Dienstag, 26. November 2024

Dylans Nobelpreis und der dunkelkatholische Echoraum

Ein Kommentar von Dr. Tobias Klein

Voilà, liebe Leser: Ich habe soeben die erste entscheidende Hürde genommen, indem ich diesen Artikel nicht mit „The Times, they are a-changing“ überschrieben habe. An dieser Klippe scheitern anscheinend die meisten, die einen Essay, einen Kommentar oder eine Glosse zur Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan verfassen wollen oder müssen. Man kann’s ja auch verstehen: Der Titel passt schon ziemlich gut. Aber er ist eben auch ein bisschen billig, weil letztlich eben dich nur vom Meister geklaut.

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Wenn ich „Meister“ sage, dann verrät das wohl schon, dass ich die Wahl des Nobelkomitees gut finde. — Was heißt „gut“ – ich finde sie prima. Ich feiere sie ab. Whoop whoop!

Mir ist bewusst, dass unter denen, die diese Entscheidung des Nobelkomitees nicht nur nicht gut, sondern ausgesprochen doof finden, Personen sind, die ich schätze und mag. Diesen (und auch all jenen mit der Vergabe des Nobelpreises an Bob Dylan unzufriedenen Lesern, die ich zwar nicht kenne, die ich aber vielleicht schätzen und mögen würde, wenn ich sie kennte) rufe ich zu: Ich respektiere Eure Meinung! Sie soll Euch nicht genommen werden. Ihr seid schließlich schon gestraft genug damit, dass Bob Dylan den Preis trotz Eurer Einwände bekommt. Niemand kann von Euch verlangen, das auch noch gut zu finden.

Und wenn ich in den folgenden Absätzen einige scharfe Worte darüber verlieren werde, warum ich meinerseits das Gemäkel daran, dass Bob Dylan den renommiertesten Literaturpreis der Welt erhält, doof finde, dann nehmt das nicht persönlich. Und seid getrost: Diese Kritik wird nicht der Hauptinhalt dieses Artikels sein. Ihr dürft auch vorscrollen.

Tatsächlich ist die Vergabe des Nobelpreises für Literatur ja grundsätzlich immer umstritten. Man erinnere sich nur mal an das Gezeter der Kritikerzunft, als Dario Fo die Auszeichnung erhielt. Oder Harold Pinter. Oder gar Pearl S. Buck – okay, das ist schon etwas länger her. Beim Physik-Nobelpreis gibt es solche Debatten wohl weniger, oder wenn doch, dann allenfalls in den engeren Fachkreisen. Bei Literatur ist jeder ein Fachmann, der lesen kann und das ab und zu auch tut. —

Im Ernst: Ich bin überzeugt, dass viele Nobelpreis-Nörgler sehr gebildete und belesene Leute sind, die diejenigen Autoren, die immer mal wieder als Kandidaten für den Literaturnobelpreis gehandelt werden, ihn dann aber doch nicht bekommen, tatsächlich kennen. Also, ihre Werke, meine ich. Nicht wenige haben wohl auch ihre persönlichen Favoriten auf der Shortlist. Haruki Murakami zum Beispiel. Also, wenn eingefleischte Murakami-Fans jetzt etwas scheele Blicke auf Bob Dylan werfen, dann habe ich dafür menschlich Verständnis. Obwohl ich in meinem Leben noch keine einzige Zeile von Murakami gelesen habe.

Nun gibt es im aktuellen Falle natürlich auch Leute, die meinen, ein Musiker, noch dazu ein Popularmusiker, sei von vornherein eine bizarre Wahl für den Literaturnobelpreis. Was letztlich darauf hinausliefe, Lyrik, die nicht im schön gebundenen Buch mit Lesebändchen daherkommt, sondern zur Gitarre gesungen wird, sei keine Literatur – und das ist ja schon rein historisch eine abstruse Prämisse.

Die Alten Griechen haben die Lyrik schließlich deshalb Lyrik genannt, weil sie zur Lyra gesungen wurde. Was nun konkret Bob Dylans Dichtung betrifft, wird man nicht leugnen können oder wollen, dass sie in der Tradition des Folksongswurzelt – aber sollte das keine literarische Form sein? Die Herren Arnim, Brentano und Co. danken für Ihre Stellungnahme! — Nebenbei bemerkt hat Bob Dylan, noch bevor er seine erste Platte aufnahm, seine Songtexte durchaus auch in Literaturzeitschriften publiziert, aber in gesungener und gespielter Form erreichten sie natürlich ein weit größeres Publikum. Und da haben wir gleich das nächste Problem: Popularität.

