufgegeben?

„Gott und ich, wir zusammen sind immer die Mehrheit.“

„Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Wer Gott hat, der hat alles. Gott allein genügt.“

Waren Deine Reformideen nicht zu radikal und gerade mit Blick auf Gebet und Bußwerke viel zu schwer für die meisten, die sich Dir anschließen wollten? 

„Es ist eine wichtige Angelegenheit, dass die Seelen von Anfang an mit dem Entschluss hineingehen, einzig Christus beim Kreuztragen zu helfen. Wie groß euch die Prüfungen auch vorkommen und wie schmerzlich sie für euch sein mögen: Ihr werdet Trost finden, wenn ihr erkennt, wie lächerlich klein sie im Vergleich zu denen sind, die der Herr erduldet hat.“

Warum wolltest Du mit anderen Ordensschwestern hinter „Klausurgittern“ leben anstatt in der Welt zu wirken? Warum so viele Regeln, über die man täglich stolpert; warum nicht mehr Freiheit in „weltlichen Dingen“?

„Die wahre Abhilfe, um nicht zu fallen, besteht darin, dass wir uns ans Kreuz klammern und auf den vertrauen, der daran hing. Ihn empfinde ich als wahren Freund, so dass mir scheint, als könnte ich der ganzen Welt, die sich mir entgegenstellt, widerstehen, sofern mir nur Gott nicht fehlt. Wer von diesem Wasser trinkt, wird nicht mehr nach den Dingen des Lebens dürsten. Der Durst nach den Dingen des anderen Lebens wird viel stärker als wir es uns durch den natürlichen Durst vorstellen können. Wie brennend ist das Verlangen nach diesem Durst. Denn die Seele erkennt seinen großen Wert. Die größte Gnade, die Gott der Seele erweisen kann, wenn er ihren Durst stillt, ist daher, sie weiterhin dürsten zu lassen. So verlangt sie immer mehr danach, von diesem Wasser zu trinken“.

Hast Du einen einfachen Tipp, wie wir besser an der heiligen Messe teilnehmen können?

„Wenn ihr gerade den Herrn empfangen und ihn in eigener Person in euch habt, dann versucht, die Augen des Leibes zu schließen, die der Seele zu öffnen und in euer Herz zu blicken! Bleibt nur gerne bei ihm! Versäumt eine so gute Gelegenheit wie die Stunde nach der heiligen Kommunion nicht, um euch mit ihm auszutauschen.“

Würdest Du noch einmal auf Erden leben, was würdest Du anders machen?

„Sicher hast Du schon manche Gebetsbücher gesehen, in denen der Seele geraten wird, in sich selbst einzutreten. Nun, genau darum geht es. Denn nach meinem besten Verständnis ist das Gebet das Eingangstor zu diesem Schloss. Hätte ich früher erkannt, dass der winzige Palast meiner Seele einen so großen König beherbergt, dann hätte ich ihn nicht so häufig allein gelassen.“

Du hattest verschiedene mystische Erlebnisse, darunter auch die beeindruckende Vision eines Engels, der mit einem flammenden Pfeil Dein Herz durchbohrt hat. Sind solche übernatürlichen Ereignisse typische Zeichen des geistlichen Lebens?

„Schwer täuschen sich jene, die meinen, die Vereinigung mit Gott bestehe in
Ekstasen, Verzückungen und geistlichen Tröstungen. Sie besteht allein in der Übergabe unseres Willens an Gott, vorausgesetzt, dass diese Übergabe vollkommen ist.“

Eines Deiner vielen Gedichte heißt „Schlaft nicht“. Du willst keine mittelmäßigen Christen, sondern heilige Helden; keine frömmelnde Zwerge, sondern in der Tugend bewährte Riesen…Warum?

„Gott will die Erde, kein Feigling sei unter euch;  wagen wir das Leben, denn der wird es sich am besten bewahren, der es verloren gibt. Christus ist unser Feldherr und der Lohn dieses Krieges. Schlaft nicht, schlaft nicht, denn es gibt keinen Frieden auf Erden.“ Wie kann unser normales, christliches Leben zu einem heldenhaften werden?

„Richtet eure Augen auf den Gekreuzigten, und alles wird euch leicht werden. Wenn der Herr uns seine Liebe erwiesen hat in solch ungeheuren Werken und Qualen – wie wollt ihr ihn da allein mit Worten zufriedenstellen? Wisst ihr, was es heißt, wahrhaft geistlich zu leben? Allein mit Gebet und Beschauung könnt ihr euer Fundament nicht legen. Wenn ihr nicht nach Tugenden trachtet und euch nicht tätig darin übt, werdet ihr immer Zwerge bleiben.“

Die Heiligen sind die Freunde Gottes. Wie wächst der vertraute und liebevolle Umgang mit dem Herrn?

„Immer wenn wir an Christus denken, sollen wir uns an die Liebe erinnern, denn Liebe bringt Liebe hervor.“

Pius XII. hat Dich zur Patronin der Schachspieler erklärt, weil Du das geistliche Leben mit einem  Schachspiel vergleichst, in dem es darauf ankommt, die Figuren zu kennen und sie richtig zu setzen. Ist hier Gott  der Partner in diesem Spiel, der nur dann „bezwungen“ werden kann, wenn der Beter die Tugenden (=Figuren) gelernt hat und sie zu spielen weiß? 

„Es gibt keine „Dame“, die den göttlichen König so sehr bezwingt, wie die Demut. Diese zog ihn vom Himmel herab in den Schoß der Jungfrau; und durch eben diese Demut werden wir ihn wie mit einem Haar in unsere Seele ziehen. Glaubt mir, je demütiger ihr seid, umso mehr werdet ihr ihn besitzen. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass es Demut ohne Liebe oder Liebe ohne Demut geben kann.

O herrliche Tugenden, Herrinnen über alles Geschaffene, Herrscherinnen der Welt, Befreierinnen von allen Fallstricken und Intrigen des Teufels, so sehr Geliebte unseres Lehrmeisters Christus, der nie auch nur einen Augenblick ohne sie war! Wer diese Tugenden besitzt, kann getrost hinausgehen und gegen die gesamte Hölle und gegen die ganze Welt und ihre Versuchungen antreten. Niemand braucht er zu fürchten. Er fürchtet nur, seinem Gott zu missfallen, und fleht ihn an, ihn in diesen beiden Tugenden zu festigen.“

Gott ist allmächtig. Warum will er unsere Mitarbeit?

„Christus hat niemanden auf Erden außer euch, keine Hände außer euren, keine Füße außer euren, Deine Augen sind es, durch die man auf Christi Erbarmen gegenüber dieser Welt blickt; Deine Füße sind es, mit denen Er herumgeht, um Gutes zu tun; Deine Hände sind es, mit denen er die Menschen jetzt segnet.“

Ein Wort zum Schluss?

„Solo Dios. Basta!“

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