Donnerstag, 28. November 2024

„Frühstück bei Monsieur Henri“

Die junge Studentin Constance zieht nach Paris und bezieht ein Zimmer zur Untermiete bei dem mürrischen Monsieur Voizot. Der alte Herr unterbreitet der von Geldnöten geplagten jungen Frau ein perfides Angebot, das darin besteht, dass Constance seinen verheirateten Sohn verführen soll.

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Endlich darf Constance (Noémie Schmidt) der Enge der französischen Provinz in Orléans und dem gestörten Verhältnis zu ihrem Vater (Stéphan Wojtowicz) entfliehen, als sie in Paris ein Studium aufnimmt. In der Pariser Innenstadt sind die Mieten nicht gerade erschwinglich. So nimmt sie in Kauf, dass beim mürrischen Monsieur Henri Voizot (Claude Brasseur) strenge Regeln herrschen, als sie bei ihm ein Zimmer mietet. Henri wiederum vermietet das Zimmer nur, weil sein Sohn Paul (Guillaume de Tonquédec) sich Sorgen um seinen gebrechlichen Vater macht. Wenn kein Untermieter ein Auge auf ihn haben kann, müsste Henri wohl in ein Altersheim. Auch die Beziehung zwischen Monsieur Henri und seinem Sohn ist nicht gerade zum Besten bestellt, insbesondere weil Henri Pauls Frau Valerie (Frédérique Bel) für ziemlich einfältig hält. So kommt der Alte auf einen perfiden Plan: Er erlässt der Studentin sechs Monatsmieten, wenn sie sich im Gegenzug bereit erklärt, seinen Sohn Paul zu verführen.

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„Frühstück bei Monsieur Henri“ („L étudiante et Monsieur Henri“) basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Drehbuchautor und Regisseur Ivan Calbérac. Die Zweck-Wohngemeinschaft zwischen dem achtzigjährigen Griesgram und der zwanzigjährigen Studentin bietet allerlei Situationskomik, wenn sie etwa seine Pantoffeln klaut oder sich auch verbotenerweise ans Klavier von Monsieur Henris verstorbener Frau setzt. Der Handlungsstrang mit dem unsittlichen Vertrag liefert ebenfalls allerlei witzige Situationen, die allerdings nie über das Platonische hinausgehen. Vielmehr bringt er eher eine Annäherung zwischen den beiden Frauen, denn Constance stellt fest, dass Valerie im Grunde eine zwar naive, aber herzensgute Frau ist, die ihren Mann über alles liebt. Die Schweizerin Noémie Schmidt, die hier ihr Spielfilmdebüt liefert, glänzt mit einer Mischung aus Natürlichkeit und Entschlossenheit, die einem ebenfalls überzeugenden Claude Brasseur Paroli bieten kann.

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Interview mit Drehbuchautor und Regisseur Ivan Calbérac sowie mit der Hauptdarstellerin Noémie Schmidt

Dass ältere Menschen Studenten ein Zimmer vermieten, gibt Letzteren die Chance, bezahlbar in der Innenstadt leben zu können. Wie kamen Sie auf die Idee, darüber einen Film zu drehen?

Ivan Calbérac: Ich hatte im Fernsehen eine solche Reportage gesehen. Dies ist perfekt für Studenten, weil die Mieten in Paris horrend hoch sind. Für mich war aber der Gedanke wichtig, zwei Menschen zusammenzubringen, von denen der eine am Ende und der andere am Anfang des Lebens steht. Allerdings sollte dies nicht wie in der Reportage auf freiwilliger Basis geschehen, sondern irgendwie widerwillig.

Was für Menschen sind das? Frau Schmidt: Wir würden Sie Constance schildern?

Noémie Schmidt: Sie ist eine ambivalente Figur. Auf der einen Seite hat sie einen starken Charakter, auf der anderen fehlt ihr aber Selbstvertrauen. Denn das Verhältnis zu ihrem Vater hat sie einerseits stark gemacht, aber andererseits auch das Vertrauen in sich selbst genommen. Ihr erster Eindruck von Monsieur Henri ist nicht gerade positiv, denn er erinnert sie an ihren eigenen Vater. Eigentlich sollte sie sich lieber eine andere Wohnung suchen. Aber das ist in Paris nicht gerade einfach. Wenigstens hat sie gelernt, gut zu kontern, was sie auch gegenüber Monsieur Henri tut. Die beiden sind wie zwei Katzen, die einsam sind und gegeneinander ihre Krallen ausfahren.

Und Monsieur Henri? (Die Frage stellen wir Ivan Calbérac, da Claude Brasseur aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht nach Berlin kommen konnte).

Ivan Calbérac: Eine Figur wie der missmutige, stänkernde ältere Herr kommt schon im klassischen Theater vor. Claude Brasseur ist eigentlich sehr charmant. Während der Dreharbeiten lächelte er häufig. Ich musste zu ihm sagen: „Nein, Monsieur Henri lächelt nicht“. Er hatte Angst, dass man die Figur nicht mögen würde. Ich sagte aber zu ihm: „Mach Dir keine Sorgen. Je böser Du wirkst, desto mehr werden die Zuschauer Dich mögen.“ Und weil Constance – wie gerade von Noémie (Schmidt) gesagt – viel Charakter hat, kann man erwarten, dass es zwischen den beiden zu einer Auseinandersetzung kommt. Er will seine Ruhe. Sie hingegen muss ihren Lebensweg finden. Zunächst ist Monsieur Henri sehr angespannt, nervös. Deshalb muss er Frieden mit sich selbst schließen.