Der literarische Snob rümpft nun mal gern die Nase über alles, was auch dem ungebildeten Pöbel gefällt. Da könnte man nun natürlich die steile Gegenthese wagen: Große Kunst zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie auch beim ungebildeten Pöbel ankommt. — Man verstehe mich nicht falsch: Popularität allein ist kein Qualitätsmerkmal. Mangelnde Popularität hingegen könnte durchaus eins sein, nämlich ein negatives. Man komme mir jetzt bitte nicht mit Kleist oder Büchner: Die waren schließlich nicht deshalb zu Lebzeiten so erfolglos, weil die breite Öffentlichkeit ihre Werke nicht verstanden hätte — die breite Öffentlichkeit hatte gar nicht erst die Gelegenheit, ihre Werke kennenzulernen. Verkannt wurden diese Autoren gerade von den literarisch gebildeten Eliten.

Nehmen wir mal ein Beispiel aus einem anderen Bereich: Architektur. Wenn man sich heutzutage die Siegerentwürfe hochdotierter Architekturwettbewerbe ansieht, muss man ja erst mal seitenlange Erläuterungen lesen, warum der eine Schuhkarton angeblich künstlerisch wertvoller sein soll als die anderen Schuhkartons. Wenn man hingegen irgendeinen Müllmann oder Imbissbudenverkäufer in eine gotische Kathedrale stellt – in León zum Beispiel -, dann wird der intuitiv begreifen, dass er ein Meisterwerk vor Augen hat.

Und dann gibt es natürlich noch die Leute, die von Bob Dylans Dichtung überhaupt keine Ahnung haben und ihn einfach für irgendeinen Schlagerfuzzi halten. Die vielleicht gerade mal „Blowin‘ In The Wind“ kennen, weil das früher im Ferienlager immer am abendlichen Lagerfeuer geklampft wurde; und wenn sie der Meinung sind, das sei ja nun wohl keine nobelpreiswürdige Dichtung, kann man ihnen eventuell zustimmen. Aber Eichendorff würde man ja auch nicht nur anhand des Gedichts „Der frohe Wandersmann“ beurteilen (wobei ich persönlich das super finde).

Soweit also in aller Kürze meine Entgegnung auf die gängigsten Einwände gegen die Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan. Was hat das aber nun mit dem dunkelkatholischen Echoraum zu tun? — Nun ja, zunächst mal ist das einfach eine liebevoll-augenzwinkernde Bezeichnung für meine persönliche Filterbubble in den Sozialen Medien. Und wie Filterbubbles das nun mal so an sich haben, habe ich die Nachricht von der Auszeichnung Bob Dylans zunächst einmal durch diese hindurch wahrgenommen. Was mich darauf gebracht hat, das es doch irgendwie ganz interessant sei, zu beobachten, wie die (vermeintlich) erzkonservativ-reaktionär-fundamentalistische Katholen-Szene im Netz Bob Dylan und die Tatsache, dass er den Literaturnobelpreis bekommt, beurteilt.

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Ein einheitliches Bild ergibt sich da natürlich nicht. Schon unter den (laut Bednarz et al.) Galionsfiguren des feuilletonistischen Dunkelkatholizismus herrscht Uneinigkeit: Matthias Matussek fand die Entscheidung des Nobelkomitees „[a]bsoult cool“, Alexander Kissler dagegen „ridikül“. Nun muss man zugeben, dass man Matussek schon vom Typ her weitaus eher zutrauen würde, auch privat Bob Dylan zu hören, als das bei Dr. Kissler anzunehmen wäre. Aber, siehe oben. De gustibus non est disputandum.

Auch sonst verfielen einige katholische Denker angesichts der Verleihung des Literaturnobelpreises an einen zauselhaarigen Zupfgeigenhansel in Kulturpessimismus oder äußerten Einwände der oben sezierten Art; aber insgesamt schien das – jedenfalls in meiner Filterblase, wie gesagt – eine Minderheitenposition zu sein. Meine Facebook-Timeline war und ist voll von Freude und Jubel über diese Ehrung des Folk-Poeten Dylan, und zwar nicht nur auch, sondern vor allem der tief katholische Teil meiner Timeline.

