Von Josef Bordat
Das Apostolische Glaubensbekenntnis ist weit mehr als eine Auflistung von zu glaubenden Aussagen über Gott. Es ist ein dichter, vernünftiger und anspruchsvoller Text von tiefer Weisheit, in dem die zentralen Glaubenswahrheiten als Einsichten vieler Generationen von Christen tradiert sind. Zugleich spricht das Credo die philosophischen Grundfragen des Menschseins an, um Sie von Gott her, aus dem Glauben heraus zu beantworten.
Es ist sicher ein gewisses Wagnis, das Credo als Philosoph zu kommentieren, nicht als Theologe. Aber solange man dabei katholisch bleibt, sollte das wohl möglich sein. So nähere ich mich den Glaubenswahrheiten philosophisch an – Zeile für Zeile, Wort für Wort -, getragen von der festen Überzeugung, dass Glaube und Wissen, Herz und Verstand sich nicht ausschließen, wenn es darum geht, das Glaubensbekenntnis in seiner metaphysischen Weite zu durchdringen.
Rasch stößt man dabei auf die Theodizeefrage: Wie verhalten sich der Vater und der Allmächtige zueinander? Das Apostolische Glaubensbekenntnis bindet die Charakterisierungen Gottes ganz eng zusammen und macht aus ihnen schließlich eine Einheit. Zunächst folgt auf „Vater“ gleich der „Allmächtige“, dann ist vom „allmächtigen Vater“ die Rede; den „väterlichen Allmächtigen“ mag man sich hinzudenken. Wer in seiner Gottesvorstellung A sagt (wie allmächtig) und B (wie barmherzig), der muss sich der Theodizeefrage stellen.
Ich tue dies mit Gottfried Wilhelm Leibniz (dessen 300. Todestag wir in diesem Jahr begehen), aber auch mit Hans Jonas, ehe ich das Golgatha-Ereignis als Antwort auf die Theodizeefrage vorstelle: Aufgrund des Kreuzes können wir „barmherziger Vater“ und „allmächtiger Herr“ in einem Atemzug sagen. Auch in den tiefsten Abgründen des Lebens, in denen wir Verlassenheit spüren, ist Gott da. Gleichzeitig erfährt auch der gekreuzigte Jesus die Gottferne des Menschen. Gott ist in Jesus Christus bei uns, auch, wenn wir leiden. So gibt es kein sinnloses Leid, weil alles im Kreuz aufgehoben ist, im Leid der Gottverlassenheit, das größer ist als jedes andere Leid.
Das nächste Thema ist das Bekenntnis des Schöpfers, der Schöpfungsglaube. Ist der nicht mittlerweile obsolet? Reicht nicht „Big Bang“ plus Darwin aus, um ein vernünftiges Weltbild zu haben? Nicht, wenn es um den Grund des Ganzes geht, um die Frage, warum es überhaupt geknallt haben sollte, vor x Milliarden Jahren. Schöpfung ist nicht kausaler Anfang, sondern finaler Ursprung, Gott nicht Beginn, sondern Grund der Welt.
Diese These vertrete ich mit der Schöpfungstheologie zweier sehr unterschiedlicher Dominikaner (deren 800. Gründungstag wir in diesem Jahr begehen): Meister Eckhart und Thomas von Aquin, was mich zur Idee der theistischen Evolution führt: Die Natur erscheint uns als zweckhaft organisiertes Ganzes, dessen Prozesse eine teleologische Struktur aufweisen, die sich durch eine genauere Betrachtung aber nicht entschlüsseln lässt. Ihre Ursache müsste – wenn wir uns nicht täuschen – außerhalb der naturwissenschaftlichen Betrachtung liegen.
Die Welt erscheint uns also einerseits zutiefst sinnvoll, anderseits erfahren wir von diesem Sinn nichts durch die Naturwissenschaft, die uns aber für die Beschreibung und Erklärung der Prozesse selbst durchaus befriedigende Theorien bereitstellt. Daraus folgt, dass wir entweder einer Täuschung unterliegen und uns die Zwecke in der Natur und den Sinn der Welt nur einbilden (dann nämlich, wenn die Naturwissenschaft schon alles erklärte und jede weitere Frage unsinnig wäre), oder aber, dass es Zwecke und Sinn tatsächlich gibt, sie jedoch außerhalb der Natur gesucht werden müssen.
Die Frage ist also: Erklärt die Naturwissenschaft alles, was uns an der Natur auffällt? Täuschen wir uns wirklich hinsichtlich der Evidenz des Telos’, den wir bei alltäglichen Natur- und Weltbeschreibungen unweigerlich eingestehen (Wir sagen etwa: „Vögel bauen Nester, um darin ihre Eier abzulegen und ihre Jungen groß zu ziehen.“)? Wenn nicht, dann legt das die Existenz einer nicht-natürlichen, absichtsvollen und geistigen Ursache nahe, von der die Zwecke und der Sinn stammen. Eine Ausprägung dieser Ursache ist der christliche Gott, den wir im Credo bekennen.