Die Handlung wird dadurch vorangetrieben, dass Henri seinen Sohn und dessen Frau trennen will. Constance soll ihm dabei helfen. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ivan Calbérac: Mein Vater mochte meine Freunde und die Freunde meines Bruders nicht. So kam ich auf die Idee (lacht). Nun, mein Vater würde nie eine solche Initiative ergreifen. Aber ich habe mich gefragt, was passieren würde, wenn man dies doch tut.

Noémie Schmidt: Es handelt sich schon um ein unmoralisches Angebot. Constance sieht sich aber dazu gezwungen, es anzunehmen. Zunächst einmal fühlt sie sich von diesem Angebot vor den Kopf gestoßen, weil sie ein unschuldiger, reiner Mensch ist. Aber auf der anderen Seite sieht sie darin auch eine Art Rebellion gegen ihre eigenen Eltern. Und das Verbotene zieht sie irgendwie an …

Paul macht sich auf einmal Hoffnungen, dass sich Constance für ihn interessieren könnte. Dabei sagt er, dass er seiner Frau treu ist. Fühlt er sich geschmeichelt oder ist er einfach etwas eingebildet?

Ivan Calbérac: Zunächst einmal glaubt er es selbst nicht. Aber Paul ist verwirrt, so dass er einfach den Verstand verliert. Von außerhalb betrachtet kann man es kaum glauben. Aber wenn man selbst drin steckt … Paul ist ja ziemlich naiv. Das passt ja zu einer Komödie.
Noémie Schmidt: Constance sieht sich in Paul wie in einem Spiegel. Die Verführung, wozu sie von Monsieur Henri angestiftet wird, funktioniert nicht. Was funktioniert, ist, dass sie Paul versteht. Dadurch versteht Constance auch, dass ihr eigener Vater sie liebt. Aber sie weiß nicht, wie sie es ihm sagen soll.

Wie ist die Beziehung zwischen Constance und Valerie?

Noémie Schmidt: Constance empfindet viel Empathie für Valerie. Constance spürt Valeries Zerbrechlichkeit. Valerie liebt ihren Mann und möchte mit ihm Kinder haben. Auch wenn die beiden Frauen sehr unterschiedlich sind, fühlt sich Constance gegenüber Valerie schuldig. Denn eigentlich will Constance dieser Frau nichts Böses. Allerdings kann Valerie auch unausstehlich, eine Nervensäge sein.

Ivan Calbérac: Valerie ist ja ziemlich tollpatschig. Dumm ist sie nicht, aber sie tritt immer wieder ins Fettnäpfchen, sie sagt nie das richtige Wort im richtigen Augenblick. Sie möchte von ihrem Schwiegervater akzeptiert werden. Aber egal, was sie tut, sie macht es immer falsch. Sie erwartet von ihrem Mann, dass er sie gegen den Schwiegervater verteidigt, dass er mehr für sie eintritt.

Inwiefern wirkt es sich, dass Constance Paul und Valerie kennenlernt, auf Constances Beziehung zu Monsieur Henri aus?

Noémie Schmidt: Sie versteht sehr bald, dass er nicht böse, sondern einsam und unglücklich ist. Er ist verbittert, weil er sich selbst alles versagt, und sich dadurch sozusagen eine „Unglücksblase“ schafft, in der er lebt. Constance erkennt allerdings von Anfang an sein großes Herz.

Ist für Sie besonders interessant, dass Sie nicht nur eine bestimmte Figur spielen, sondern auch eine Figur, die ihrerseits eine Rolle, die Rolle der Verführerin, spielt?

Noémie Schmidt: Natürlich ist es hyperinteressant, eine Rolle in der Rolle spielen zu können. Es ist eine Art Zugabe. Eigentlich wollte Constance diese Rolle nicht spielen. Ich wollte jedoch zeigen, dass sie diese Entscheidung getroffen hat, dass diese Entscheidung auch eine negative Seite hat, dass sie mit der Verführung spielt. Dadurch wird der Unterschied zwischen den „beiden“ Figuren, zwischen Constance und der Verführerin, deutlich.

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Filmische Qualität: Dreieinhalb Sterne (max. fünf Sterne) Regie: Ivan Calbérac Darsteller: Claude Brasseur, Noémie Schmidt, Guillaume de Tonquédec, Frédérique Bel, Thomas Solivéres, Valérie Kéruzoré, Stéphan Wojtowicz Land, Jahr: Frankreich 2015 Laufzeit: 99 Minuten Genre: – Publikum: ab 12 Jahren Einschränkungen:  im Kino: 07/2016

Dr. José García, geb. 1958, Magister Artium 1982, promovierte in Mittlerer und Neuerer Geschichte an der Universität Köln 1989. Filmkritiker für verschiedene Zeitungen. Autor der Filmbücher „Träume, Werte und Gefühle. Die wundersame Welt von Film und Kino“ und „Der Himmel über Hollywood. Was große Filme über den Menschen sagen„. Mitglied im Verband der deutschen Filmkritik, Mitarbeit an den Jurys für die Verleihung des „Preises der Deutschen Filmkritik“. José García lebt und arbeitet in Berlin.

(Quelle: textezumfilm)

Quelle: Dr. José García. Dieser Artikel erschien auf dem Nachrichtenportal Zenit.org und darf hier weiterverbreitet werden. The Cathwalk empfiehlt seinen Lesern das Abonnieren des zenit.org-Newsletters.

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