Das Dunkelkatholen-Sprachrohr kath.net veröffentlichte einen Artikel, der besonders auf die religiöse Inspiriertheit von Dylans Schaffen abhob und in diesem Zusammenhang auch an seinen Auftritt „vor 300.000 Jugendlichen und dem damals 77-jährigen Johannes Paul II. auf dem Eucharistischen Kongress in Bologna“ im Jahr 1997 erinnert – und daran, dass der Papst daraufhin sogar in seiner Predigt auf Dylan-Verse Bezug nahm. (Es wird allerdings auch nicht verschwiegen, dass der damalige Kardinal Ratzinger Einwände gegen Bob Dylans Auftritt bei dieser Veranstaltung hatte.) Und in den Kommentaren unter diesem Artikel tauschen sich Leser bemerkenswert kenntnisreich über Beispiele religiöser Metaphorik in Dylans Songtexten aus.

Skeptiker oder Spötter mögen nun argwöhnen, wenn das dunkelkatholische Milieu Bob Dylans Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis öffentlich abfeiere, wolle es sich damit populär machen. Diese Einschätzung verkennt allerdings zweierlei: erstens, dass dem echten Dunkelkatholen an kaum etwas so wenig liegt wie am Beifall der Welt; und zweitens, dass die in Sozialen und anderen Medien aktiven Dunkelkatholen keineswegs immer, ja nicht einmal überwiegend eine bruchlose, behütete Biographie im geschlossenen kirchlichen Milieu hinter sich haben, die von Ministrantendienst und Kinderchor geradewegs zum Senioren-Gemeindekaffee führt, sondern im Gegenteil vielfach eine ausgesprochen gewundene spirituelle Reise, die sie mit allerlei Einflüssen jenseits eines solchen geschlossenen Milieus in Berührung gebracht hat.

Und dazu gehören wohl für die Allermeisten, die nach dem II. Weltkrieg sozialisiert wurden, nicht zuletzt Einflüsse aus der Rock- und Popkultur – in der nun wiederum Bob Dylan eine Bedeutung hat, die gar nicht überschätzt werden kann. Womit ich sagen will: Die (oder, wenn ich mich selbst da mal mit einschließen darf, WIRtun nicht nur so, als fänden wir Bob Dylan toll, sondern das kommt wirklich von Herzen.

Exemplarisch deutlich wird das etwa an Bischof Robert Barron, der auf der von ihm begründeten Website „Word on Fire“ schon mehrfach Beiträge veröffentlicht hat, die sich mit der Poesie Bob Dylans auseinandersetzen (siehe z.B. hierhier und hier). Anlässlich der Bekanntgabe der Entscheidung des Nobelkomitees schreibt Bischof Barron auf Facebook:

„Freunde, ich war absolut begeistert, als ich erfuhr, dass Bob Dylan mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wird. Ich habe Dylan zum ersten Mal gehört, als ich 13 war – eine Live-Version von „A Hard Rain’s Gonna Fall“ aus dem Concert for Bangladesh-, und seitdem bin ich ein Fan. […] Dylans Themen sind natürlich vielfältig – Politik, Konflikte des Herzens, Krieg und Frieden und so weiter. Aber sein eigentlich beherrschendes Thema, vom Beginn seiner Karriere an, ist der Gott der Bibel. […]
Er steht sehr stark in der Tradition der großen Propheten und Weisen Israels; wie Jakob hat er sein Leben lang mit Gott gerungen.“

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Kann man dieses Lob noch übertreffen? ich wüsste nicht wie, darum höre ich jetzt auf. Herzlichen Glückwunsch, Mr. Dylan!

Dr. Tobias Klein, geboren 1976 in Nordenham/Niedersachsen, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft und lebt seitdem in Berlin. Auf „Huhn meets Ei (hey hey, my my)“ bloggt er über Glaube, Kirche und Religion in Medien und Gesellschaft.

1 Kommentar

  1. Alles schön und gut – der beste Kommentar zu Bob Dylan, meiner bescheidenen Meinung nach, findet sich im Spielfilm „Dangerous Minds“ mit Michelle Pfeiffer. Sie hat (als ex-US-Marine) eine sehr schwierige Highschool-Klasse bekommen. Sie fragt einen Kollegen, wie sie ihre Klasse an moderne Poesie heranführen kann. Er sagt etwas wie „ich würde Dylan nehmen“. Sie erwidert; „Zu alt – der ist doch schon längst tot.“ Dann sagt er erstaunt; „Was?! Bob Dylan ist tot?!“

    Auch wenn ich mich seh freue, und seinen großen EInfluß anerkenne, den er auf Fluten von (nicht nur amerikanischen) Singer-Songwriters hatte und hat, bin ich der felsenfesten Überzeugung, daß die literarische Qualität ein wesentlich höheres Gehalt hat im Werk von Willie Nelson. Außerdem sind seine Melodien schöner, seine Akkordprogressionen ebenfalls, genauso wie sein markantes Gitarrenspiel. Seine Stimme auch. Na ja – ein wenig…

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