Freilich geht es auch um Jesus, um Maria, um den Heiligen Geist und um die Kirche. Und um Pontius Pilatus. Mit harter Hand regiert er die Unruheprovinz Judäa. Eiserne Strenge und rohe Gewalt halten ihn insgesamt zehn Jahre lang an der Macht. Auch nach der Kreuzigung Jesu geht die Ära Pilatus weiter. Bis zum Jahr 36 ist er Statthalter. Abgesetzt wird er, weil sein brutales Vorgehen in Rom nicht mehr hingenommen werden konnte. Das passt nur sehr schlecht zu den wohlwollenden Charakterisierungen des kaiserlichen Statthalters in diversen Passionsfilmen.
Geklammert werden die Betrachtungen zum Glaubensbekenntnis von zwei analytischen Darlegungen zur Phänomenologie des Glaubens und des Bekennens. Was heißt das eigentlich: Glauben? „Glauben heißt: nicht wissen“, sagt der Volksmund und er hat damit, wie so oft, nicht ganz Unrecht. Man kann „Glauben“ tatsächlich negativ definieren. Doch wäre mit der Bestimmung des Glaubens als „Nichtwissen“ das Wesen des religiösen Glaubens nicht getroffen, weil der religiöse Glaube positive Aussagen macht, die handlungsleitend und lebenswirksam sind bzw. sein sollen.
Nach dem Evangelium zu leben (versuchen), weil man nicht weiß, ob es nicht vielleicht doch von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, handelt, das ist sicher weit schwerer zu motivieren und durchzuhalten als ein Leben nach dem Evangelium im Glauben daran, dass in ihm Jesus Christus, der Sohn Gottes, zu uns spricht. Glauben im Sinne des religiösen Bekenntnisses bedeutet mithin Vertrauen.
Und Bekennen – was bedeutet das? Das Bekenntnis der Christen erschöpft sich nicht im sonntäglichen Aufsagen der Glaubenswahrheiten. Mission ist der Zwang, der aus Überzeugung erwächst. „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4, 20). In der damaligen Gesellschaft vom Glauben an Jesus Christus zu sprechen, war gefährlich, das Bekenntnis zum Auferstandenen mutig. Aber die Freude darüber, dass Jesus lebt, ist größer als die Furcht. Das muss auch heute gelten.
Da Menschen, die Überzeugungen vertreten, davon ausgehen, dass diese wahr sind, dient Mission in ihren Augen stets der Verbreitung der Wahrheit. Überzeugt sein, die Wahrheit zu haben, überzeugt sein, die Wahrheit zu kennen, ist gerade der Ausgangspunkt der Mission. Meine Wahrheit (und damit der „Gegenstand“ meiner Mission) ist eine unveränderliche Wahrheit in Gott. Mit Edith Stein teile ich die Überzeugung, dass der, der die Wahrheit sucht, Gott sucht, weil ich glaube, dass Christus, der Sohn Gottes, die Wahrheit ist.
Dies jedoch kann ich nur als meine Überzeugung von der Wahrheit vermitteln, nicht als die Wahrheit selbst. Ich muss es tolerieren, wenn der Andere meine Überzeugung nicht teilt, auch wenn ich der Ansicht bin, dass er damit tragischerweise die Wahrheit verfehlt. Sich diesen Zusammenhang von Wahrheit, Überzeugung und Toleranz klar zu machen, entschärft die weltanschaulichen Debatte und lässt sie im Idealfall zum Dialog werden.
Auch zu diesem soll das Buch einen Beitrag leisten. Credo. Wissen, was man glaubt (ISBN: 978-3-942605-13-7) erschien im Lepanto-Verlag. Das Buch richtet sich an alle Gläubigen, die den Gehalt des Credos tiefer ergründen wollen, an jene, die das rechte Verständnis gegenüber Irrtümern und Missdeutungen unserer Zeit zurückgewinnen wollen und auch an Menschen, die einfach mal wissen wollen, was ein Katholik glaubt.
Eine Leseprobe erscheint zeitnah auf unserem Onlineportal The Cathwalk.
Dr. Josef Bordat ist katholischer Autor und Blogger. In seinem Weblog Jobo72 behandelt er philosophische und theologische Fragen und bezieht engagiert Stellung zu den Themen Kirche, Medien und Politik. Zuletzt erschienen Das Gewissen (2013) und Credo. Wissen, was man glaubt (2016), beide im Lepanto-Verlag